DIE "GOLDENE" 100 – feiern Sie mit Lettre International

 

Helga Faber und Hans Wiedemann

 

Berlin(Weltexpresso) - Der Frühling spannt die Lettre-Macher auf spätwinterliche Folter, das sprühende Frühlingsfeuerwerk von LettreInternational hingegen will nicht länger warten, denn mit dem Frühjahrsheft 2013 feiert Lettre den 25. Geburtstag und das wollen die Leute mit ihren Gästen feiern! Schauen Sie rein!

 

Der kolumbianische Schriftsteller Héctor Abad schaut auf Europa. Europa hat ihm einst als politisch Verfolgten das Leben gerettet und aus dieser Perspektive erscheint ihm dieses Europa unendlich wertvoll. Mehr als zwanzig Zeitzeugen befragt die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch in ihrer reportagehaften Rekonstruktion Der Tod des Roten Marschalls. Ihre "Erinnerungen an drei Tage einer vergessenen Revolution" rekonstruieren den versuchten Putsch hoher Militärs und KGB-Offiziere 1991 gegen den Reformkurs Gorbatschows. Ein historisches Schicksalsereignis unter der Lupe. Der Systemtheoretiker Dirk Baecker beschreibt die Krise der Demokratie im Prozess der Selbstfindung Europas: Das Problem Europas beginnt dort, wo es sich einen demokratischen Anspruch beilegt. Welches Staatsvolk hat Europa eigentlich?

 

Die Schriftstellerin Elif Batuman porträtiert eine Frauentheatergruppe, die mit eigenen Stücken und mit Shakespeare über die anatolischen Dörfer tourt. Der römische Politikwissenschaftler Angelo Bolaffi widmet sich der veränderten Konfiguration Europas nach 1989, in der Deutschland die Rolle einer Führungsmacht übernehmen muß. Die Umbrüche von ´89 bedeuten für ihn ein neues welthistorisches Zeitalter: Die "Post-Western-World". Achim Bonte und Klaus Ceynowa skizzieren die Identitätskrise der Bibliotheken im elektronischen Informationszeitalter: Bibliothek und Internet. Mit der informationellen Selbstermächtigung des Nutzers und der Ortlosigkeit von Information braucht die Bibliothek auch als physischer Raum eine neue Rolle. Wo liegt die Zukunft? Der Sozialforscher Heinz Bude prüft die Forderung nach Generationengerechtigkeit. Für ihn ist dieses Konzept Ausdruck einer grundlegenden Veränderung des Zeitbewußtseins. Zukunft ist kein offener Horizont von Möglichkeiten mehr: Es herrscht das Empfinden einer stagnierenden Gegenwart ohne Ausweg, das Gefühl einer vergehenden Zeit, die durch keine kommende Zeit mehr abgelöst wird. Doch gilt es "im Nichts der Nacht", sich offen zu halten "für die ersten Zeichen des kommenden Tages."

 

Die indische Feministin Urvashi Butalia nimmt die grausame Gruppenvergewaltigung in Neu-Dehli zum Anlaß, die Situation der Frauen in Indien zu untersuchen. Auf das Verbrechen folgte ein Sturm der Proteste, der die politische Elite unter Druck setzte. Erlebt Indien einen historischen Umbruch? Roberto Calasso, Schriftsteller und Leiter des Adelphi Verlags konstatiert das Verschwinden großer Verlegerpersönlichkeiten und die zunehmende Austauschbarkeit der Verlagsprofile und fragt: Tendiert der Wert der Verlagsmarken gegen Null? Wie viele maschinelle Bewegungen sind erforderlich, um mit einer Kreditkarte einen Apfel zu kaufen? Bora Cosic verfolgt das Schicksal eines Apfels vom Supermarkt über jenen von Magritte zur Firma Apple. Handys, iPods, Tablets allüberall, der globale Apfel der Computerisierung breitet sich über den Kosmos aus, und es wäre nicht Übel, wenn in ihm ein Wurm auftaucht, der Wurm des Zweifels. Ins Innerste des heutigen Kunstmarktes vorgedrungen ist Alice Gregory. Sie war Ein Jahr bei Sotheby's und hat dort die Tricks und Kniffe des Geldverdienens gelernt. Tod, Scheidung und Schulden sind die Hauptgründe, sich von Kunstwerken zu trennen. Die Händler des Auktionshauses erstellen psychologische Profile potentieller Kunden, auf Cocktailpartys. Über Galeristen, Auktionäre, Kunsthändler, Sammler und Schaumschlägerei.

 

Einige Monate vor dem Tod Stéphane Hessels hat Heinz Norbert Jocks ein letztes Gespräch mit ihm geführt: Der Geist der Empörung. Hessel läßt sein Leben Revue passieren, seine Zeit als Widerstandskämpfer, als Buchenwaldhäftling, als Mitautor der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, als Freund von Jean-Paul Sartre und Claude Levi-Strauss. Der kosmopolitische Intellektuelle und Moralist erklärt, warum es notwendig ist, sich gegen die Banalisierung der Welt durch Geld und Gewalt aufzulehnen: Ein Vermächtnis an die Gegenwart. Der Anthropologe Marcel Hénaff untersucht die Kommerzialisierung immaterieller Güter. Bildung, Erziehung, Wissen, Kranken- und Altenbetreuung werden zunehmend zu Marktprodukten, mit denen Geld verdient wird. Doch bleiben unschätzbare Qualitäten untauglich für jede Kommerzialisierung, wie Liebe, Charisma, Kreativität, Vertrauen oder Respekt. Über den Wert der Dinge, die man nicht kaufen kann. Informationsüberflutung ist für Pico Iyer die bedeutendste Veränderung der letzten Jahrzehnte. Jene Menge an Daten, die von Beginn der Menschheit an bis 2003 produziert worden ist, wird heute alle zwei Tage erzeugt. Zehn Prozent aller je gemachten Photos wurden alleine 2011 aufgenommen. Wie kann der Mensch bei dieser Datenexplosion noch souveräne Orientierung finden?

 

Der albanische Schriftsteller Arian Leka schildert die Öffnung seiner Heimatstadt Dürres. In Bezug auf Berufe und Handwerker wurde Dürres als multikulturelle Gesellschaft nach 1989 ironischerweise in eine offene Stadt verwandelt, mutierte jedoch zur Monokultur. Die meisten ihrer Bürger wurden Geldwechsler, Auto- und Kleinhändler. Liao Yiwu, Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels 2012, trägt uns eine Elegie der Zeit vor, vom Geisterfest im Staate Shu über die Belagerung von Gaixia zum Geisterfest im Jahre 2058 . "Was wird einmal aus dem Schlachtfeld von heute werden? Ackerland? Sanddünen? Schlösser? Endlose Wogen rollender Köpfe? Oder ein Urchaos, in dem nichts existiert? Wie groß ist der Vollmond, wie fett, wie die Brüste einer Frau, eingeklemmt zwischen zwei Felsen, so hoch wie zehn aufgetürmte Paläste und ganz oben wirst du stehen und für uns singen. Elegie .. Elegie .. Elegie .. bis die Menschheit ausgestorben ist."

 

Der Kunsttheoretiker Boris Groys sucht die Originalität in der zeitgenössischen Kunst. "Wenn wir heute vom Internet Gebrauch machen und Daten aufrufen, werden wir sichtbar, aufspürbar für die Geister, die wir riefen. Der universelle Betrachter ist zurück und die Gedanken unserer virtuellen Seelen sind verfolgbar geworden. Der verborgene universelle Betrachter des Internets kann nur als Subjekt universeller Verschwörung gedacht werden und die Reaktion darauf kann nur die Form einer Gegenverschwörung annehmen."

Überall in der westlichen Welt schießen Museen für zeitgenössische Kunst aus dem Boden. Die Museen sind zwar nicht mehr die primären Quellen der Kunsterfahrung, aber sie präsentieren Auswahlstrategien und ihre kuratorische Leistung rückt ins Zentrum der Neugier. Sie, so Groys, werden Erlebnissorte einer Gemeinschaftserfahrung. Der einsame Kunstbetrachter von einst wird Teil einer Massenkultur neuer Art. Der Internettheoretiker Geert Lovink beschreibt den Kater nach dem Social-Media-Hype. Wenn "verlinken", "liken" und "sharen" systematische Langeweile erzeugen, wenn soziale Medien geradezu Vehikel des Nihilsmus werden, was ist dann die Alternative? Off-Line Romantik, slow communication, neue kollektive Lebensformen? - "Du musst dein Online-Leben ändern." Manuel Arias-Maldonado spürt der Anarchie der Liebe in Zeiten der Globalisierung nach. Die Flüchtigkeit von Liebesbeziehungen nimmt zu. Riesige Auswahlchancen auf dem Beziehungsmarkt, offene Lebenswege und eine Vermarktung des Gefühlslebens kreieren einen neuen Liebesdschungel, dem man sich nur unter Mühen zu entwinden vermag. Ein rigides Liebesmodell wünscht jedoch niemand zurück.

 

Der tunesisch-französische Schriftsteller Abdelwahab Meddeb skizziert in Befreiung vom Islamismus Elemente eines Gegendiskurses zu dem Diskurs der Salafisten und Wahhabisten. Robert Misrahi, Philosoph der Freude, konstatiert anhand der Befreiungsbewegungen Europas und Arabiens, daß auch unter den Bedingungen schlimmer Despotien die Freiheit des Menschen, "nein" zu sagen, stets erhalten bleibt. Doch sind wir in der Lage, dieser Freiheit eine würdige Aufgabe zuzuerkennen? Über die Suche nach dem irdischen Glück. Theatermacher Frank M. Raddatz analysiert die Postdramatische Wende in Theater. Das Regietheater, welches mit Text und Schauspielern arbeitet, wurde von einem Theatertyp abgelöst, der nur noch Performer kennt. Wo das bisherige Theater die Emanzipation des Subjekts vor dem Hintergrund der Geschichte ins Auge faßte, vermeidet das Postdramatische Theater Fragen nach Vergangenheit und Zukunft und schwelgt in reiner Gegenwart.

 

Eine warnende Stimme erhebt die ägyptische Autorin Yasmine al Rashidi hinsichtlich der Machtkämpfe am Nil. Die Muslimbruderschaft marschiert durch die Institutionen, hat mittels eines Referendums bei 30 Prozent Wahlbeteiligung eine neue Verfassung durchgesetzt und beginnt nun in durchorganisierter Weise, die ganze Macht an sich zu reißen. Der Chaos-Computer-Club-Sprecher Frank Rieger sieht in der Suche nach permanenter Steigerung der Produktivität durch die digitale Revolution einen Effizienzwahn, welche die Menschen zu elektronisch kontrollierten Arbeitssubjekten werden läßt. Der langjährige Berater von Vaclav Havel, Jacques Rupnik fragt nach dem Vermächtnis der Dissidenz. Was ist aus den großen Träumen von der Zivilgesellschaft geworden? Warum haben jene, die "in der Wahrheit leben" wollten, sich auf der Seite der Kriegslügen im Irakkrieg wiedergefunden? Was ist aus der Idee einer gesamteuropäischen Öffentlichkeit geworden? Michail Ryklin schildert Luxus in Rußland: vom Prunk der Zaren zur Verschwendungslust der neuen Oligarchen. Was ist die Triebkraft dieser Verschwendungssucht?

 

Die Schriftstellerin Sabine Scholl fragt sich, welche emotionalen und geistigen Kosten die Faszination von Gameboy und Playstation für das Lesen und die Gefühle ihre Kinder hat. Kann die elektronische Spielzeugkultur im Zeitalter des Äppäräts mit einer anspruchsvollen Erziehung einhergehen? Der Anlageberater Gary Sernovitz porträtiert den Hedgefondsmanager Steven Cohen, der zugleich einer der weltweit größten Kunstsammler ist. Nun ist dieser wegen Insiderhandel angeklagt und mit seinem Stern drohen auch die Lichter mancher Größen des Kunstmarktes zu verglimmen. Über die besessene Suche nach dem Vorsprung, die Börsenspekulant und Kunstsammler gemein haben. Antonio Tabucchi hinterließ uns Reflexionen über Literatur als Raum der Freiheit und fragte sich, ob sich das lebenslange Festhalten an Idealen und einer Haltung des Widerstands lohnt. Philippe Videlier entdeckt ein Manuskript im Überseekoffer des Schriftstellers Blaise Cendrars, welches brisante Aufzeichnungen über eine frühe Marsexpedition preisgibt.

 

Der Pekinger Schriftsteller Yan Lianke berichtet von der chinesischen Kultur kollektiven Vergessens und Verdrängens, welche die Kommunistische Partei zur politischen Strategie erhoben hat: Gedächtnisschwund. Der chinesische Dichter Yang Lian konstatiert Zynismus als Grundhaltung der Intellektuellen im heutigen China. Setzen Geldgier und Erfolgsstreben auch im literarischen und intellektuellen Milieu die Moral außer Kraft? Nichts Ernst nehmen? heißt die Parole. Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek unternimmt eine tour d'horizon durchs Geistige Tierreich unserer Zeit, das sich mit der Globalisierung auszudehnen scheint und identifiziert die sexuelle Heuchelei als ein Phänomen das zur Logik des libidinösen Lebens der katholischen Kirche gehört, zu ihrem institutionellen Unbewußten.

 

Die sprühenden, sarkastischen, humorvollen, berührenden, subversiven und explosiven Zeichnungen, Collagen, Malereien, Photographien und Graphiken sind für diese Ausgabe von Lettre entstanden und setzen Ereignisse, Situationen, Beobachtungen, Erzählungen der letzten 25 Jahre pointiert ins Bild. KUNST kommt von Michael Ackerman (USA/Israel); Martina Bacigalupo (Italien); Filip Berte (Belgien); Massimo Berruti (Italien); Monica Bonvicini (Italien); Kai Bornhöft (D); Barbara Breitenfellner (D); Juan Manuel Castro Prieto (Spanien); Tiane Doan Na Champassak (Frankreich); Francesco Clemente (Italien / USA); Frauke Eigen (D); Ewa Einhorn (Polen); Minoo Emami (Iran); Bernard Faucon (Frankreich); David Godbold (Irland); Selma Gürbüz (Türkei); Max Grüter (Schweiz); Thomas Hornemann (D); Endy Hupperich (D); Leiko Ikemura (D/ Japan); Mark Lammert (D); Jakob Mattner (D); Adriana Molder (Portugal) ; Max Neumann (D); Lila Polenaki (Griechenland); Haralampi G. Oroschakoff (D); Guerorgui Pinkassov (Rußland); Tobias Rehberger (D); Daniel Richter (D); Pico Risto (D); Daniel Schwartz (Schweiz); Joseph Semah (Israel / Niederlande); Leif Trenkler (D); Friederike von Rauch (D); Friedemann von Stockhausen (D); Lawrence Weiner (USA).

 

 

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