c nesbitDIE KRIMIBESTENLISTE IM JULI, Teil 1

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Die Letzten werden die Ersten sein. Das verkündet nicht nur das Neue Testament, sondern wir auch, denn WELT OHNE SKRUPEL im Verlag pulp master, der in diesem Monat noch als letzter Krimi mit auf die Liste rutschte, ist ein ganz tollen Roman. Wobei einen Platz 10 zu besetzen, ja nun nicht das Letzte ist, sondern nur von denen, die alle Sieger sind, weil sie es auf diese Krimibestenliste geschafft haben, der zuallerletzt draufgesprungene ist. Die ‚richtige‘ Einstellung der Jury zu WELT OHNE SKRUPEL sehen Sie eher das nächste Mal.

Unsere Einstellung war mit dem Lesen gegeben. Fasziniert folgten wir Klinger in eine Welt, die nicht die unsere ist, die Nisbet aber mir nichts dir nichts, zu unserer macht. Die Anteilnahme ist groß. Wobei? Fast nicht so wichtig, in diesem Roman erleben Sie für sich immer wieder, wie die Art des Schreibens, des Fühlens des Geschriebenen, der Gefühle beim Lesen ihnen unter die Haut gehen, ja geradezu süchtig machen. Tobias Gohlis hat das wunderbar ausgedrückt: „In Frankreich ist der in San Francisco lebende, 1947 geborene Jim Nisbet bekannter als in den USA oder Deutschland – nur dort gibt es einen Wikipedia-Eintrag über diesen Verfasser poetischer, musikalischer, bizarrer Kriminalromane, die ähnlich wie das Werk von James Sallis eher als Etüden über den Kriminalroman gelesen werden können denn als Normalo-Krimis. Träume, lyrische Einschübe, musikalische Anekdoten sind bei Nisbet integrale Bestandteile, Triebsätze des Geschehens, das hier noch um eine interessante Variante von Femme Fatale versus älterer Krimineller bereichert wird.“

Natürlich gibt es auch eine Geschichte, eine Handlung. Mit Klinger haben wir haben wir einen, der schon mal keinen Vornamen hat und es auch sonst nicht weit gebracht hat. Er hat sich bisher mit Kleinmist beschäftigt, ist also ein Kleinkrimineller, der meist unterm Radar sich und seinen Lebensunterhalt zusammenstückelte und nur sehr selten die Welt da draußen aus dem Gefängnis sah. Allerdings ist er Superexperte in Alkohol, nicht in der Theorie, aber als Anwendungswissenschaftler, was er nicht aufgibt, sondern mit den Jahren steigert. Er ist kein glücklicher Mensch, ganz und garnicht, denn das Saufen ist ja doch letzten Endes der schnellere Weg zum Tod, kein glücklicher Mensch, aber doch einer, der mehr Glück als die anderen hat. Denn die anderen werden verprügelt, gemordet oder geschnappt – und er lebt immer weiter seinen Trott.

Und dann passiert was. Kling, er will mit Freund Archie das große Ding drehen, einen potenten Kerl überfallen. Was kommt stattdessen raus: Archie tot, der Überfallene schwer verletzt und das Ding, das er ergattert, ist auch tot, zumindest für Klinger, der nicht weiß, was er überhaupt mit einem Handy soll. Er hat schon genug mir analog zu tun, geschweige denn, nun auch noch digital unterwegs zu sein. Bringt die Frau ins Spiel. Die schöne gefährliche Frau, die in einem Krimi mit einem so Hartgesottenen nicht fehlen darf. Hier heißt sie Marci. Denn der Überfallene ist ein Programmierer, mit dessen Smartphone Klinger nichts anfangen kann, aber Marci weiß, was drauf ist.

Warum sie allerdings von Klinger das erlösende Paßwort wartet, für das sie ihm viel Geld verspricht, können wir nicht verstehen, denn das Paßwörterknacken gehört doch heutzutage in die Klippschule für Kriminalromane zu schreiben und zu durchschauen. Aber die attraktive und steinreiche Marci – irgendwie unterläuft einem beim Lesen immer wieder die Ahnung, es handele sich um die Geliebte eines der Chefs bei Facebook oder gleich bei Apple und Konsorten, aber warum soll sie nicht die Chefin selber sein? - läßt den armen ausgeluschten noir-Verlierer nicht in Ruhe. Dabei gibt er ihr freiwillig das gute Stück, das sie aber nun ihrerseits nur ausluscht, seine Geheimnisse mit sich nimmt und verschwindet, während darauf, als Klinger vom guten Ende träumt, die Cops daherkommen, das Gerät entdecken, ihn als Totschläger festnehmen und einbuchten werden. War sie ein Spitzel, so weit denkt Klinger noch, den wir in der Grünen Minna nun einfach verlassen.

Höchste Zeit, rasch zu den anderen Kriminalromanen und ihrer Plazierung etwas mitzuteilen. Noch nie gehört von Johannes Groschupf, ein Name, den man sich ganz sicher merken wird und seinem bei Suhrkamp erschienen Debütkrimi BERLIN PREPPER auf Platz 1. Prepper, das sind doch die ganz schlauen, die jeder Erd- und Menschenvernichtung vorbeugen und alles mögliche horten. Aber Berlin? Demnächst mehr.

Und gleich der nächste Suhrkampkrimi! Friedrich Ani mit ALL DIE UNBEWOHNTEN ZIMMER auf dem zweiten Rang bringt Tabor Süden wieder ins Spiel. Lange nichts von ihm gehört. Und da sind wir doch platt. Zwei deutsche Krimis führen die Juli-Bestenliste an. Das sind ja ganz neue Töne. Welche, die uns gefallen. Und Liza Cody, die würden wir am liebsten eingemeinden. Alle ihre bisherigen Romane waren ein Gewinn, an LADY BAG und MISS TERRY denkt man sofort. Der neue spielt in der Musikszene, eine, in der heute mit das meiste Geld verdient wird (wir denken nicht an Drogen und Banken) und in der die Frauen weiterhin als Ware zum einen den Gewinn ersingen, zum anderen sich ausbeuten und benutzen lassen, was sich hier bis zum Mord ausdehnt. Amy heißt sie - nein nicht die Ermordete, denn in dieser Szene jemanden Amy zu nennen, geht schon fast zu weit, Amy Winehouse ist nah - Amy heißt die Junge, die der Ermordeten zumindest ihre Geschichte, ihr Werden und Sein zurückgeben will und wird. Ach so, BALLADE EINER VERGESSENEN TOTEN heißt ihr bei Ariadne im Argument-Verlag erschienener Nachruf.

Und jetzt erst einmal die Liste. Wie immer durch die Jury von Platz 1 bis 10 nummeriert, wobei in Klammern die letztmonatliche Rangnummer erscheint oder eben das Leerzeichen - , was demnach neu bedeutet.


DIE KRIMIBESTENLISTE JULI 


1(1)
Johannes Groschupf
Berlin Prepper
Suhrkamp, 236 Seiten, 14,95 Euro.
Berlin. 30 000 Hasskommentare löscht Onlineredakteur Walter Noack pro
Schicht, als Prepper vorbereitet auf jede Katastrophe. Unvorbereitet wird er fast
totgeschlagen, gegen die reale Hasswelt braucht es mehr als die Delete-Taste.
Der Ernstfall ist jetzt. Neues Subgenre: Berlin braun.


2(–)
Friedrich Ani
All die unbewohnten Zimmer
Suhrkamp, 495 Seiten, 22 Euro
München. Die Augenzeugen stumm, die Täter glauben sich im Recht, die
besorgten Rassisten bereiten den nächsten Schritt vor. Zwei tote Polizisten,
verdächtigte Flüchtlingskinder, da braucht es alle Ermittler: Tabor Süden, Polonius Fischer, neu Fariza Nasri. Der Irrsinn nimmt zu, Ani hält dagegen.


3(2)
Liza Cody
Ballade einer vergessenen Toten
Aus dem Englischen von Martin Grundmann. Ariadne
im Argument-Verlag, 416 Seiten, 22 Euro.
London, Las Vegas, achtziger Jahre, heute. Elly, absolutes Gehör, Komponistin
für die halbe Popwelt, mit fünfzehn Jahren bestialisch ermordet. Amy rekonstruiert ihre Geschichte: kindliches Genie in wahnwitziger Musikindustrie. Egoistische Schwestern, bizarre Mütter, scheinmächtige Kerle. Faszinierend.


4(3)
Kate Atkinson
Deckname Flamingo
Aus dem Englischen von Anette Grube.
Droemer, 336 Seiten, 19,99 Euro.
London 1940, 1950, 1981. Der Flamingo ist ein Tscheche, der Fuchs ein
Mr. Smith. Julia Armstrong von den Kindersendungen der BBC hat eine Vergangenheit in den schattigen und blutigen Falten von Weltkrieg und Kaltem Krieg.
Kunstvolles Pastiche der großen Spionageliteratur aus weiblicher Perspektive.


5(–)
Mike Nicol
Sleeper
Aus dem Englischen von Mechthild Barth.
btb, 512 Seiten, 10 Euro
Kapstadt. HEU, waffenfähiges Uran, ist es, was Isis, die Iraner, die Amerikaner,
die Chinesen, die Russen wollen. Und die Südafrikaner verkaufen es gerne, illegal. Glimmender Hintergrund, vor dem all die schlafenden Geheimdiensthunde erwachen und Fish Pescado und Vicky Kahn um ihr Leben kämpfen.


6(–)
Alan Carter
Marlborough Man
Aus dem Englischen von Karen Witthuhn.
Suhrkamp, 383 Seiten, 14,95 Euro
Marlborough Sounds. Vor den Gangstern, die er im heimatlichen England als
Undercover-Cop auffliegen ließ, versteckt sich Nick Chester samt Familie als
Landpolizist in Neuseeland. Nick erwartet den endgültigen Showdown, da
stößt er auf einen Kindermörder. Bröcklige Maskulinität vor großer Kulisse.


7(–)
Georges Simenon
Maigret im Haus der Unruhe
Aus dem Französischen von Thomas Bodmer.
Kampa, 220 Seiten, 16,90 Euro
Paris. Kommissar Maigrets allererster Fall, noch von einem „Georges Sim“
verfasst, erstmals auf Deutsch. Nächtens gesteht eine junge Frau einen Mord,
als Maigret sich umdreht, ist sie verschwunden. Mit großer Geduld belagert
Maigret eine Familie in ihrem Wahn, bis die Wahrheit aufbricht.


8(5)
Ivy Pochoda
Wonder Valley
Aus dem Englischen von Sabine Roth und Rudolf
Hermstein. Ars Vivendi, 400 Seiten, 18 Euro.
Los Angeles, Südkalifornien. Im Beifußdunst wurde auf der Aussteiger-Ranch im
Wonder Valley vergessen und verdrängt. Vier Jahre später: Ein nackter Mann
joggt durch den Morgenverkehr. Und wird zum Objekt von Erinnerungen,
Vergeltungs- und Erlösungsphantasien. L. A.: Sehnsuchtsort im Kaleidoskop.


9(6)
Harry Bingham
Fiona – Wo die Toten leben
Aus dem Englischen von Kristof Kurz und
Andrea O’Brien. Rowohlt, 544 Seiten, 10 Euro.
Wales. Im Totenhaus liegt eine weibliche Leiche, super gepflegt, nur ihre Beine
sind nicht rasiert. Das weckt Fionas Spürsinn. Der führt sie in ein Höhlensystem, eine Folterscheune und ein Kloster. Sehr fiese Erfahrungen. Aber Fiona ist
die taffste Frau im Krimikosmos. Beste Unterhaltung. Unwiderstehlich.


10(–)
Jim Nisbet
Welt ohne Skrupel
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika
Müller. Pulp Master, 233 Seiten, 14,80 Euro
San Francisco. Klingers Vorsatz, sich langsam mit doppelten Jamesons zu
suizidieren, scheitert an allzu spontanen Versuchen, sich kriminell mit
Trinkgeld zu versorgen, und an der Hinterlist einer Femme fatale aus dem
Universum der Apps und Bytes. Thekenphilosophisch noir. Dauerregen.




Die Krimibestenliste
Die zehn besten Kriminalromane des Monats Juli 2019
An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und
Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und
der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen
haben.

Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Deutschlandfunk Kultur.

Die Jury:
Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger
Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank,
„Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter
Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,
„Polar Noir“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ |
Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“| Kolja Mensing,
„Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Spiegel Online“, |
Ulrich Noller, WDR, „Deutschlandfunk Kultur“, SWR | Frank Rumpel,
SWR | Margarete von Schwarzkopf, Literaturkritikerin |Ingeborg Sperl,
„Der Standard“ | Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ | Jochen Vogt,
„NRZ“, „WAZ“


Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de
Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats in der FAS SONNTAGSZEITUNG

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