a moyes header„Nächte in denen Sturm aufzieht“ von Jojo Moyes aus dem Verlag Rowohlt, Leseprobe I

Jojo Moyes

Hamburg (Weltexpresso) - Mein Name ist Kathleen Whittier Mostyn, und im Alter von siebzehn Jahren wurde ich für den Fang des größten Fisches in ganz New South Wales berühmt. Es war ein grauer Ammenhai, und selbst nach zwei Tagen öffentlicher Zurschaustellung blickte er mich mit einem Auge immer noch so böse an, als wollte er mich in Stücke reißen. Damals tat man in Silver Bay kaum etwas anderes als Sportfischen, und ganze drei Wochen lang war jener Hai bei uns Thema Nummer eins. Ein Zeitungsreporter nahm sogar die Anfahrt aus Newcastle auf sich und machte ein Bild von mir und dem Fisch. Obwohl mich der Fotograf schon gebeten hatte, meine höchsten Schuhe zu tragen, war das Vieh immer noch ganze dreizehn Zentimeter größer als ich.

Was man auf dem Foto sieht, ist ein hochgewachsenes, eher finster dreinblickendes Mädchen, das besser aussah, als es ihm selbst bewusst war, mit – zum Leidwesen seiner Mutter – sehr breiten Schultern und einer vom Einholen und Befestigen der Leinen so schmalen Taille, dass sie nie ein Korsett benötigte. Und da stand ich nun und platzte fast vor Stolz, weil ich noch nicht wusste, dass ich bis ans Ende meiner Tage selber am Haken dieses Monstrums hängen würde, als wären wir verheiratet. Was man auf dem Foto allerdings nicht erkennen kann, sind die beiden Drähte, an denen mein Vater und sein Geschäftspartner, Mr. Brent Newhaven, den Hai in der Vertikalen hielten. Das war dann doch etwas zu schwer für mich.

Trotzdem war mein Ruf durch diesen Vorfall zementiert. Jahrelang war ich nur als das «Haimädchen» bekannt, auch als ich längst kein Backfisch mehr war. Meine Schwester Norah zog mich immer damit auf, angesichts meiner äußeren Erscheinung wäre der Name «Seeigel» wohl angebrachter, doch mein Vater glaubte fest daran, dass mein legendärer Fischzug dem Silver Bay Hotel zum Durchbruch verhalf. Zwei Tage nach Erscheinen meines Konterfeis in der Zeitung waren wir restlos ausgebucht, und das blieben wir auch bis ins Jahr 1962, als der Westflügel des Hotels einem Brand zum Opfer fiel. Männer reisten an, weil sie meinen Rekord überbieten wollten: Wenn schon ein Mädchen in der Lage war, einen solchen Brummer an Land zu ziehen, was konnte dann wohl erst ein richtiger Sportangler in dieser sagenhaften Bucht ausrichten? Ein paar von ihnen machten mir sogar einen Heiratsantrag, aber mein Vater pflegte zu sagen, bei denen hätte er schon Lunte gerochen, noch bevor sie Port Stephens erreichten. Also schickte er sie zum Teufel. Die Frauen kamen, weil sie es bis dato nicht für möglich gehalten hatten, dass sie auch angeln könnten, geschweige denn eine Beute, mit der sie in Konkurrenz zu den Männern treten könnten. Und die Familien schließlich kamen, weil Silver Bay mit seiner geschützten Bucht, den endlosen Sanddünen und der ruhigen See einfach ein wunderbarer Ferienort war.

Um es mit dem zusätzlichen Bootsverkehr aufzunehmen, wurden rasch zwei neue Molen gebaut, und jeden Tag war die Luft erfüllt vom Klicken der Riemen und dem Brummen der Außenbordmotoren, während die See in- und außerhalb der Bucht von Anglern und Sportfischern durchforstet wurde. Bis spät in die Nacht hinein hörte man am Hafen das Aufheulen von Automotoren, leise Musik und Gläsergeklirr. Während der fünfziger Jahre gab es wohl kaum einen Ort in der Gegend, der angesagter gewesen wäre als Silver Bay.

Heute haben wir immer noch unsere Boote und unsere Molen, obwohl wir nur noch eine Anlegestelle benutzen, und die Beute, der die Leute hinterherjagen, hat sich geändert. Ich selbst habe fast zwanzig Jahre lang keine Angelrute mehr in der Hand gehabt. Das Töten von Lebewesen jedweder Art interessiert mich nicht mehr.

Das Leben hier verläuft selbst im Sommer in ruhigen Bahnen. Die meisten Urlauber verschlägt es heutzutage in die Clubs und die mehrstöckigen Hotels, an schickere Badeorte wie Coffs Harbour oder Byron Bay, und uns ist das, um die Wahrheit zu sagen, nur recht so.

Den Rekord von damals halte ich immer noch. Er ist in diesem Wälzer verzeichnet, der sich angeblich wie geschnitten Brot verkauft, obwohl man keinen kennt, der jemals einen erworben hat. Ab und zu rufen die Herausgeber mich an, um mir mitzuteilen, dass mein Name auch im nächsten Jahr wieder drinstehen wird. Es kommt vor, dass Schulkinder bei mir klingeln und mir erzählen, sie seien in der Bibliothek auf meinen Namen gestoßen, und ich tue jedes Mal so, als wäre ich überrascht, weil ich ihnen eine Freude machen will.

Jawohl, den Rekord von damals halte ich bis heute. Das sage ich nicht, weil ich damit prahlen oder im Alter von sechsundsiebzig Jahren das Gefühl genießen will, wenigstens einmal im Leben etwas Bemerkenswertes vollbracht zu haben. Nein, wenn man wie ich in einer Welt voller Geheimnisse lebt, tut es einfach gut, wenigstens ab und zu eine Sache beim Namen zu nennen.

Fortsetzung folgt.

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Die Autorin
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Info:
Jojo Moyes, Nächte in denen Sturm aufzieht, Rowolth-Verlag, Klappenbroschur 480 Seiten, 16,99 Euro (als ebook 14,99 Euro). Verkauf seit 29. Januar 2019