KRI DECKNAME FLAMDIE KRIMIBESTENLISTE IM OKTOBER, Teil 3

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) - Bleibt Prisoners von George Pelecanos, Ars Vivendi, ein Krimi, der nach Washington führt, in die Hauptstadt. Aber daß er in der deutschen Übersetzung  einen englischen Titel trägt, obwohl er im Original 'The man woh came uptown' heißt, gehört zu den Merkwürdigkeiten einer englischesprachversessenen Welt. Verkauft sich das besser? Den Titel versteht man ja noch, aber so manche, insbesondere Filmtitel schon lange nicht mehr. Auf jeden Fall ist hier eins auffällig. Der deutsche Titel ist der negativ gestimmte, denn da wird jemand oder alle eingesperrt, der englische dagegen ist eine Redewendung aus dem Amerikanischen, die anzeigt, daß jemand das Gefängnis verlassen darf, verlassen hat.

Das Lesen des Romans läßt dann die Übersetzungen noch in ganz anderem Licht erscheinen, denn es kann beides zugleich sein: körperlich ist man eingesperrt, aber mental hat man sich frei gemacht, so wie Michael Hudson, der im Gefängnis von Anna, einer einfühlsamen und begeisternd machenden Lehrerin, die Welt der Literatur als Befreiung erlebt, weil sie ihn innerlich freimacht.

Und dann kommt er wirklich frei, wird aber von den alten Kumpanen sofort in Beschlag belegt. Ob er den Anfechtungen erliegt und kriminell weitermacht, oder ob er tatsächlich seinen eigenen Weg in die Freiheit geht, ist dort nachzulesen.

Gute Gelegenheit an Der Sprengsatz von Nicholas Searle, erschienen bei Kindler , zu erinnern. Der kam im August auf einen Schlag auf Platz 4 der Krimibestenliste, verschwand aber im September und kommt wohl nicht wieder. Eine harte Geschichte, in der es um Terror und Krieg geht und um die Menschen, die sich als V-Männer einschleusen, oft das Gute wollen, aber das Schlechte schaffen. Den Ablauf hier kurz zu schildern, ist zu kompliziert. Auf jeden Fall ist Hauptthema das Geheimdienstmilieu und es kommt nicht von ungefähr, daß seine Kritiker und Leser gleich von John le Carré sprechen. Eine hohe Hausnummer, aber warum nicht. Es sind einfach die Geheimdienste ein Faß ohne Boden für menschlichen Verrat, auf dem sie ja aufgebaut sind. Nur geht das dann manchmal in die falsche Richtung.

Auch an Kate Atkinson mit Deckname Flamingo aus dem Droemer Verlag, wollen wir erinnern, die war im Juni auf Platz 3 eingestiegen, im Juli auf Platz 4 gelandet - und nie wieder gesehen und gehört, was schon des Titelbildes wegen schade ist. Denn der rosa Flamingo auf einem so was von blauem Hintergrund prägte sich heftig ein. Auch hier geht es um Spionage, um Geheimdienste, aber hier spielen Frauen mit. Sie ist erst 18 Jahre, als Julia Armstrong schon dazugehört, als sie unversehens Gesprächsprotokolle anfertigen soll, die britische Nazi-Sympathisanten entlarven können, denn der MI 5 (Military Intelligence, Section 5) hat in diese Gruppe jemanden eingeschleust. Das ging alles gut aus und längst arbeitet sie als Redakteurin beim Schulfunk der BBC, als das alles wieder auftaucht und sie mittendrinnen in einem Schlamassel ist, wo sie erst einmal nicht weiß, wie sie sich verhalten soll. Auch bei Kate Atkinson war die Begleitmusik John le Carré schnell zur Stelle. Aber nicht, weil erneut Geheimdienste und ihre internen Verwicklungen angesprochen sind, sondern weil sie rasant erzählt und der Leser auf einmal mittendrinnen im Strudel der Ereignisse ist und aufpassen muß, nicht weggespült zu werden.


Die KrimiBestenliste der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und von Deutschlandfunk Kultur 10-2019

Rang   (Vormonat)

1  (8)
Garry Disher: Hitze
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller.
Pulp Master, 278 Seiten, 14,80 Euro
Queensland. Wyatt soll ein Gemälde stehlen. Nazi-Raubkunst, die wieder aufgetaucht ist. Ob die Story stimmt? Wyatt ist nicht der einzige Dieb an der Goldküste. Und hat zudem abgehängte Komplizen auf den Fersen. Da passt es prima, dass seine Auftraggeberin Ex-Soldatin ist. Cool, cooler, Wyatt.

2 (2)
Tawni O’Dell: Wenn Engel brennen
Aus dem Englischen von Daisy Dunkel.
Ariadne im Argument-Verlag, 350 Seiten, 21 Euro
Pennsylvania. Leicht mit Problemen umgehen kann Chief Carnahan. Seien es verschreckte Mütter, renitente Redneck-Familien oder Mädchen, die in brennenden Minen stecken. Hat sie doch selbst ihr Gewaltpotenzial nicht immer kontrolliert. Feministisch, realistisch: Matriarchat kann Elend verschärfen.

3 (3)
Denise Mina: Klare Sache
Aus dem Englischen von Zoë Beck.
Ariadne im Argument-Verlag, 352 Seiten, 21 Euro
Schottland, Île de Ré. Als sich Annas Gatte mit Töchtern und neuer Frau davonmacht, hört sie gerade im geliebten True-Crime-Podcast vom Tod eines alten Bekannten. Anlass, mit einem magersüchtigen Popstar die wahren Verbrechen ihrer Vergangenheit zu durchforsten. Scharfer Glamour-Cocktail, geschüttelt.

4 (1)
Garry Disher: Kaltes Licht
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Unionsverlag, 314 Seiten, 22 Euro
Melbourne. Nach fünf Jahren Langeweile als Pensionär ist Alan Auhl zurück im Polizeidienst. Mit der Lässigkeit der Erfahrung lotet er die Grenzen des Gesetzes aus, packt zu, wo Solidarität fehlt. Heiteres Lob eines coolen Alten, der menschliche Bosheit stellt, wie immer sie getarnt sei. Brillant.

5 (5)
Dror Mishani: Drei
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke.
Diogenes, 336 Seiten, 24 Euro
Tel Aviv, Bukarest. Drei Frauen – immer derselbe Mann. Über ein Dating-Portal für Geschiedene kommen Orna und Gil zusammen. Bis sie mitkriegt, dass er sie getäuscht hat. Emilia und Ella queren auch seinen Weg. Der Rest ist Kritikers Schweigen und Bewunderung. Vivisektion der Alltagsbösartigkeit.

6 (4)
Max Annas: Morduntersuchungskommission
Rowohlt, 346 Seiten, 20 Euro
DDR, 1983. Ermittlungen im geschlossenen System. An der Bahnstrecke zwischen Jena und Saalfeld liegt der Leichnam eines afrikanischen Vertragsarbeiters, zerfetzt, geköpft. Otto Castorp, MUK Gera, lässt nicht los, trotz politischen Ermittlungsverbots. Und entdeckt, was es in DDR nicht geben kann: Nazis.

7 (-)
Adam Brookes: Der chinesische Verräter
Aus dem Englischen von Andreas Heckmann.
Suhrkamp, 402 Seiten, 15,95 Euro
Peking, London. Nach 20 Jahren gelingt Peanut die Flucht aus dem Arbeitslager. MI6 soll ihn rausholen, als Gegenleistung für Raketengeheimnisse. Korrespondent Philip Mangan wird widerwillig seine Kontaktperson. Die Gier der Geheimdienste bringt sie beinahe um. Pikanter Politthriller, China heute.

8  (-)
William Boyle: Einsame Zeugin
Aus dem Englischen von Andrea Stumpf.
Polar, 300 Seiten, 20 Euro
Brooklyn. Amy bringt alten Menschen die Kommunion. Als sie Zeugin eines Mordes wird, verbirgt sie die Waffe. Halt die Klappe! Ihre Lektion von Kind auf. Doch der Mörder ist hinter ihr her, und hinter der Beute, um die es bei dem Mord ging. Skrupulös erzählt Boyle vom Sehnen kleiner Leute, mit ihnen.

9 (-)
Harry Bingham: Fiona - Das tiefste Grab
Aus dem Englischen von Andrea O’Brien und Kristof Kurz.
rororo, 542 Seiten, 10 Euro
Wales. Archäologin Gaynor Charteris grub nach Relikten von König Artus. Jetzt liegt sie enthauptet in ihrem Studio, drei Speerspitzen in der Brust. Wer killt harmlose Artus-Forscher? Fiona Griffiths, Freundin aller Ermordeten, muss den Artus-Mythos knacken, Schwert Excalibur an der Seite. Abgefahren.

10 (-)
Hideo Yokoyama: 2
Aus dem Englischen von Sabine Roth.
Atrium, 152 Seiten, 16 Euro
„Präfektur D“, Japan. Verwaltungsinspektor Futawatari ist zuständig für Personalwesen, ein Hintergrund-Polizist. Zweimal lotst er durch Ermittlungen im Apparat: Ein Großer der Kripo will seinen Posten nicht räumen, eine Technikerin ist verschwunden. Leises Lob kriminalbürokratischer japanischer List.


Die Krimibestenliste
Die zehn besten Kriminalromane des Monats September 2019
An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Deutschlandfunk Kultur.

Jury:
Die Jury: Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger
Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank,
„Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter
Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,
„Polar Noir“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ |
Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“| Kolja Mensing,
„Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Spiegel Online“, |
Ulrich Noller, WDR, „Deutschlandfunk Kultur“, SWR | Frank Rumpel,
SWR | Margarete von Schwarzkopf, Literaturkritikerin |Ingeborg Sperl,
„Der Standard“ | Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ | Jochen Vogt,
„NRZ“, „WAZ“

Foto:
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