Zur Erinnerung an den österreichischen Schriftsteller Milo Dor (1923–2005), Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Wien (Weltexpresso) – Schon grundfalsch, „österreichischer Schriftsteller“ zu schreiben, ohne das „mit serbischen Wurzeln“ hinzuzufügen, denn das lebte er. Wir lernten ihn als kleine Mädchen in den Fünfziger Jahren kennen, weil die Frankfurter Hefte und Walter Maria Guggenheimer und der Geist der Gruppe 47 in Frankfurt ansässig waren, wie unsere schöne Wiener Mama, die Milo Dor wie Reinhard Federmann und viele andere verehrten.

 

Es war also eigentlich eine Arbeitsbeziehung der Herren Dor und Federmann zu unserer auch klugen und gebildeten Mutter, die durch die Verehrung nur das gewisse Etwas erhielt; schon deshalb, weil so durchaus ein zartes Konkurrenzsystem zwischen den beiden Freunden entstand. Man muß dazu sagen, daß diese Zeit tatsächlich eine andere Welt war. Die Leute waren arm. Alle und erst recht diejenigen, die mit Worten handelten. Kühlschränke oder Fernseher, ja damit konnte man reich werden. Aber Worte? Also wurden die Auswärtigen, die der Worte wegen nach Frankfurt kamen, privat versorgt. Sie schliefen auf Teppichen und Matratzen. Essen gehen? I woh! Mit welchem Geld? Selber kochen!

 

Tatsächlich ist uns von damals her die Leibesfülle von Milo Dor – gemessen beispielsweise an Federmann – in Erinnerung – er war ein dunkler fescher 'hombron' - und seine herausragenden Kochkünste, vor allem was die Chevapchichi angeht, die er im Backofen herstellte, denn so revanchierten sich die Gäste, daß sie sich zuständig fühlten für die Verköstigung von sich selber, der Familie und anderen Gästen. Rundum. Milo Dor war ein Lustiger für uns Kinder. Er knuffte immer die hübschen kleinen Mädchen, was die nicht mochten, aber er lachte dann selber immer am meisten darüber und brachte Zuckerzeug, das er aber immer mitaufaß.

 

Heute wäre er 90 Jahre alt geworden, was sein Verlag – der Picus Verlag aus Wien – in Erinnerung ruft und wir gerne aufgreifen.

 

Zuletzt bin ich weder der Schreibende noch der Zuschauer. Ich bin nur die Spur, die zwischen den nackten Häusern verläuft, ich bin nur der Schatten, der auf die schreibenden Hand fällt und sie verdunkelt.

Milo Dor

 

Milo Dor gehört zu den wichtigsten Stimmen wider das Vergessen im Österreich der Nachkriegsjahre. Als serbischer Widerstandskämpfer wurde er 1942 nach Wien deportiert, wo er nach dem Krieg blieb und als freiberuflicher Schriftsteller und Journalist, Übersetzer und Herausgeber arbeitete und als Brückenbauer und Integrationsfigur der literarischen Welt tätig war.

 

Er schrieb Romane, Essays, Reiseberichte, Hörspiele und Drehbücher, übersetzte zahlreiche Werke v. a. aus dem Serbischen, war Mitglied der Gruppe 47, Präsident der IG Autoren sowie Vize-Präsident und Ehrenmitglied des österreichischen P.E.N.-Clubs.

 

Im Picus Verlag erschienen die Werke »Die Leiche im Keller« (Hg.), »Schriftsteller und Potentaten«, »Der Mann, der fliegen konnte«, »Grenzüberschreitungen« sowie die mit Reinhard Federmann verfassten Romane »Internationale Zone«, »Und einer folgt dem anderen« und »Und wenn sie nicht gestorben sind …«.

 

Kurzer Lebenslauf

 

Milo Dor wurde am 7. März 1923 in Budapest geboren. Da allerdings hieß er Milutin Doroslavac. Er wuchs in Belgrad auf und war schon als Schüler Mitglied des Kommunistischen Jugendverbands und wurde 1940 der Schule verwiesen, weil er einen Schulstreik organisierte. Sein Abitur konnte er ablegen, wurde aber im Jahr darauf durch die heimischen Mittelmänner der Gestapo verhaftet und ins Gefängnis und Lager gesteckt, wo er gefoltert wurde, aber nicht umgebracht, sondern als Fremdarbeiter nach Wien gebracht wurde, wo er nach Ende des Krieges blieb.

 

In Wien studierte er Theaterwissenschaft und Romanistik und war gut vernetzt und auch von den Älteren gefördert. Seit 1951 war er Mitglied der Gruppe 47 und hatte damals mit dem ersten Roman TOTE AUF URLAUB gleich Erfolg. Auch die weiteren Bücher wurden Publikumserfolge, die Literaturkritik hielt ihm diesen Erfolg aber eher vor, was sich auf Dauer auch auf den Erfolg negativ auswirkt. Er mußte vom Schreiben lesen und andere miternähren, weshalb er vielseitig unterwegs war: er verfaßte Hörspiele, Drehbücher fürs Fernsehen, übersetzte unglaublich viele Texte, gab Bücher heraus und schrieb und schrieb, so manches auch mit Freund Federmann.