c hitzeDIE KRIMIBESTENLISTE IM SEPTEMBER, Teil 1

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Wann gab es das schon einmal? Erst 'mal erinnern wir uns nicht, daß ein Krimiautor, der ein zweites Mal auf Platz 1 kam, KALTES LICHT aus dem Unionsverlag, gleich einen Monat drauf, im September, den nächste Krimi vorlegt, wie es  Garry Disher gelang, der auf Platz 8 zusätzlich einsteigt mit HITZE, einem Roman, der aber bei Pulp Master erscheint. Aha, in zwei Verlagen, jetzt kann man das zweimalige Erschienen desselbe Autors schon besser verstehen, denn ein Verlag bringt normalerweise nicht, wenn er gerade einen Autor veröffentlicht hat, sofort das nächste Buch heraus. 

Und das ist wiederum ungewöhnlich, denn normalerweise erscheint ein Autor mit alle seinen Büchern bei einem einzigen Verlag, es sei denn, er ist schon lange tot und seine Rechte frei verfügbar. Hier aber haben wir es mit der Besonderheit zu tun, daß diese zwei Verlage vom selben Autor aber je einen eigenen Helden in eigenen Reihen publizieren. Hal Challis ist im Unionsverlag aus Zürich Serienheld, dem aber diesmal Alan Auhl die Schau stiehlt. Das ist der sehr fein gezeichnete Polizist, der alt geworden,  ausscheidet, erst mal, was er immer wollte, in England sein Glück sucht, aber wieder ob des Elends der Welt ans andere Ende der Welt kommt und sich engagiert und beim Staat als Helfer für die Gerechtigkeit weitermacht. In KALTES LICHT ist das alles nachzulesen. Wie gut dieser Kriminalroman geschrieben ist, hatten wir im August, als er herauskam, groß gewürdigt. Und nun also Wyatt, der Berufsverbrecher, erschienen im Verlag Pulp Master in Berlin als Band 8 dieser Serie.

Zum ersten Mal mußten wir bei der Charakterisierung von Wyatt an Jack Reacher, den beziehungslosen und effektiven Ex-Militärpolizisten und Rächer des Bösen von Lee Child denken, der seit den Verfilmungen das Gesicht von Tom Cruise besitzt. Nein, nein, die beiden unterscheidet alles: Wyatt begeht Verbrechen für Geld, Reacher klärt Verbrechen auf und bestraft Verbrecher auch ohne Geld. Aber ihre Kaltschnäuzigkeit und eben Effektivität ist ähnlich. Über Wyatts Gedankenspiele hält uns Garry Disher auf dem Laufenden, denn der Mann, der von den Verbrechen lebt, muß halt immer wieder schauen, wo er tätig werden kann. Er ist nänlich einer, der nicht gerne abhängig ist und darauf angewiesen, daß sich ein großer Coup auftut, bei dem er mithelfen kann, damit eine Zeitlang wieder Ruhe ist. Denn er ist nicht geldgierig, sondern lebt nur von seinem Beruf: dem Geldverdienen durch Verbrechen.

In HITZE kommt man auf seine Kosten. Erst führt Disher vor, wie kurzsichtige, testosterongesteuerte Jungmänner, ach so, Rauschgift ist auch im Spiel, um mal wieder ein Wort zu beneutzen, das durch den Begriff 'Drogen' fast aus dem Sprachgebrach verschwindet, aber doch lautmalerisch und semantisch wunderschön ist, wie töricht also diese Jungkerle beim geplanten Raubüberfall vorgehen, so daß sich Wyatt, der beteiligt sein sollte, schleunigst aus solcher Kinderei zurückzieht, was richtig war, denn das Ding fliegt auf, Tote auch, und vor allem das Problem, daß Wyatt nun schnell einen Auftrag für Geld braucht. Auf den Bankraubüerfall hätte er sich ja nur eingelassen, weil er aus Frankreich zurück, wo er einen töten mußte, was er gerne tat, nun eine anständig bezahlte kriminelle Arbeit braucht. Die kommt schnell. Denn eine Israelin, Hannah Sten, die ihm sehr glatt und geschult vorkommt, braucht einen, der in Australien, wo das Ganze spielt, ein Bild eines holländischen Genremalersaus dem 17. Jahrhundert  stehlen soll, ein Bild, das einst ihrer Familie in Deutschland gehörte und das diese billig verkaufen mußte, wenn sie ihr Leben vor den Nazis retten wollte, was nur zum Teil gelang, denn der Großvater wurde in Auschwitz vergast. 

Mit dem neuen Käufer kam das Gemälde nach England  und als dessen ganze Familie nach Australien auswanderte, wanderte das Bild mit. Zwar kommt das Wyatt merkwürdig vor, aber die Bezahlung ist gut und der Job nicht all zu gefährlich. Denkt er vorher. Und um es gleich zu sagen: erst am Schluß wissen wir, wie sehr die Anfangsgeschichte nicht so dahinerzählt wurde, sondern auf einmal ganz zum Schluß personell noch eine Rolle spielt.,weil Jack Pepper ein agressiver Irrer ist.  Mittelsmann bei allem ist ein undurchsichtiger Geschäftsmann namens Minto, der in Queensland sitzt, nah dem Ferienparadies Sunshine Coast und ihm diesen Job anbietet, der auf die Hand 50 000 Dollar bringt und nach erfolgtem Diebstahl des Gemäldes dasselbe noch mal. Nur so ist es auch zu erkären, daß sich Wyatt in diesem Krimi täglich mehrmals neue Kleider kauft, andere Verkleidungsuntensielien auch. Wir werden nämlich Zeuge und das ist unglaublich spannend, wie einer im Kopf alle Strategien seiner Gegner - neben der Polizei, dem natürlichen Gegner, entpuppt sich die Nichte des Vermittlers als die eigentliche Verbrecherin, oho, da geht was ab -, also alle Überlegungen der Gegenseite vorab durchdenkt und dann für sich jeweils eine potentielle Gegenstrategie entwickelt, zu der immer gehört, daß er so unscheinbar wie es nur geht auftritt. Und dabei lernen wir viel. Unscheinbar bedeutet nämlich nicht nicht sichtbar, sondern so sichtbar, daß jeder dabei nicht auf sein Gesicht achtet. Lieber also an Krücken gehen, denn dann wird der Behinderte in der Erinnerung gehalten und nicht die Person.

Im Ernst, man kann eine Menge über Menschen, eine Menge über Verkleidungen, vor allem eine Menge Psychologie lernen, wenn man die Gedankengänge des Wyatt verfolgt, die Disher uns in aller Schärfe vorführt. Und natürlich ist noch ein Trick dabei. Wie machen es diese Autoren, daß sie innerhalb einer Verbrecherwelt uns Leser zu denen machen, die die Daumen drücken, daß "unser" Verbrecherheld überlebt und die anderen Verbrecher ausschaltet? Das wundert mich immer wieder. Auch bei Filmen, wie willig wir zu denen halten, die uns die Autoren als Verbrecher unter Verbrechern ans Herz legen. So auch hier. Wahrscheinlich, weil die anderen Verbrecher viel verbrecherischer sind. Für Wyatt ist es nur ein Auftrag für Geld, für die Nichte, die ein Immobiliengeschäft betreibt, weil man so gut auspaldowern kann, welche Häuser noch welche Besitztümer enthalten, die man bei einem kleinen oder einem großen Raub entleeren kann, für die Nichte also sind deren Verbrechen einerseits Rache an der Welt und ihrem, sie unterdrückenden Onkel, andererseits die Sehnsucht, auch einmal so im Luxus zu leben wie ihre Kundschaft, die diese extrem schönscheuslichen Villen an der Küste bewohnen. Eine stets abwesende Hauptperson ist der Gemäldebesitzer, ein Widerling vom Erzählen her, der sich zudem als Pädophiler herausstellt, was wieder nur Wyatt ermittelt. Die anderen sind blind. 

Das muß reichen für ein Buch, das man, erst einmal angefangen, nicht mehr aus der Hand legt, was die handliche Taschenbuchform bei Pulp Master einem erleichtert, Einfach gut geschrieben. 

FORSTETZUNG FOLGT



DIE KRIMIBESTENLISTE IM SEPTEMBER

1 (1)
Garry Disher
Kaltes Licht
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Unionsverlag, 314 Seiten, 22 Euro
Melbourne. Nach fünf Jahren Langeweile als Pensionär ist Alan Auhl zurück
im Polizeidienst. Mit der Lässigkeit der Erfahrung lotet er die Grenzen des
Gesetzes aus, packt zu, wo Solidarität fehlt. Heiteres Lob eines coolen Alten,
der menschliche Bosheit stellt, wie immer sie getarnt sei. Brillant.


2 (8)
Tawni O’Dell
Wenn Engel brennen
Aus dem Englischen von Daisy Dunkel.
Ariadne im Argument-Verlag, 350 Seiten, 21 Euro
Pennsylvania. Leicht mit Problemen umgehen kann Chief Carnahan. Seien es
verschreckte Mütter, renitente Redneckfamilien oder Mädchen, die in brennenden Minen stecken. Hat sie doch selbst ihr Gewaltpotential nicht immer
kontrolliert. Feministisch, realistisch: Matriarchat kann Elend verschärfen.


3 (–)
Denise Mina
Klare Sache
Aus dem Englischen von Zoë Beck.
Ariadne im Argument-Verlag, 352 Seiten, 21 Euro
Schottland, Île de Ré. Als sich Annas Gatte mit Töchtern und neuer Frau davonmacht, hört sie gerade im geliebten True-Crime-Podcast vom Tod eines alten
Bekannten. Anlass, mit einem magersüchtigen Popstar die wahren Verbrechen
ihrer Vergangenheit zu durchforsten. Scharfer Glamour-Cocktail, geschüttelt.


4( 3)
Max Annas
Morduntersuchungskommission
Rowohlt, 352 Seiten, 20 Euro
DDR, 1983. Ermittlungen im geschlossenen System. An der Bahnstrecke zwischen Jena und Saalfeld liegt der Leichnam eines afrikanischen Vertragsarbeiters,
zerfetzt, geköpft. Otto Castorp, MUK Gera, lässt nicht los, trotz politischen
Ermittlungsverbots. Und entdeckt, was es in der DDR nicht geben kann: Nazis.


5 (–)
Dror Mishani
Drei
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke.
Diogenes, 336 Seiten, 24 Euro
Tel Aviv, Bukarest. Drei Frauen – immer derselbe Mann. Über ein DatingPortal für Geschiedene kommen Orna und Gil zusammen. Bis sie mitkriegt,
dass er sie getäuscht hat. Emilia und Ella queren auch seinen Weg. Der Rest ist
Kritikers Schweigen und Bewunderung. Vivisektion der Alltagsbösartigkeit.


6 (–)
Selim Özdog˘an
Der die Träume hört
Edition Nautilus, 288 Seiten, 18 Euro
Westdeutsche Großstadt. Nizar Benali ist Cyber-Detektiv und fahndet im
Darknet nach dem Dealer mit dem tödlichen Stoff. Und hat unverhofft selbst
einen Sohn auf dem Sofa, der auf Stress aus ist, jedenfalls schlecht erziehbar,
mit Drogenschulden. Dem er den Rücken stärken muss. Soundcheck: Passt.


7 (7)
Adrian McKinty
Cold Water
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Suhrkamp Nova, 378 Seiten, 15,95 Euro
Carrickfergus, Stranraer 1990. Frau und Kind sind schon in Schottland, Duffy
arbeitet an seinem letzten Fall. Er will das Verschwinden eines 15-jährigen
Travellermädchens aufklären – verdächtig sind Männer der Oberschicht. Doch
so sozialpathetisch geht es nicht aus. Komplex, schlau: die Duffy-Serie.


8 (–)
Garry Disher
Hitze
Aus dem Englischen von Ango Laina und
Angelika Müller. Pulp Master, 278 Seiten, 14,80 Euro
Queensland. Wyatt soll ein Gemälde stehlen. Nazi-Raubkunst, die wieder
aufgetaucht ist. Ob die Story stimmt? Wyatt ist nicht der einzige Dieb an der
Goldküste. Und hat zudem abgehängte Komplizen auf den Fersen. Da passt es
prima, dass seine Auftraggeberin Ex-Soldatin ist. Cool, cooler, Wyatt.


9 (10)
George Pelecanos
Prisoners
Aus dem Englischen von Karen Witthuhn.
Ars Vivendi, 230 Seiten, 18 Euro
Washington, D.C. Michael Hudson, Leseratte dank Knastbibliothek, glaubt an
ein besseres Leben. Privatdetektiv Ornazian lotst ihn raus. Dafür soll Michael
die Fluchtwagen steuern, wenn er und sein Kumpel Ward Kriminelle ausnehmen. Mann auf der Kante unter Dealern, Neonazis und Überlebenskämpfern.


10 (2)
Friedrich Ani
All die unbewohnten Zimmer
Suhrkamp, 495 Seiten, 22 Euro
München. Die Augenzeugen stumm, die Täter glauben sich im Recht, die
besorgten Rassisten bereiten den nächsten Schritt vor. Zwei tote Polizisten,
verdächtigte Flüchtlingskinder, da braucht es alle Ermittler: Tabor Süden,
Polonius Fischer, neu Fariza Nasri. Der Irrsinn nimmt zu, Ani hält dagegen.



Die Krimibestenliste
Die zehn besten Kriminalromane des Monats September 2019
An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Deutschlandfunk Kultur.


Jury:
Die Jury: Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger
Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank,
„Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter
Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,
„Polar Noir“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ |
Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“| Kolja Mensing,
„Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Spiegel Online“, |
Ulrich Noller, WDR, „Deutschlandfunk Kultur“, SWR | Frank Rumpel,
SWR | Margarete von Schwarzkopf, Literaturkritikerin |Ingeborg Sperl,
„Der Standard“ | Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ | Jochen Vogt,
„NRZ“, „WAZ“

Foto:
© Cover