Hörbuch LUMPENROMAN von Roberto Bolaño aus der Hörverlag, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Am 15. Juli 2003 starb der chilenische Schriftsteller Roberto Bolaño an einem Leberleiden in Barcelona. Der am 28. April 1953 in Santiago de Chile Geborene lebte als Exilant seit 1977 – dem Ende der Franco-Zeit - in Katalonien. Im Jahr 2013 fallen also sein 10. Todestag mit dem 60. Geburtstag zusammen. Ein guter Grund, sich das Hörbuch LUMPENROMAN jetzt schon 'reinzuziehen', das sein letztes Werk wurde.
Das hätte Bolaño gefallen, das 'Reinziehen' seiner Werke, denn ihm war alles Aufgesetzte und gar zu Gemachte fremd, was ihm die ewige Feindschaft der Welt liebster chilenischer Welt-Wald-Wiesen Autorin Isabel Allende eintrug, die er schwach im Denken fand, was wir wiederum von Bolaño seit jeher stark fanden. Dabei ist bis jetzt das Wort Chile im Zusammenhang mit Bolaño schon fast zu oft gefallen, denn Roberto Bolaño ist in erster Linie ein auf Spanisch schreibender Autor, der größtenteils in Mexiko aufwuchs, wohin er auch zurückging, nachdem ihm 1973 – da war er 20 Jahre - die Flucht vor Pinochets Schergen aus Santiago gelungen war, wohin er damals nach dem Sieg Salvador Allendes nur dessenwegen in die Heimat zurückgekehrt war. Ein Weltautor also, dessen Schauplätze wechseln, wozu paßt, daß LUMPENROMAN in Rom spielt.
Gut, der Roman spielt in Rom, aber eigentlich spielt der Autor mit uns. Denn was hören wir da, in der Icherzählung dieser jungen Bianca, deren Eltern tödlich verunglücken und sie und den jüngeren Bruder als Vollwaisen zurücklassen, einschließlich der Wohnung, wo alles bleibt, wie es ist, also auch das Elternschlafzimmer. Die Waisenrente reicht, nicht, um mehr als Essen zu kaufen, auch der Strom kann immer wieder nicht bezahlt werden, was nicht wegen des mangelnden Lichts wichtig ist, sondern des Ausfalls vom Fernseher. Oje, das ist ein hartes Schicksal, und wir stellen uns auf eine sozialkritische Geschichte ein. Aber übergangslos wird daraus eine Abenteuergeschichte. Die Schule wird links liegen gelassen und die Geschwister leben im sicheren Gefängnis ihrer Wohnung in den Tag hinein, eben unter Einbezug von viel Fernsehen, weil auf diese Art das durch die Welt Gondeln billiger kommt, synthetische Erfahrungen gewonnen werden sozusagen, wobei dem Bruder die täglichen Pornos von der Schwester als Videoausleihe serviert werden, auch wenn sie die selber nicht so mag. Beide versichern sich gegenseitig, sie seien Jungfrauen. Das wird nicht so bleiben.
Während wir uns also im Porno wähnen, entwickelt sich die Geschichte doch in Richtung Krimi weiter. Denn der Bruder, der in einem Fitneßclub putzt, bringt zwei Typen mit, die wie Brüder aussehen, von denen aber der eine ein Libyer ist, der andere ein Bologneser. Auf jeden Fall sind beide Bianca unheimlich, und ihre Vermutung, daß etwas Schreckliches passieren wird, überträgt sich auf den Hörer. Nur kommt dann gar nichts. Denn diese beiden Typen ziehen zwar ins Elternschlafzimmer ein, aber üben auch teilweise deren elterliche Funktionen aus. Sie versorgen die beiden, sie kochen und vor allem putzen sie alles sehr reinlich – was die Wohnung wohl nötig hatte, denkt der Hörer bei sich. Dann sind sie weg.
Was denn nun? Da war doch gerade die Spannung mit diesen beiden, die auch im Wechsel und im Dunkeln die dann nicht mehr jungfräuliche Bianca beschlafen – sie will nie so genau wissen, wer gerade dran ist - und wir vermuteten schon, es gehe als Liebesgeschichte weiter, was auch gar nicht so abwegig ist, auf einmal sind die beiden Typen wie aus dem Nichts wieder da. Mit ihren Körpern, die im Studio aufgebrezelt werden, gibt sich Bianca des Nachts zwar weiterhin ab, aber die antrainierte geschwellte Muskulatur sind ihr wie „Auswüchse“. Nichts mit Körperbewußtsein, nichts mit männlichen Helden. Und sie kann nicht glauben, daß die beiden bei ihrem ersten heimlichen Auszug nichts aus der Wohnung gestohlen hatten. So war es aber.
Inzwischen füllt Bianca ihren Job im Frisiersalon nicht mehr so aus und der Bruder ist wie die beiden Typen längst entlassen. Während wir ihrem Monolog lauschen, den die Sprecherin Winnie Böwe sehr adäquat brüchig und zum Teil wie unbeteiligt spricht, hören wir immer wieder von ihrer Furcht, in die Kriminalität abzugleiten. Und als die Gefahr an sie herantritt, sagt sie „Ja“ dazu. Da gibt es Maciste, einen abgehalfterten Bodybuildingstar, alt und blind dazu, aber steinreich – wissen die drei jungen Männer – und den gilt es in seiner Villa auszurauben, wenn Bianca erst ausgekundschaftet hat, wo der Tresor verborgen ist. Aha, also doch ein Krimi mit der täglichen Suche nach dem Tresor. Aber nein. Als der Alte etwas vorsichtig vom Geschäft: Sex gegen Geld sprechen will, zeigen sich wieder einmal Biancas ausgesprochene Gleichgültigkeit wie Generosität, weil sie ihm jegliche Verlegenheit nimmt. Wir Hörer staunen, daß aus dem Sexgeschäft mit einem Mann, den sie alt und häßlich findet und dessen Körper sie mit einem Kühlschrank vergleicht, für Bianca sogar echtes Vergnügen wird. Ihre Nächte mit dem ehemaligen Muskelprotz, der Maciste heißt, weil er mit seinen Muskeln den gleichnamigen Filmhelden spielte und darob ein berühmter Filmstar wurde, sind dann auf einmal das, was ihr mehr bedeutet als der Alltag. Also doch Liebe? Und eine Liebesgeschichte? Aber nein, ein weiteres Mal. Fortsetzung folgt.
Info:
Roberto Bolaño, Lumpenroman, 2 CD, vollständige Lesung, gelesen von Winnie Böwe, Produktion Hessischer Rundfunk 2010, der Hörverlag, ISBN: 3867176229 vom 18.8.2010
Die Buchausgabe ist im Hanser Verlag erschienen.
www.hoerverlag.de