Das Lesefest: Frankfurt liest zum 10. Mal ein Buch. Vom 6. bis 19. Mai 2019 in Frankfurt und Region, Teil 2
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Gegen den Beifall von der falschen Seite kann man sich nicht immer wehren.
Das gilt auch für den Schriftsteller Martin Mosebach, dessen Roman „Westend“ in diesem Jahr von der Jury „Frankfurt liest ein Buch“ ausgewählt wurde und der vom 6. bis zum 19. Mai an verschieden Örtlichkeiten vorgelesen wird.
Dieser umfangreiche Roman über drei im Frankfurter Westend ansässige Familien erschien bereits 1992. Die Literaturkritik nahm ihn damals kaum wahr und wenn doch, hagelte es überwiegend Einwände. Die Einstellung seines Autors sei erkennbar rückwärtsgewandt, sein Erzählstil lediglich effektvoll, aber inhaltsleer. Martin Mosebach selbst bekannte sich freimütig dazu, reaktionär zu sein, aber nicht in einem politischen, sondern in einem geistesgeschichtlichen Sinn (ging aber nicht auf den Unterschied ein). Er glaube an die Erbsünde, an die ewige Unvollkommenheit des Menschen und an die Unmöglichkeit, auf der Erde ein Paradies schaffen zu können. Hierbei berief er sich auf den antimodernistischen und antidemokratischen Philosophen Nicolás Gómez Dávila, der ähnlich wie Mosebach auch eine Nähe zu ultra-konservativen katholischen Kreisen aufweist.
Mutmaßlich war es dieses Weltbild, das den Journalisten Michael Klonovsky veranlasste, in der Zeitschrift FOCUS (Nr. 11/2006) eine Lobeshymne auf Mosebach zu schreiben. Hier ein typischer Ausschnitt:
»Apropos Zeitgeisterei: Dass ein elitärer Einzelgänger, katholisch zudem [...], mit der seine Generation prägenden 68er-Bewegung wenig am Hut haben kann, liegt auf der Hand. Aber damals, als junger Jurastudent, im Epizentrum Frankfurt? Nein, wehrt Mosebach ab, "die Versuchung bestand für mich nicht einen einzigen Tag". Mehr noch: "Wenn diese Leute recht haben, besitze ich auf dieser Welt keine Existenzberechtigung." Er habe damals keine Autoritäten demontieren, sondern "wirkliche Autoritäten" finden wollen.«
Der Verfasser dieser Beifallsbezeugung war von Juni 2016 bis April 2017 publizistischer Berater von Frauke Petry (AfD). Von Juni bis November 2017 Sprecher der von Jörg Meuthen geführten AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag. Seit Februar 2018 ist er Persönlicher Referent des Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag, Alexander Gauland.
Ich kenne Autoren, die im Fall einer solchen (möglicherweise ungewollten) Annäherung, spätestens jedoch 2016, als die AfD ins Spiel kam, öffentlich protestiert hätten.
Aus Anlass von Mosebachs 65. Geburtstag veröffentlichte die Zeitschrift „Sezession“ im August 2016 eine Würdigung. Dieses Periodikum ist dem neu-rechten Spektrum zuzurechnen und bietet u. a. Vertretern einer „konservativen Revolution“ (Martin Lichtmesz) sowie der rassistischen „Identitären Bewegung“ (Martin Sellner) ein Forum. Auch eine Nähe zur AfD ist unübersehbar:
»In trotziger Abwendung von seiner Generation habe er gelebt, bekannte Martin Mosebach 2013, gelegentlich jedoch mit Gefühlen des Neids. Die eigene Lebenswelt als ein Atlas zu stemmen und ihr etwas entgegenzusetzen, erfordert Kraft und Ressourcen. [...] Gómez Dávila wird sich in den späten Achtzigern als philosophisch-weltanschaulicher Prägestock erweisen, der seinem geneigten Leser den Stempel aufdrückt: Mosebach wird einer seiner profiliertesten – darf man sagen: Jünger? Von nun an werden Romane mit Philosophemen gewürzt – kaum eine Beschreibung, die keine Tiefenreflexion nach sich zöge. [...] Der Erstling „Das Bett“ (1983) verarbeitet ironisch eine überzogene Holocaustlektüre der siebziger Jahre. Zwei Romane folgen im selben Verlagshaus (Hoffmann & Campe): „Ruppertshain“ (1985) und „Westend“ (1992). Allen dreien ist eines gemeinsam: Trotz der je eigenen Qualität ... ist noch nicht das Maximale erreicht. [...] Mosebach hatte den Verlag Hoffmann und Campe nach dem wenig erfolgreichen „Westend“ verlassen; er sieht es jedoch immer noch als sein »Hauptwerk« an. Man muss ihm darin nicht folgen. [...] Die Dankesrede zur Georg-Büchner-Preis-Verleihung (28. Oktober 2007) gerät zum Eklat, als wolle da einer nicht ins System eingespeist werden: Mosebachs Vergleich von Französischer Revolution und NS-Regime wird von Pressevertretern nicht akzeptiert. [...] Mosebach bleibt der Applaus verwehrt.«
In der erwähnten Dankesrede verglich Mosebach eine Rede von Heinrich Himmler von 1943 mit einer des Jakobiners Saint-Just aus Georg Büchners Drama „Dantons Tod“. Das brachte ihm den Vorwurf vieler Feuilletons ein, er relativiere den Nationalsozialismus. Der Historiker Heinrich August Winkler bezeichnete den Vergleich als Geschichtsklitterung und als Abwendung von den Zielen der Aufklärung und Demokratie.
Seine Begeisterung für den Philosophen Nicolás Gómez Dávila teilt Martin Mosebach mit Vordenkern der Neu-Rechten, beispielsweise mit dem Historiker und Literaturwissenschaftler Till Kinzel. Der veröffentlichte im Jahr 2003 ein Buch über den Kolumbianer unter dem Titel: „Parteigänger verlorener Sachen“. Die erste Auflage erschien in der von Götz Kubitschek herausgegebenen „Edition Antaios“, aus dem später der Antaios Verlag (Schnellroda) hervorging. Die Wiege von „Antaios“ stand im rechtsgerichteten „Institut für Staatspolitik“, das wiederum einer Initiative der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ entsprang.
Angesichts solcher Hintergründe stellt sich die Frage, ob die Jury von „Frankfurt liest ein Buch“ bewusst verwegen sein wollte, als sie sich für Mosebachs „Westend“ entschied. Oder ob es ein Missgriff war, der aus Unkenntnis über die Zusammenhänge erfolgte.
Die Sachsenhäuser Literaturinitiative PRO LESEN e.V. beteiligt sich deswegen in diesem Jahr nicht an dem Lesefest, sondern erinnert nach Ostern an den Schriftsteller Peter Kurzeck (1943 – 2013), der über dreißig Jahre in Frankfurt lebte und arbeitete und die Stadt in mehreren Romanen verewigte. Beispielsweise in dem Zyklus „Das alte Jahrhundert“.
Foto:
Umschlag des Buchs „Martin Mosebach: Westend“
© Rowohlt Verlag
Verwegenheit oder ein Missgriff aus Unkenntnis? WESTEND von Martin Mosebach
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