KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für März 2013, Teil 2
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Auf Platz 5 folgt schon der dritte neu plazierte Kriminalroman: Die Farbe der Nacht von Madison Smartt Bell, bei Liebeskind erschienen. Wir können uns nicht erinnern, wann das letzte Mal auf einen Schlag fünf neue Krimis in die Liste kamen, die noch dazu gleich die Spitzen eroberten.
Für Die Farbe der Nacht können wir erst einmal nur den Inhalt weitergeben. Wer zwei US-Traumata, die Morde der Manson-Family von 1969 und die Anschläge vom 11. September, narrativ zusammenbringen will, braucht einen Protagonisten, der nicht ganz dicht ist. Mae, von Kindesbeinen an mit Gewalt aller Art konfrontiert und vertraut, sieht auf einem Video vom Einsturz der Twintowers ihre Geliebte wieder, mit der sie mit der Bande von „O.“ im Umkreis von Los Angeles metzelnd unterwegs war. Das reicht, um sie, die sich unsterblich wähnt, erneut auf die Blutfährte zu bringen. Mehr das nächste Mal.
Und auch auf Platz 6 nimmt sofort Der Mann aus dem Safe von Steve Hamilton aus der Verlag Droemer den Stuhl ein. Es sei ein elegant konstruierter Roman um einen Jugendlichen, der Safes knacken, intensiv empfinden, aber nicht sprechen kann. „Dämlicherweise verrät der Verlag im Klappentext den Ursprung seines Traumas. Was aber zum Glück Mikes Geschichte als Verbrecher aus Liebe kaum weniger spannend macht“, gibt uns KrimiBestenListe-Platzhalter Tobias Gohlis weiter. Schaun wir also mal.
Åsa Larsson rutscht ob so vieler Neuer vom vierten Rang auf Platz 7 runter. Denn die Gier wird euch verderben, veröffentlicht von C. Bertelsmann, ist ein Krimi, der soviel anderes gleich mittransportiert: Geschichte der Industrialisierung am Beispiel der Minenstadt Kiruna, Geschichte der sozialen Klassen, die auch Liebe nicht aufhebt, wie sich die Geschichte in den Geschichten der Nachkommen wiederholt. Unheimlich, welche Rolle die Bären spielen. Lesen Sie mehr in den vergangenen Monatsbesprechungen.
Denn wir brauchen jetzt Platz für Frieda Klein. Eisiger Dienstag nennt Nicci French, was keine Frau ist, sondern das Namensgemisch eines Ehepaares, ihren neuen Kriminalroman, der dem Montag folgte und von dem ein Mittwoch schon angekündigt ist. Der Krimi ist auf den 8. Rang hochgerutscht vom zehnten aus und das ist uns noch zu wenig. In London arbeitet die Psychoanalytikerin Frieda Klein – natürlich muß man da an Freud und seine Schülerin denken – wie eine hartgesottene Ermittlerin. Wir konnten nicht anders als sie immer wieder – liebenswert stur und keiner anderen Einsicht als ihrer fähig – mit der Kommissarin Lund aus dem ZDF des Sonntagsnacht zu vergleichen, die mit ähnlicher Härte gegen sich selbst einfach die Wahrheit ans Licht bringen will und den/die Mörder hinter Gittern.
Die Geschichte selbst ist unheimlich genug, weil sich in ihr immer die Person der Frieda Klein widerspiegelt. Die Liebesgeschichte, die hineinspielt, ist nicht aufdringlich inszeniert, sondern wird Teil des Geschehens, weil da ein interessantes Geschwisterpaar eine tolle sympathische Rolle spielt, die aber...Nein, Bestimmtes darf man nicht verraten, nur das, daß dies wieder einmal ein Kriminalroman ist, der hervorragend konstruiert, dennoch voller Leben steckt und voller Erfahrungen, die jemand dem Verfasserpaar erst einmal nachmachen muß. Auf den Mittwoch sind wir schon gespannt, was eben auch an dieser sperrigen Frieda Klein liegt, was heißt 'eben auch'. Eigentlich nur.
Auf Platz 9 folgt wieder neu Milano Criminale von Paolo Roversi aus dem Ullstein Verlag. Erkennbar bemüht, das Erfolgsmodell des in Italien Kult gewordenen Romanzo Criminale von Giancarlo de Cataldo zu kopieren, erzählt der Journalist Paolo Roversi die Karrieren zweier Kinder aus einem armen Viertel Mailands von 1958 bis Anfang der 70er Jahre und lässt dabei etliche spektakuläre Verbrechen und die Zeiten der Studentenbewegung Revue passieren, mitsamt Playlist der damals aktuellen Musiktitel. Auch hier mehr in der nächsten Besprechung im April. Ja, das Jahr ist bald herum!
Und nun noch fast ein Absturz: Mike Nicol mit Killer Country von btb vom dritten Platz auf Rang 10 gelandet. Was dramatisch klingt, hat einfache Gründe. Die neuen verdrängen einfach die älteren, will sagen, die neuen Leseerlebnisse lassen die älteren verblassen und auch – so interpretieren wir hier einmal die Jury, siehe unten – die Lesequalität, die zuvor auf den vorderen Rang führte. Nein, auch der zehnte Platz ist ein feiner, aber da rächt sich das lange Dabeisein durchaus. Das ist eine Erfahrung, die nicht alle machen, aber manche machen müssen.
KrimiZeit – die Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio 3/2013
Lfd. Nr. |
Rang |
Vor-monat |
Titel |
1 |
1 |
(1) |
Reginald Hill: Rache verjährt nicht Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann Suhrkamp, 686 S., 19,95 € London/Cumbria. Kinderschänder oder Hedgefonds-Manager – welche Anklage wiegt schwerer? Wolf Hadda, nach Fluchtversuch zum Monster verkrüppelt, geht für beides in den Knast. Nach sechs Jahren wieder frei, sinnt er auf Rache. Posthumes Wunderwerk englischer Erzählkunst. Hill ist 2012 verstorben. |
2 |
2 |
(-) |
Joe R. Lansdale: Dunkle Gewässer Aus dem Englischen von Hannes Riffel Tropen, 320 S., 19,95 € Ost-Texas, während der Großen Depression. Nachdem May Linns Leiche im Sabine River gefunden wurde, verbrennen ihre Freunde sie und transportieren die Asche den Fluss hinab. Fernziel: Hollywood. Die wilde Flucht der Jugendlichen erinnert an die von Huck Finn und Tom Sawyer, verläuft aber grotesker und brutaler als bei Mark Twain. Lansdale eben. |
3 |
3 |
(-) |
Elmore Leonard: Raylan Aus dem Englischen von Kirsten Risselmann Suhrkamp, 308 S., 19,95 € Kentucky. Ob Nierenhandel, Umweltverbrechen oder Schusswechsel mit einer einarmigen Transe - US-Marshal Raylan Givens bleibt stets gelassen. Mit Gleichmut und schnellem Finger sorgt er für das, was er persönlich für Gerechtigkeit hält. Wie schon in der TV-Serie Justified, jedoch im Buch viel viel abgefahrener. |
4 |
4 |
(8) |
Håkan Nesser: Am Abend des Mordes Aus dem Schwedischen von Paul Berf btb, 480 S., 19,99 € Kymlinge. Gunnar Barbarottis Frau ist gestorben. Der trauernde Inspektor arbeitet sich ins Leben zurück. Er untersucht, ob Ellen, die vor Jahren ihren ersten Mann erschlug und zerstückelte, auch den zweiten beseitigt hat. Im letzten Barbarotti-Roman geht es um das weite Feld zwischen Tod und Leben, um Gott und ums Bessermachen. |
5 |
5 |
(-) |
Madison Smartt Bell: Die Farbe der Nacht Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann Liebeskind, 238 S., 18,90 € Los Angeles, Las Vegas, New York. Manson-Mythos meets Elften September. Die sexy blutigen Zeiten liegen 30 Jahre zurück. Mae, einzig Überlebende der Family, gibt Karten in Vegas.. Als die Türme fallen, fällt die Todesgöttin zurück in antike Blutträume und Rachemuster. US-Gewalt-Metaphysik. |
6 |
6 |
(-) |
Steve Hamilton: Der Mann aus dem Safe Aus dem Englischen von Karin Diemerling Droemer, 460 S., 16,99 € Ohio. Mike ist seit seinem achten Jahr stumm. Warum, verrät er zuletzt. Aus dem Knast erzählt er, wie er Safeknacker wurde, wie er als Empfindsamer unter Rohlinge kam, als Künstler unter die Gangster fiel. Schnörkellos, mit hoher Spannung erzählt. Das Schönste: die Liebesgeschichte unter Comiczeichnern. |
7 |
7 |
(4) |
Åsa Larsson: Denn die Gier wird euch verderben Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs C. Bertelsmann, 384 S., 19,99 € Kiruna. Frans Usitaalos Hand wird im Magen eines Bären gefunden, seine Tochter ist mit zigmessertichen ermordet worden und sein Enkel wird beinahe erstickt. Rebecka Martinsson und Anna-Maria Mella ermitteln Familien- und Regionalgeschichte: Die Minenstadt Kiruna als Moloch, der Geld spuckt, wenn man ihm Kinder opfert. |
8 |
(10) |
Nicci French: Eisiger Dienstag Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller C. Bertelsmann, 528 S. 14,99 € London. Psychotherapeutin Frieda Klein jagt mit seelsorgerisch-detektivischem Übereifer winzigsten Vermutungen hinterher und entdeckt echte Beweise. Der Mann, der, halb verwest und doch umsorgt, ihre Suchlust weckt, war von Friedas Art: einfühlsamer Zuhörer und Ziel von Mordgelüsten. Frieda Klein ist klasse. |
|
9 |
9 |
(-) |
Paolo Roversi: Milano Criminale Aus dem Italienischen von Esther Hansen Ullstein, 464 S., 19,99 € Mailand 1958 – 1971. Vandelli (10) und Santi (14) sind zufällig Zeugen des sensationellen Überfalls an der Via Osoppo. Der eine wird daraufhin Räuber, der andere Polizist. Nach dem Vorbild von Romanzo Criminale: die Geschichte Mailands als Kampf zwischen Staat und Verbrechern. |
10 |
10 |
(3)
|
Mike Nicol: Killer Country Aus dem Englischen von Mechthild Barth btb, 512 S., 14,99 € Kapstadt. Band 2 der „Rache-Trilogie“. Mace und Pylon, ehemals Waffenhändler des ANC, jetzt Nobel-Security, wollen in Frieden ihr Erspartes investieren. Doch Ex-Politiker Ocho und Anwältin February spielen nicht ehrlich. An dickes Geld kommt man nur durch Mord. 20 Jahre Demokratie haben daran nichts geändert. |
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.
Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste
- im NordwestRadio am Donnerstag, den 7.3. 2013 mit Tobias Gohlis gegen 8.50 Uhr im Nordwestradio Journal und in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html
-
in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 7.3.2013 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste
-
Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury setzt sich zusammen aus:
Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt
Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Gunter Blank, Sonntagszeitung
Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau
Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal inzwischen darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt. und die wir für 2012 ebenfalls kommentierten.
Info:
Film zu Grenzfall