Deutsche Buchpreis Kandidatin 2011 Angelika Klüssendorf  „Das Mädchen“ nun auch bei Hörbuch Hamburg

 

 

Von Elisabeth Römer

 

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Soweit ist der Deutsche Buchpreis nun schon Tradition, daß man von ihm erwartet, daß er in der Auswahl der letzten Sechs Lesenswertes bringt. Wir haben nun zu fragen, ob das Lesenswerte auch Hörenswertes bedeutet und worin der Unterschied liegt, abgesehen davon, daß für viele Menschen das Hören auch dann ideal ist, wenn sie unterwegs sind, wo man nicht immer das Buch in der Hand halten kann. Und wir haben gerade einen erlebt, der zu Hause beim Glas Rotwein das Buch in der Hand verfolgte, was ihm als Hörbuch gerade vorgelesen wurde.

 

 

Ob er darauf geachtet hat, ob die „Ungekürzte Lesung“, die dem „Das Mädchen“ attestiert wird, auch stimmt? Wahrscheinlich hätte er ob des teilweise dramatischen Geschehens eine solche Frage vergessen und wir: wir verlassen uns auf die Angaben von Hörbuch Hamburg, wollen aber ausdrücklich hinzufügen, daß wir froh um die Originalausgabe sind, was bei 183 Seiten des Buches, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch auch leichter gefallen sein wird, als bei einem 600 Seiten Epos. Was man aber beim Hören oder beim Lesen sehr schnell erkennt, ist, daß dieses schmale Buch, diese 4 CDs es in sich haben an Lakonie auf der einen Seite und der umfassenden, psychisch vertieften Darstellung einer Kindheit, die alles entbehren läßt, was das Schöne am Großwerden sein könnte, aber eben auch zeigt, daß jeder Mensch, auch ein kleiner, in der Lage ist, sich durch die Welt zu bringen und nicht zu verzagen.

 

Über die Autorin, Angelika Klüssendorf, schreiben Klappentext des Buches, Jury des Deutschen Buchpreises, Hörbuch Hamburg und auch der Weltexpresso – vgl. Link zur Besprechung des Buches durch Claudia Schulmerich – dasselbe, weshalb wir uns anschließen: Angelika Klüssendorf, geboren 1958 in Ahrensburg, lebte von 1961 bis zu ihrer Übersiedlung 1985 in Leipzig; heute lebt sie in Berlin. Sie veröffentlichte unter anderem die Erzählungen „Sehnsüchte“ und „Anfall von Glück“, den Roman „Alle leben so“, den Erzählungsband „Aus allen Himmeln“ und zuletzt den Erzählungsband „Amateure“.

 

Für uns ist es das erste Buch und das erste Hörbuch von Angelika Nachtmann- und es wird nicht das letzte sein! Es gelingt ihr, das Kindhafte am namenlosen Mädchen genauso fühlen zu lassen, wie ihre Vereinsamung, ihren Trotz, ihre Gegenwehr und ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Bewußtsein, daß sie diese nur durch sich selbst erreichen kann. Ein Mädchen gewappnet mit Härte, Verschlagenheit, krimineller Energie und gleichzeitig voll Liebe zu ihrem ganz kleinen Bruder und voller Verantwortung gegenüber dem nur etwas jüngeren Bruder. Erstaunlich, daß wir auf einen Schlag „Kindheit in der DDR“ in mehreren Variationen erleben, die eines gemeinsam haben, daß sie als hochwertige Literatur gelten und es auch sind.

 

Nein, wir wollen nicht die ganze Geschichte verraten, weil die gehört (oder auch gelesen) werden soll. Nur die Personen sollen vorgestellt werden, die Hauptfigur an erster Stelle, die nicht in Ichform aus ihrem Leben plaudert, sondern die eingepaßt ist in eine Gesellschaft, aus der sie nur insofern herausragt, daß sie im Mittelpunkt des Geschehens steht, aber es immer nur heißt: „denkt sie…sie spürt…geht…wäscht sich…hält“. „Das Mädchen ist zwölf Jahre alt, ihr Bruder Alex sechs, seit Tagen sind sie in ihrer Wohnung eingeschlossen.“ (Seite 8) Diese unpersönliche Art der Beschreibung wird beim Hören noch unheimlicher, als sie es schon beim Lesen ist. Und geht dementsprechend unter die Haut. Julia Nachtmann macht das hervorragend, wie sie einerseits die Kühle des Textes wirken läßt, andererseits ohne jegliche Sentimentalität den Zuhörer gewinnt, sich der Erzählung hinzugeben und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen. Beim Zuhören verheddern sich oft die Gefühle, daß man einerseits geschehen läßt, was so aufgeschrieben wurde, aber andererseits auf einen wirkt, als ob man Partei ergreifen könnte und dieses Mädchen aus seinen schwierigen, ja vernichtenden Umständen retten könnte.

 

Das ist große Literatur im Kleinen. Was wir immer gerne herausarbeiten, sind die Wahrnehmungs- und auch Erfassensunterschiede beim Lesen oder Hören. Und da ist es uns diesmal so ergangen, daß wir die Überlebensstrategie des Mädchens, durch Bücher, durch das Hineintauchen in andere Welten seiner eigenen Schäbigkeit zu entfliehen, beim Selberlesen sehr viel mehr erspürten, also die genannten Bücher sofort Assoziationen an eigene Lektüre evozierten, als beim Hören. Dafür hat das Hören uns dann gelehrt, daß tatsächlich diese hochinteressanten Vorgänge im Kinderheim überhaupt nicht Zweidrittel des Buches ausmachen, sondern nur den Abschluß bilden. Wir hätten das Gegenteil geschworen. Unübertroffen also, beides zu machen: zu lesen und zu hören, zu hören und zu lesen. Und wir wiederholen den Wunsch unserer Kollegin in ihrer Rezension: Viel Glück der Heldin!

 

Info:

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/160-die-finalisten-angelika-kluessendorf-das-maedchen

 

www.hoerbuch-hamburg.de

www. Kiwi-verlag.de