Serie: Deutscher Buchpreis 2011, Teil 11
von Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Über die Autorin schreibt die Jury in Kurzbiographie:
Sibylle Lewitscharoff, 1954 in Stuttgart geboren, lebt in Berlin. Für „Pong“ erhielt sie 1998 den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2007 wurde sie mit dem Preis der Literaturhäuser ausgezeichnet, 2008 mit dem Marie-Luise-Kaschnitz-Preis. Den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt sie 2009 für „Apostoloff“.
Zum Roman teilt sie mit: Groß, gelb, gelassen: berückend selbstverständlich liegt eines Nachts ein Löwe im Arbeitszimmer des Philosophen Blumenberg. Die Glieder auf dem Teppich ausgestreckt, die Augen auf den Hausherrn gerichtet. Der gerät, mit einiger Mühe, nicht aus der Fassung, auch nicht, als der Löwe am nächsten Tag in seine Vorlesung trottet. Die Bänke sind voll besetzt, aber keiner der Zuhörer scheint ihn zu sehen. Das Auftauchen des Tieres wirkt nicht nur in das Leben Blumenbergs hinein. Auch Studenten geraten in seinen Bann, darunter der fadendünne Gerhard, ein glühender Blumenbergianer, und die zarte Isa, die sich mit vollen Segeln in den Falschen verliebt.
Zur Auswahl unter die letzten Sechs lautet die Bewertung der Jury: Eine Hommage an den unbekanntesten unter den großen deutschen Philosophen: Hans Blumenberg (1920-1996). Sibylle Lewitscharoff verwandelt sich sein bildhaftes Denken an, indem sie ihm auf halbem Weg zwischen Literatur und Theologie entgegenkommt. Mit unvergleichlichem Sprachwitz dichtet sie Blumenberg einen Löwen als Weggefährten an, erzählt von Tod und Auferstehung und erfindet Schicksale von Studenten, die in den Bann des Skeptikers gerieten. Kein biografisch angelegter Künstlerroman, sondern eine Fantasie über einen Eremiten, der sich nur in seiner Arbeitshöhle zu Hause fühlte, und ein ironisches Porträt des intellektuellen Zeitgeistes zu Anfang der 80er Jahre.
Wir meinen: Gelassenheit ist eine Zier. In der Haltung. Aber in der Literatur hat eine bewegte und bewegende Sprache, die Handlungen und Personen vorantreibt, eine gute Tradition, die Sibylle Lewitscharoff pflegt. Kennt man nach dem Lesen, den Philosophen besser? Man kennt ihn insofern besser, als man seine Attitüden kennenlernt und ihn, soweit die Autorin ihn uns zum Bild macht. Wahrheit? Darum geht es nicht. Das ist ein Roman und keine Biographie. Deshalb muß als Konsequenz betont werden: Wenn schon nicht Blumenberg, so lernen wir und doch besser kennen. Und amüsant ist die Lektüre auch.
Ceterum censeo, daß es für jedes der Bücher eine Begründung für den Deutschen Buchpreis geben könnte. Jan Brandt legt einen Wälzer hin, der einen froh sein läßt, in dieser deutschen Provinz nicht aufgewachsen zu sein. Aber er zeigt auch, daß wir Städter keine Ahnung davon haben, wie vielfältig es dort zugeht. Eugen Ruge schreibt so klug und menschenfreundlich über Typen, die sich selbst erhaben fühlen. Anglelika Klüssendorf läßt uns teilhaben an den Schmerzen eines Kindes, dessen Revolte wir mittragen, aber auch verführt werden, die Position dieses Mädchens einzunehmen, wo sie gemein und böse handelt. Es gibt nirgends den reinen Helden, das unschuldige Wesen, nein, sie sind alle miteinander recht unsympathisch, dieser "ich" aus Buselmeiers "Wunsiedel" und auch die Amy Schreiber, die "Schmerzmacherin".
Warum wir Marlene Streeruwitz für den Buchpreis ausgewählt hätten, hat damit zu tun, daß kein anderes der ebenfals guten und interessanten Romane so dicht am Heute, so politisch, so verzweifelt ist und dies in Form und Inhalt uns als Salz unter die Haut streut.
Info: Weitere Informationen zum Deutschen Buchpreis 2011 und Termine des Preisträgers rund um die Frankfurter Buchmesse können abgerufen werden unter www.deutscher-buchpreis.de