hwk silbersiepe 8231Eher Poetry-Slam als Dichterlesung. Eine Buchbesprechung

Hanswerner Kruse

Fulda (Weltexpresso) - Vor einiger Zeit las Hartmut Krüpe-Silbersiepe im Fuldaer Kunstverein Erzählungen aus seinem neuen Buch „Der Cellospieler“. Sein cooler Auftritt erinnerte eher an einen Poetry-Slam als an die brave Lesung eines Heimatdichters: Dramatisch, extrovertiert und mit eindringlicher Körpersprache trug der Autor seine Geschichten vor und zog dadurch das Publikum in den Bann. So wie er vorliest, sind auch seine Texte.
„Ich bin beim Schreiben ganz in der Erzählung“, sagte er uns. Ebenso als Leser wird man in sie verstrickt, weil der Schreiber durchgehend in Ich-Form erzählt und man intensiv an seinen fiktiven Erlebnissen als Musiker, Psychiatriepatient oder Ex-Terrorist teilnehmen kann.

hwk silbersiepe 8254Seine Geschichten beginnen oft im Alltäglichen, doch dann kippen sie - der berühmte Cellist verletzt seine Greifhand, ein musikalischer Dilettant will ein Klavierkonzert geben, ein gescheiterter Musiker wird erfolgreicher Stadtplaner. Viele seiner Figuren wagen das Unmögliche, manche erleben dabei fantastische Dinge. Die Spannweite seiner Texte ist groß, vom bei uns bereits besprochenen „Cellisten“ über medizinische Fehldiagnosen bis zu einer Variante des Films „Blow up“. Doch mitunter spielen sie plötzlich irgendwo im Fremden, wie ein arabisches Liebesmärchen oder ein Kriegserlebnis.

Seine einzelnen Stories haben keinen inneren Zusammenhang, wie er selbst sagt. Es sind vielmehr die klare Sprache, die Entwicklung der Figuren und die verblüffenden Lösungen, die eine vage Verbindung schaffen. Der Autor hat keine Botschaft für seine Leser, doch er schildert (meist) Menschen, die mit Fantasie und Willenskraft sehr viel erreichen können oder es wenigstens versuchen.

hwk silbersiepe 8268Sein erster Erzählband, „Wenn Gideon erzählt...“ (2016) unterscheidet sich kaum von seinem neuen Buch, in dem die Geschichten etwas prägnanter und konzentrierter beschrieben werden. In beiden Bänden gibt es biografische Einsprengsel des Schreibers, der als Kind alles bemalte, Künstler werden oder Cello spielen wollte: Durchfantasierte Erinnerungen. „Erzählen ist auch eine Lösung“, sagt er verschmitzt. Vor allem aber inspirieren ihn eigener Ärger, beobachtete Merkwürdigkeiten oder andere äußere Anlässe: „Ich will den Dingen auf den Grund gehen“, meint er. Dabei kommt er zu verblüffenden Lösungen: Jemanden erschießen, um ihn ganz zu besitzen oder auf etwas verzichten, um es zu behalten... Seine literarischen Schilderungen schärfen unsere Wahrnehmung für Absurditäten im Alltag und ermöglichen neue Sichtweisen.



ÜBER DEN AUTOR

hwk silbersiepe objektDie meiste Zeit seines Lebens hat der jetzt 77-jährige Schreiber in Fulda gelebt, in medizinischen Bereichen gearbeitet und sich zugleich künstlerisch ausgedrückt. Über ein Jahrzehnt lang war er Vorsitzender des hiesigen Kunstvereins. Obwohl er seit 2004 bei Wuppertal wohnt, ist er der Stadt immer noch verbunden: „Sie hat für mich einen hohen Heimatwert.“ Einst wollte seine Mutter, dass aus dem Jungen ein Künstler wird, doch der Vater, ein Arzt, setzte sich durch und so studierte er Biologie. Mit metallischen Laborstäbchen aus seinem Arbeitsbereich und Malerei schuf er eigenwillige Materialbilder, „ganz im Geiste des ‚Nagelkünstlers’ Günter Uecker“, die er auf Anhieb in der damaligen Galerie Deisenroth sofort sehr gut verkaufte. Später, mit fünfzig Jahren, begann er auch zu schreiben. Der Autor hatte nicht nur „ein sehr buntes Leben“, wie er selber meint, sondern immer sowohl wissenschaftlich als auch ästhetisch - als Künstler oder Schreiber - gedacht und seine Umgebung geprägt.



Fotos
© Hanswerner Kruse (Lesung), Krüpe-Silbersiepe (Materialbild)

Info:
Hartmut Krüpe-Silbersiepe
„Der Cellist“ und andere Erzählungen“ (2018), Paperback, 222 Seiten, 7,50 Euro
„Wenn Gideon erzählt...“ (2016), Paperback, auch als E-Book, 294 Seiten, 17,99 Euro

Der Autor in weltexpresso
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