Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Vertreter des Auswärtigen Amtes war krank geworden, die diplomatischen Vertreter von Brasilien und anderen Ländern waren auch nicht da, aber angefangen mit den Grußworten von Tobias Voss, Geschäftsleitung der Frankfurter Buchmesse, dem Krimi-Ober-Guru Thomas Wörtche und Anita Djafari als Litprom-Veranstalterin war der Saal voll angesichts so prominenter Namen aus der Kriminalliteratur der Länder, die eher im Schatten stehen.
Das stimmt natürlich diesmal nicht so ganz, wenn „Autor*innen aus Afrika, Asien, Lateinamerika, der Karibik und der Arabischen Welt“ im Mittelpunkt stehen sollen. Und es stimmt dann wieder doch, denn Südafrika, seit Deon Meyer ein Krimi-Land, ist halt auch Afrika, auch wenn er auf Englisch schreibt wie die Australierin Candice Fox, ein Land und ein Kontinent, der sich in den letzten Jahren zu einem Kriminalromanparadies entwickelt hat. Denn, wenn so viele Krimis lesen, ist die Motivation zum Schreiben eines Krimis auch höher. Anders kann man sich den gegenwärtigen Siegeszug des Krimis beim Bücherlesen nicht erklären. Dazu brachte Tobias Voss die entsprechenden Zahlen. In England haben die Krimis die höchste Konjunktur. In Deutschland beruht ein Viertel des Umsatzes der Belletristik auf Kriminalromanen, bei Taschenbüchern ist es sogar ein Drittel. Daß Frauen beim Bücherlesen weit vorne liegen, ist bekannt, daß sie aber auch bei den Krimis mit 51 Prozent entgegen nur 37 Prozent der Männer führen, ist überraschend. Vor allem auch, wenn man bedenkt, wie stark das Krimipersonal immer noch von Männern repräsentiert wird.
Auf jeden Fall ist das Gastangebot bei den diesjährigen Literaturtagen phänomenal: Max Annas DEUTSCHLAND | Marcelo Figueras ARGENTINIEN | Candice Fox AUSTRALIEN | Chan Ho-kei TAIWAN | Jeong Yu-Jeong SÜDKOREA | Patrícia Melo BRASILIEN | Deon Meyer SÜDAFRIKA | Mercedes Rosende URUGUAY | Gary Victor HAITI | und Oliver Bottini für die erkrankte Merle Kröger DEUTSCHLAND, die in den zwei Tagen hauptsächlich in den Werkstattgesprächen am Samstag zu Wort kommen. Der Freitag findet im Plenum statt, wo auf dem Eröffnungspodium Ulrich Noller die Moderation übernimmt und Patricia Melo, Deon Meyer und Oliver Bottini gemeinsam herausfinden sollen, weshalb der Krimi international eine derartige Karriere hinlegt, ob es dafür so etwas wie einen globalen Code gibt und vor allem auch, ob das Böse im Menschen in seiner Natur angelegt ist und auch ob jede Kultur nach eigener Façon mordet.
Thomas Wörtche nimmt sich erst einmal den globalen Code vor, verweist auch darauf, daß ja auch bei den bisherigen Literaturtagen Kriminalromane eine Rolle spielten, aber doch sehr „klandestin und als Konterbande“ und diesmal halt solo. Will man eine einheitliche Definition versuchen, bietet sich an, daß Kriminalliteratur die Gewalt der und in den Gesellschaften nachzeichnet. Eine andere Frage ist, weshalb in der ganzen Welt so viele Leser zu den Krimis greifen. Sicher spiegelt sich die Bandbreite der Motive zwischen Aufklärung von Gesellschaften einerseits und Spannung sowie Unterhaltungswert andererseits.
Ulrich Noller stellt die anwesenden Autoren vor, die alle drei durch ihre regelmäßige Wahl auf der Krimibestenliste oder Litprom auch bei uns sehr bekannt sind, wobei die Bezeichnung für Deon Meyer als ‚Urgestein der Kriminalliteratur‘ genauso richtig ist, wie die gegenwärtige Blüte des Kriminalromans in Südafrika ein Phänomen, wo ein neuer Autor nach dem anderen erfolgreich wird. Wenn das Gespräch nun zum Zwiegespräch wird zwischen dem Moderator und dem jeweiligen Autor, erfährt man auf der einen Seite doch sehr viel über den einzelnen Autor, vermißt aber, daß kein gemeinsames Gespräch zwischen den Autoren entsteht, ja irgendwie gar nicht intendiert ist. Stattdessen befragt der Moderator die einzelnen hintereinander zu speziellen Themen wie, wie es mit dem eigenen Lesen bestellt ist, auch welche Autoren sie vorziehen.
Gemeinsam ist Bottini und Meyer, daß sie mit der Lektüre aufhören, wenn ihnen die Qualität, vor allem die Sprachqualität des Buches mißfällt. Beide lesen auch sehr viele Kriminalromane. Lesen schärft das Bewußtsein, wie man selber schreiben will. Patricia Melo dagegen ist keine Krimileserin. Gut, die Amerikaner wie Dashiell Hammett hat sie als Jugendliche goutiert, aber hat dann nicht nur anderes gelesen, sondern auch anderes geschrieben. Seit 1994 ist sie Schriftstellerin und man hat ihren sehr erfolgreichen Romanen immer vorgehalten, daß sie Krimielemente beinhalten. Das fand sie schon eigenartig, weil ja auch im Leben alles zusammenkommt und nicht in literarische Genres unterteilt ist, dann aber hatte sie mit Absicht einen richtigen Krimi geschrieben. TRÜGERISCHES LICHT (ganz tolles Buch) erschien 2016 und machte sie sofort zur führenden Krimiautorin.
Grundsätzlich unterstützt sie die Aussage, daß die Kriminalliteratur die griechische Tragödie weiterführt, ihre eigene Distanz zum Genre hat auch damit zu tun, daß in Brasilien Verbrechen Tagesdinge sind, Gewalt überall ständig Thema ist, die Zeitungen voll davon sind. Zweimal wird sie ausführlich auf die Rate von 63 000 Morden jährlich eingehen, ein regelrechter Bürgerkrieg, und auch darauf, daß es insbesondere Frauenmorde sind, weshalb in Brasilien die fünftmeisten Morde an Frauen geschehen, allerdings ist Brasilien mit über 200 Millionen Einwohnern auch das fünftbevölkerungsreichste Land der Welt. Bisher hatte der Krimi auf dem brasilianischen Buchmarkt keine Rolle gespielt, was sich in diesen Tagen dramatisch ändert. Aber es hat sich auch die Krimistruktur verändert, worauf Melo auch die neue Beliebtheit des Krimis zurückführt. Früher gab es die regionalen Kriminalromane, heute geht es um Urbanität, die urbane Kultur ist das neue Sujet. Wenn sie von ‚jung‘ spricht, heißt das, daß diese Entwicklung seit den 70er Jahren in Gang kam und entscheidend durch Rubem Fonseca gefördert wurde, den sie als Vorreiter der brasilianischen Krimiliteratur bezeichnet. Heute wird im Gegensatz zu früher neben der englischsprachigen Literatur auch die anderer Länder gelesen, was neu ist, weil sich Brasilien heute anderen Kulturen öffnet. Der internationale Krimi ist darin durchaus ebenfalls Vorreiter.
Aber noch immer wird in Brasilien vergleichsweise wenig gelesen, die Auflagen liegen in der Regel bei 2-3 Tausend, vergleichbar dem französischen Buchmarkt. Noch immer gibt es furchtbar viele Analphabeten.
Auch Deon Meyer veröffentlicht seit 1994, allerdings sofort Kriminalromane, die beispielgebend für viele zukünftigen Autoren wurden. Er selbst liest viele der internationalen Krimis, weil er über den Stand des Genres informiert sein will und auch, welche neue Themen kommen, vor allem aber kann er über die nationalen Krimis die jeweiligen Gesellschaften kennenlernen. Krimis aus Südafrika dagegen liest er viel weniger, auch wenn er Mike Nicol sehr gut findet.
Oliver Bottini führt die aufgekommene Diskussion um Schubladendenken bei Autoren weiter, denn es gibt dabei positive und negative Aspekte. Schubladendenken und -kategorisierungen geben auch Sicherheit. Er selbst ist als Krimiautor akzeptiert und fühlt sich damit wohl. Ob er Visionen hat? Ihn interessiert die Aufklärung der Verbrechen weniger, ihn interessieren die Personen mehr und ihre Geschichten reflektieren die Gesellschaft. Durch die Figuren wird auch das historische Geschehen erzählt.
Fortsetzung folgt.
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Podium
© Red.
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