1988 bis 2013 = 25 Jahre Lettre International = Goldene Nummer 100

 

Helga Faber und Hans Wiedemann

 

Berlin(Weltexpresso) - Heute, am Donnerstag, den 21. März, erscheint die "goldene" Jubiläumsnummer 100 der internationalen Intellektuellenzeitschrift Europas. "NIVEAU SANS FRONTIERES" prangt auf dem prachtvollen, frühlingshaften Titelbild, gestaltet vom Schweizer Künstler Max Grüter. Ein programmatischer Titel, Vision und Konzept zugleich.

 

Zur 100sten Nummer wurden Autoren, Künstler und Photographen eingeladen, die vergangenen 25 Jahre erneut in Augenschein zu nehmen: von den großen Umbrüchen der Schwellenzeit Ende der achtziger Jahre bis zu den Bruchlinien und Latenzen der Gegenwart. Ein Vierteljahrhundert wird besichtigt!

 

Essays und Reportagen, Gespräche, Erzählungen, Beobachtungen, Thesen und Reflexionen, Photographie, Malerei, Zeichnungen, Collagen zu prägenden Ereignissen und Entwicklungen dieser Epoche, sei es zu Fragen von Philosophie, Politik, Ökonomie, Psychologie und Geschichte, sei es zu Kunst, Literatur, Theater, Liebe, Erziehung, Social Media und vielen anderen Themen.

 

 

GESCHICHTE DER ZEITSCHRIFT

 

Als die erste Nummer von Lettre International am 26. Mai 1988 auf dem Kongress "Ein Traum für Europa" in Berlin vorgestellt wurde, stand die Berliner Mauer noch, Europa war geteilt, der Kalte Krieg hatte die Welt im Griff, auch wenn sich bereits Auflösungserscheinungen des sowjetischen Imperiums und der starren bipolaren Weltordnung erkennen ließen.

 

Lettre International repräsentierte ein neuartiges Zeitschriftenkonzept. 1984 in Paris von Antonin Liehm mit einer französischen Ausgabe gegründet, auf die 1985 eine italienische, 1986 eine spanische und im Mai 1988 die deutsche Ausgabe folgten (und nach 1989 zeitweilig neun weitere Ausgaben in Mittel- und Osteuropa), verstand sich Lettre International von Beginn an als grenzüberschreitendes intellektuelles Forum mit besonderer Aufmerksamkeit für das geteilte Europa und weltbürgerlichem Horizont. Texte und Themen, Redaktionen und Distribution waren international orientiert, die Beiträge eines jeden Heftes entstammten mehrheitlich anderen Sprachräumen. Wichtige Texte sollten über Sprach-, Länder- und Kulturgrenzen hinweg zirkulieren können. Kompetente Stimmen aus anderen Erfahrungsräumen sollten dem eigenen kulturellen Provinzialismus entgegenwirken und dazu verhelfen, sich mit den Augen anderer sehen zu können. Entstehen sollte ein interdisziplinäres Laboratorium intellektueller und künstlerischer Geistesgegenwart, eine Infrastruktur grenzüberschreitender Neugier, ein Entdeckungsinstrument für unerwartete Talente, ein unerschrockenes Medium für seriöse, lebendige, gut geschriebene Texte und inspirierende Bilder.

 

Daß Lettre mit diesem avantgardistischen Profil so lange bestehen konnte, redaktionell und finanziell unabhängig, allein auf Basis ihrer Verkaufs- und Anzeigenerlöse, ist in der Landschaft anspruchsvoller Kulturzeitschriften sicher eine Ausnahme. Die Wette auf die Intelligenz des Lesers hat sich ausgezahlt. Die Gemeinschaft der Autoren und Künstler, der Leser und Inserenten ist es, die das Bestehen der Zeitschrift gegen den medialen Mainstream ermöglicht hat. Sie alle haben sich dafür engagiert, daß ein hart erkämpfter und gefährdeter Raum der Geistesgegenwart, der Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit bewahrt werden konnte. Dies scheint in Zeiten der Ideenarmut und Selbstbezogenheit politischer und ökonomischer Eliten, in Zeiten einer tiefen gesellschaftlichen Krise von besonderem Wert. So verspürt die Redaktion , wie sie mitteilt, nach 25 Jahren dieses publizistischen Abenteuers Freude und etwas Stolz. Und sie möchte allen Lesern ihren herzlichen Dank aussprechen für deren langjährige Unterstützung und Treue.

 

WuSSten Sie,

 

daSS Lettre IN einem Vierteljahrhundert ungefähr 3000 Texte aus nahezu 100 Ländern veröffentlicht hat? Lettre hat Berlin auf die Couch gelegt, enthüllt, wie Bob Dylan Brechts Lyrik gekapert hat, mit dem Downing-Street-Memorandum den wahren Hintergrund des Irakkrieges dokumentiert, das Experiment deutsche Einheit bilanziert, gestaunt - der Papst trägt Prada, ist dem fliegenden Sklaven Tom Waits begegnet, hat in der belagerten bosnischen Hauptstadt eine Hommage à Sarajewo organisiert, literarische Reporter als Augenzeugen der Geschichte in die Welt geschickt, dem Weinpapst Robert Parker Punkte verliehen, das Wörterbuch der Winde einer Essaykönigin konsultiert, ist Zauberlehrlingen des Theaters gefolgt, hat mit Bruce Chatwin in Songlines geträumt, mit brasilianischen Fußballegenden am Meeressaum gedribbelt, der Geburt des Jazz beigewohnt, die Königin von Saba bestaunt, sich in Ingmar Bergmans Dunkelkammer begeben, Ikonen der Weiblichkeit bewundert, den Karneval am Zuckerhut durchtanzt, mit Botul das sexuelle Leben des Immanuel Kant rekonstruiert, Heiner Müllers Lektionen zu Angst und Geometrie gelernt, afrikanischen Visionen nachgegeben, Schreie des jugoslawischen Zerfalls gehört, Godard als Maler entdeckt, sich auf Freuds Diwan gelegt, monotheistische Eifersucht untersucht, dem Fluch des Che Guevara nachgespürt, erotische Teufelskreise hinter sich gelassen, das Design der DDR für deren Untergang verantwortlich gemacht, das Phänomen Berlusconi studiert, einen Scharfschützen in Afghanistan begleitet, den Geist des Futurismus beschworen, die Lage von 900 Millionen chinesischen Bauern untersucht, Fragen an den Himmel gestellt, die Wahlmonarchie Frankreichs hinterfragt, Machtlabyrinthe in Iran durchsucht, Istanbuls Musik zum Klingen gebracht, hat Indien und Europa verglichen, Streetgangs von Los Angeles begleitet, Krisen des demokratischen Kapitalismus erklärt, das Reich der Camorra aufgesucht, Tunesiens Kampf um Demokratie analysiert, Eliot Weinbergers "Was ich hörte vom Irak" angeregt, Kunst als Kapital entziffert, von Philosophenbürgern geträumt, ist mit dem Yellow Submarine der Beatles in die DDR eingetaucht, und mit Jean Baudrillard den Geist des Terrorismus identifiziert, den Schock des 11. September in Wort und Bild zu verstehen versucht, mit Anna Politkowskaja die erste Preisträgerin des Lettre Ulysses Awards gekürt, die Untergrund-Notizbücher von Wenedikt Jerofejew in Moskau abschreiben lassen, den Nobelpreisträger Derek Walcott in St. Lucia zu einem Deutschlandbesuch überredet, ist mit dem blinden Photographen Evgen Bavcar durch Paris flaniert, dem bösen Blick Neapels ausgewichen, hat dem Drohnenfürsten Obama über die Schulter geschaut, sich an der grünen Fee Absinth gelabt, die Beichte eines anonymen Ecstasy-Essers abgenommen, mit Georg Stefan Trollers sieben wilden Weibern getanzt, mit Peter Stein Theater und Tragödie inspiziert, Kunstkartelle ins Visier genommen, die Rückseite des Mondes gesehen, Schamanenpoesie gehört, den Visionen grüner Technik beigewohnt, kosmologische Rätsel zu lösen versucht, über Europas Comeback nachgedacht, die zwielichtigen Geschäfte humanitärer Organisationen verfolgt, die Zeit des Protoplasmas ausgelotet, mit Gary Kasparow Schach gespielt, das Menschenfressermanifest der brasilianischen Moderne zum ersten Mal ins deutsche übersetzt, der intellektuellen Opposition der Vereinigten Staaten gegen den Irakkrieg Gehör verschafft, einen Weltpreis für Reportage ins Leben gerufen, einen weltweiten Essaywettbewerb organisiert, faszinierende Kunsteditionen produziert und die publizistische Landschaft und die intellektuelle und journalistische Atmosphäre hierzulande etwas weltoffener und welthaltiger werden lassen.

 

www.lettre.de

www.lettre-ulysses-award.org.