Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Wir können munter das Neue Testament wieder zitieren, denn auch FIONA - WO DIE TOTEN LEBEN von Harry Bingham aus dem Rowohlt Verlag ist einerseits auserwählt, dann aber auf den 9. Rang gerutscht. Dieser Krimi ist nämlich nicht das erste Mal dabei, sondern vorher auf Platz 6 gewesen und schon das dritte Mal dabei. Das ist immer eine besondere Auszeichnung. Wie auch immer, eine sehr sehr schräge Geschichte, die es in sich hat.
FIONA ist Fiona Griffiths, mit der Harry Bingham ein Coup gelungen ist, denn diese ungewöhnliche Kommissarin aus Cardiff hat international eingeschlagen und ihm national gleich eine Fernsehserie beschert. Das ist deshalb nicht nebensächlich, weil sicher jedem Leser auffallen wird, wie bildträchtig und bildmächtig Bingham schreibt. Man sieht die Szenen und die Personen sofort bildlich vor Augen, weshalb man auch mit der Kommissarin erschrocken und ergriffen ist, die gerufen wird und dann nächtlich beim Schein des silbernen Mondes in einer Art Friedhofskapelle, hier TOTENHAUS genannt, eine junge Frau im weißen Kleid aufgebahrt sieht. Tot. Und eine Bibel in der Hand. Schaurig. Inszeniert. Was wir in wenigen nackten Worten wiedergeben, ist Harry Bingham die schönsten literarischen Schilderungen wert, zu denen auch eine die Ergebnisse des Riechens sinnlich beschreibt. Denn die Tote sieht nicht nur gut aus, so adrett und reinlich, einfach frisch geduscht, auch die Haare strömen in dieser schrecklichen Leichenhalle einen angenehmen, ganz eigenartigen Duft aus.
Kommissarin Fiona fragt sie mitfühlend innerlich: „‘Wer bist Du? Und warum liegst du hier?‘ Die Gute schweigt, aber fürs Reden ist sie auch ein bißchen zu tot. Ich beschließe, daß sie einen Namen braucht, also nenne ich sie Carlotta.“
Alles geht zeitintensiv seinen polizeilichen Gang. Doch der stockt. Denn die Tote ist gar nicht ermordet worden. Zuvor muß sich Fiona erst einmal ihrer Haut wehren, denn die regionalen Ermittler wollen den Fall an sich ziehen, den sie doch mit Auftrag von oben zuerteilt hielt und ihn lösen soll. Das kennt sie schon, das Gerangel und das läßt sie kalt, denn sie ist längst in die Welt der Toten abgetaucht. Und rund 25 Ermittler suchen jetzt den Friedhof und die Umgebung ab: „Vermissen Sie eine Frau so um die zwanzig in einem adretten Sommerkleidchen? Es ist nämlich so: wir haben eine gefunden. Eigentlich fehlt ihr nichts, sie ist vielleicht ein bißchen tot, aber sonst...“
Doch niemand im anschließenden kleinen Ort weiß was, niemand kennt die Tote. Schon seltsam. Was so gemächlich beginnt, nimmt Fahrt auf und führt uns immer wieder in ein Kloster, das man mit Besetzung erfinden müßte, wenn es Harry Bingham nicht schon so hinreißend beschrieben hätte. Das Besondere daran ist, daß sich das Unheimliche mit dem Heimeligen die Waage hält. So geht es auch Fiona, die einerseits angezogen vom Schweigen und der Atmosphäre der dicken Mauern, doch andererseits etwas Jenseitiges spürt, daß ihr zu menschengemacht vorkommt. Wie sie auf das Kloster kam und wie sie tatsächlich beweisen wird, daß die Tote zuvor dort war, ist spannend zu lesen, führt aber so lange zu nichts, wenn die Tote weiterhin eine unbekannte Tote bleibt. Doch auch mit ihrem Namen und ihrer Geschichte rotiert der Fall, denn – wie gesagt – sie ist ja gar nicht ermordet worden, sondern von alleine gestorben. „Alleine?“ Ein Stichwort für mehr.
Lesen Sie diesen Krimi unbedingt! Wir sind in ihn verschossen.
FORTSETZUNG FOLGT
Es geht weiter mit den Neuen der KRIMIBESTENLISTE, erst aber die Liste selbst.
DIE KRIMIBESTENLISTE JULI
1(1)
Johannes Groschupf
Berlin Prepper
Suhrkamp, 236 Seiten, 14,95 Euro.
Berlin. 30 000 Hasskommentare löscht Onlineredakteur Walter Noack pro
Schicht, als Prepper vorbereitet auf jede Katastrophe. Unvorbereitet wird er fast
totgeschlagen, gegen die reale Hasswelt braucht es mehr als die Delete-Taste.
Der Ernstfall ist jetzt. Neues Subgenre: Berlin braun.
2(–)
Friedrich Ani
All die unbewohnten Zimmer
Suhrkamp, 495 Seiten, 22 Euro
München. Die Augenzeugen stumm, die Täter glauben sich im Recht, die
besorgten Rassisten bereiten den nächsten Schritt vor. Zwei tote Polizisten,
verdächtigte Flüchtlingskinder, da braucht es alle Ermittler: Tabor Süden, Polonius Fischer, neu Fariza Nasri. Der Irrsinn nimmt zu, Ani hält dagegen.
3(2)
Liza Cody
Ballade einer vergessenen Toten
Aus dem Englischen von Martin Grundmann. Ariadne
im Argument-Verlag, 416 Seiten, 22 Euro.
London, Las Vegas, achtziger Jahre, heute. Elly, absolutes Gehör, Komponistin
für die halbe Popwelt, mit fünfzehn Jahren bestialisch ermordet. Amy rekonstruiert ihre Geschichte: kindliches Genie in wahnwitziger Musikindustrie. Egoistische Schwestern, bizarre Mütter, scheinmächtige Kerle. Faszinierend.
4(3)
Kate Atkinson
Deckname Flamingo
Aus dem Englischen von Anette Grube.
Droemer, 336 Seiten, 19,99 Euro.
London 1940, 1950, 1981. Der Flamingo ist ein Tscheche, der Fuchs ein
Mr. Smith. Julia Armstrong von den Kindersendungen der BBC hat eine Vergangenheit in den schattigen und blutigen Falten von Weltkrieg und Kaltem Krieg.
Kunstvolles Pastiche der großen Spionageliteratur aus weiblicher Perspektive.
5(–)
Mike Nicol
Sleeper
Aus dem Englischen von Mechthild Barth.
btb, 512 Seiten, 10 Euro
Kapstadt. HEU, waffenfähiges Uran, ist es, was Isis, die Iraner, die Amerikaner,
die Chinesen, die Russen wollen. Und die Südafrikaner verkaufen es gerne, illegal. Glimmender Hintergrund, vor dem all die schlafenden Geheimdiensthunde erwachen und Fish Pescado und Vicky Kahn um ihr Leben kämpfen.
6(–)
Alan Carter
Marlborough Man
Aus dem Englischen von Karen Witthuhn.
Suhrkamp, 383 Seiten, 14,95 Euro
Marlborough Sounds. Vor den Gangstern, die er im heimatlichen England als
Undercover-Cop auffliegen ließ, versteckt sich Nick Chester samt Familie als
Landpolizist in Neuseeland. Nick erwartet den endgültigen Showdown, da
stößt er auf einen Kindermörder. Bröcklige Maskulinität vor großer Kulisse.
7(–)
Georges Simenon
Maigret im Haus der Unruhe
Aus dem Französischen von Thomas Bodmer.
Kampa, 220 Seiten, 16,90 Euro
Paris. Kommissar Maigrets allererster Fall, noch von einem „Georges Sim“
verfasst, erstmals auf Deutsch. Nächtens gesteht eine junge Frau einen Mord,
als Maigret sich umdreht, ist sie verschwunden. Mit großer Geduld belagert
Maigret eine Familie in ihrem Wahn, bis die Wahrheit aufbricht.
8(5)
Ivy Pochoda
Wonder Valley
Aus dem Englischen von Sabine Roth und Rudolf
Hermstein. Ars Vivendi, 400 Seiten, 18 Euro.
Los Angeles, Südkalifornien. Im Beifußdunst wurde auf der Aussteiger-Ranch im
Wonder Valley vergessen und verdrängt. Vier Jahre später: Ein nackter Mann
joggt durch den Morgenverkehr. Und wird zum Objekt von Erinnerungen,
Vergeltungs- und Erlösungsphantasien. L. A.: Sehnsuchtsort im Kaleidoskop.
9(6)
Harry Bingham
Fiona – Wo die Toten leben
Aus dem Englischen von Kristof Kurz und
Andrea O’Brien. Rowohlt, 544 Seiten, 10 Euro.
Wales. Im Totenhaus liegt eine weibliche Leiche, super gepflegt, nur ihre Beine
sind nicht rasiert. Das weckt Fionas Spürsinn. Der führt sie in ein Höhlensystem, eine Folterscheune und ein Kloster. Sehr fiese Erfahrungen. Aber Fiona ist
die taffste Frau im Krimikosmos. Beste Unterhaltung. Unwiderstehlich.
10(–)
Jim Nisbet
Welt ohne Skrupel
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika
Müller. Pulp Master, 233 Seiten, 14,80 Euro
San Francisco. Klingers Vorsatz, sich langsam mit doppelten Jamesons zu
suizidieren, scheitert an allzu spontanen Versuchen, sich kriminell mit
Trinkgeld zu versorgen, und an der Hinterlist einer Femme fatale aus dem
Universum der Apps und Bytes. Thekenphilosophisch noir. Dauerregen.
Die Krimibestenliste
Die zehn besten Kriminalromane des Monats Juli 2019
An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und
Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und
der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen
haben.
Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Deutschlandfunk Kultur.
Die Jury:
Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger
Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank,
„Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter
Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,
„Polar Noir“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ |
Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“| Kolja Mensing,
„Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Spiegel Online“, |
Ulrich Noller, WDR, „Deutschlandfunk Kultur“, SWR | Frank Rumpel,
SWR | Margarete von Schwarzkopf, Literaturkritikerin |Ingeborg Sperl,
„Der Standard“ | Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ | Jochen Vogt,
„NRZ“, „WAZ“
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de
Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats in der FAS SONNTAGSZEITUNG
1(1)
Johannes Groschupf
Berlin Prepper
Suhrkamp, 236 Seiten, 14,95 Euro.
Berlin. 30 000 Hasskommentare löscht Onlineredakteur Walter Noack pro
Schicht, als Prepper vorbereitet auf jede Katastrophe. Unvorbereitet wird er fast
totgeschlagen, gegen die reale Hasswelt braucht es mehr als die Delete-Taste.
Der Ernstfall ist jetzt. Neues Subgenre: Berlin braun.
2(–)
Friedrich Ani
All die unbewohnten Zimmer
Suhrkamp, 495 Seiten, 22 Euro
München. Die Augenzeugen stumm, die Täter glauben sich im Recht, die
besorgten Rassisten bereiten den nächsten Schritt vor. Zwei tote Polizisten,
verdächtigte Flüchtlingskinder, da braucht es alle Ermittler: Tabor Süden, Polonius Fischer, neu Fariza Nasri. Der Irrsinn nimmt zu, Ani hält dagegen.
3(2)
Liza Cody
Ballade einer vergessenen Toten
Aus dem Englischen von Martin Grundmann. Ariadne
im Argument-Verlag, 416 Seiten, 22 Euro.
London, Las Vegas, achtziger Jahre, heute. Elly, absolutes Gehör, Komponistin
für die halbe Popwelt, mit fünfzehn Jahren bestialisch ermordet. Amy rekonstruiert ihre Geschichte: kindliches Genie in wahnwitziger Musikindustrie. Egoistische Schwestern, bizarre Mütter, scheinmächtige Kerle. Faszinierend.
4(3)
Kate Atkinson
Deckname Flamingo
Aus dem Englischen von Anette Grube.
Droemer, 336 Seiten, 19,99 Euro.
London 1940, 1950, 1981. Der Flamingo ist ein Tscheche, der Fuchs ein
Mr. Smith. Julia Armstrong von den Kindersendungen der BBC hat eine Vergangenheit in den schattigen und blutigen Falten von Weltkrieg und Kaltem Krieg.
Kunstvolles Pastiche der großen Spionageliteratur aus weiblicher Perspektive.
5(–)
Mike Nicol
Sleeper
Aus dem Englischen von Mechthild Barth.
btb, 512 Seiten, 10 Euro
Kapstadt. HEU, waffenfähiges Uran, ist es, was Isis, die Iraner, die Amerikaner,
die Chinesen, die Russen wollen. Und die Südafrikaner verkaufen es gerne, illegal. Glimmender Hintergrund, vor dem all die schlafenden Geheimdiensthunde erwachen und Fish Pescado und Vicky Kahn um ihr Leben kämpfen.
6(–)
Alan Carter
Marlborough Man
Aus dem Englischen von Karen Witthuhn.
Suhrkamp, 383 Seiten, 14,95 Euro
Marlborough Sounds. Vor den Gangstern, die er im heimatlichen England als
Undercover-Cop auffliegen ließ, versteckt sich Nick Chester samt Familie als
Landpolizist in Neuseeland. Nick erwartet den endgültigen Showdown, da
stößt er auf einen Kindermörder. Bröcklige Maskulinität vor großer Kulisse.
7(–)
Georges Simenon
Maigret im Haus der Unruhe
Aus dem Französischen von Thomas Bodmer.
Kampa, 220 Seiten, 16,90 Euro
Paris. Kommissar Maigrets allererster Fall, noch von einem „Georges Sim“
verfasst, erstmals auf Deutsch. Nächtens gesteht eine junge Frau einen Mord,
als Maigret sich umdreht, ist sie verschwunden. Mit großer Geduld belagert
Maigret eine Familie in ihrem Wahn, bis die Wahrheit aufbricht.
8(5)
Ivy Pochoda
Wonder Valley
Aus dem Englischen von Sabine Roth und Rudolf
Hermstein. Ars Vivendi, 400 Seiten, 18 Euro.
Los Angeles, Südkalifornien. Im Beifußdunst wurde auf der Aussteiger-Ranch im
Wonder Valley vergessen und verdrängt. Vier Jahre später: Ein nackter Mann
joggt durch den Morgenverkehr. Und wird zum Objekt von Erinnerungen,
Vergeltungs- und Erlösungsphantasien. L. A.: Sehnsuchtsort im Kaleidoskop.
9(6)
Harry Bingham
Fiona – Wo die Toten leben
Aus dem Englischen von Kristof Kurz und
Andrea O’Brien. Rowohlt, 544 Seiten, 10 Euro.
Wales. Im Totenhaus liegt eine weibliche Leiche, super gepflegt, nur ihre Beine
sind nicht rasiert. Das weckt Fionas Spürsinn. Der führt sie in ein Höhlensystem, eine Folterscheune und ein Kloster. Sehr fiese Erfahrungen. Aber Fiona ist
die taffste Frau im Krimikosmos. Beste Unterhaltung. Unwiderstehlich.
10(–)
Jim Nisbet
Welt ohne Skrupel
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika
Müller. Pulp Master, 233 Seiten, 14,80 Euro
San Francisco. Klingers Vorsatz, sich langsam mit doppelten Jamesons zu
suizidieren, scheitert an allzu spontanen Versuchen, sich kriminell mit
Trinkgeld zu versorgen, und an der Hinterlist einer Femme fatale aus dem
Universum der Apps und Bytes. Thekenphilosophisch noir. Dauerregen.
Die Krimibestenliste
Die zehn besten Kriminalromane des Monats Juli 2019
An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und
Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und
der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen
haben.
Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Deutschlandfunk Kultur.
Die Jury:
Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger
Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank,
„Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter
Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,
„Polar Noir“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ |
Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“| Kolja Mensing,
„Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Spiegel Online“, |
Ulrich Noller, WDR, „Deutschlandfunk Kultur“, SWR | Frank Rumpel,
SWR | Margarete von Schwarzkopf, Literaturkritikerin |Ingeborg Sperl,
„Der Standard“ | Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ | Jochen Vogt,
„NRZ“, „WAZ“
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de
Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats in der FAS SONNTAGSZEITUNG