edgar rai 7588Ein weiterer unterhaltsamer und spannender Abend im Rahmen des "Leselandes Hessen

Hanswerner Kruse

Fulda (Weltexpresso) - In der dritten Fuldaer Veranstaltung im „Leseland Hessen“ nahm Edgar Rai das Publikum auch mit auf eine gut recherchierte Zeitreise. Der Berliner Autor las aus seinem neuen - vor einem Monat veröffentlichten und gerade am Vorabend zuerst in Berlin vorgestellten - Roman „Im Licht der Zeit“.

Ende der 1920er-Jahre setzte sich in Deutschland der Tonfilm durch. Das war für viele Akteure im Stummfilm, mit schlechten Stimmen oder mangelhaften englischen Sprachkenntnissen, meist das Ende ihrer Karriere. Deutschlands größtes Studio, die UFA in Babelsberg, hinkte hinter der internationalen Entwicklung des Kinos her, mit einem richtigen Kracher wollte sie den Anschluss erreichen. Das schaffte die antisemitische und den Nazis nahestehende Filmfirma mit „Der blaue Engel“ im Jahr 1930. Der Streifen konnte trotz vieler jüdischer Beteiligter noch bei der UFA gedreht werden und wurde ein Welterfolg.

Schriftsteller Rai schildert die Intrigen, Lügen und Machtkämpfe, die seinerzeit nötig waren, um diesen ersten großen Film mit Marlene Dietrich zu realisieren. Gegen die Besetzung mit dem Revue-Girl protestierten damals Produzenten, Geldgeber aber auch andere Schauspieler: „Die ist ja noch schlechter als die Filme, in denen sie bisher mitgespielt hat.“ Jedoch Regisseur Josef von Sternberg ließ sich nicht beirren und setzte sie als Hauptdarstellerin der Varietésängerin durch. „Ich bin die fesche Lola“, sang die Dietrich - und natürlich: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt.“

So weit entspricht die Geschichte auch der Wirklichkeit, doch beim Schreiben erlaubt sich der Autor erhebliche dramatische Abweichungen von der historischen Wahrheit. Aber was heißt in der Kunst schon Wahrheit? Zog sich Marlene Dietrich wirklich bei Probeaufnahmen nackt aus, beschimpfte den Pianisten und behauptete später: „Lieber hätten die ja nur meine Beine gefilmt, ohne den Rest von mir. Aber die Beine konnte ich ja nicht alleine schicken!“ Fraß der Schauspieler Emil Jannings beim Produzenten wirklich die Lilien vom Tisch und goss sich das Blumenwasser über den Kopf?

So wie ein Spielfilm nicht die von ihm dargestellten Ereignisse dokumentiert, so fabuliert Rai ebenso in seinem fiktiven Roman. In beiden Medien geht es um die künstlerische Ausgestaltung der Wirklichkeit und dabei auch darum, bei den Zuschauenden oder Lesenden Gefühle zu wecken. Deutlich wird bereits in Rais Lesung einiger spannend und humorvoll geschriebener Episoden, wie Glaube und Hoffnung trotz vieler Unbilden Großes erreichen können. In seinem Buch über das Kino schuf der Autor quasi cineastische Bilder, dadurch konnte sich die Fuldaer Zuhörerschaft manchmal wie in einem Film im Film fühlen.

Foto:
(c) Hanswerner Kruse

Info:
Edgar Rai: Im Licht der Zeit, Hardcover, 22 Euro (Zur Seitenzahl macht der Piper-Verlag keine Angaben)