Auf der Buchmesse 2019 : Susanne Gregor, Das letzte rote Jahr, Roman, Frankfurter Verlagsanstalt, Teil 2/2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Natürlich nutzte Claus-Jürgen Göpfert die Situation und frug auch direkt nach, nach ihren eigenen Erfahrungen, wie ihre Familie das erlebte, wie ihr Vater, der kein Gegner des Regimes war, damit zurecht kam, welche Risse sich auftaten in diesem Jahr, wie der Zwist nicht nur öffentlich, sondern ebenso in den Familien ausgetragen wurden, denn es war ja nicht für alle eine Westseligkeit. Das weiß man heute, wo sich die Slowakei erst wieder aus den Tiefen der Abnabelung von Tschechien, wo 80 Prozent der industriellen Produktion stattfanden, in die Höhe gearbeitet hat. Man hatte also nicht nur das System gewechselt, sondern gleichzeitig sehr schnell und vor allem friedlich auch den eigenen kleinen Staat gegründet.
Sehr interessant dann die Antwort auf die Frage, ob es Tschechen und Slowaken den Deutschen gleich gemacht hätten und auch über Ungarn, als die die Grenze öffneten, 'rübergemacht' hätten. Nein, war die klare Antwort. Die Deutschen wären ja in ihr eigenes Land geflohen, die anderen aber hätten in Auffanglagern länger verweilen müssen, hätten erst einmal die neue Sprache, also Deutsch lernen müssen, es war also für Slowaken sehr viel existentieller, einfach zu fliehen und die Heimat zurückzulassen. So hat auch ihre Familie erst die eigene Grenzöffnung genutzt, um nach Österreich überzusiedeln, was aufgrund der beruflichen Situation ihres Vaters problemlos möglich war.
Das Interessante an den drei Mädchen sei, so Göpfert, daß ausgerechnet die linientreueste diejenige sei, die als erste in den Westen ging. Aber nein, korrigierte die Autorin sanft, die war kein Oberwendehals, sondern die war vom Charakter her die Rebellischste. Sie will alle links überholen und auch den Schwächsten helfen. Das Politische spiegelt sich in den Freundschaften und dem Familienleben, denn die drei wohnen alle in einem Haus, einem Plattenbau mit Etagen. Und wie glücklich die jeweiligen Eltern beim Einzug sind, daß die Mädchen alle in einem Alter sind, kann man sich vorstellen. Zwar lebt jede Familie in einer Wohnung...
„Dennoch verging kein Tag, den wir nicht zusammen verbrachten, in einem unserer Zimmer oder draußen zwischen den anderen gleichförmigen Plattenbauten der Siedlung oder auf dem Spielplatz hinter dem Haus, in dem kleinen Labyrinth aus Beton, das man dort für die Kinder gebaut hatte. Unsere Welt war der lange staubgraue Wohnblock in der Piestanska-Straße, Eingang Nummer 5, der erste, der zweite und dritte Stock. Dort hatten wir unser Spielzeug geteilt, phasenweise unsere Kleidung und zuletzt die abwehrende Haltung unseren Eltern gegenüber, die abends meistens in unserem Wohnzimmer zusammensaßen, Wein tranken und diskutierten.“ (15f)
Das Gespräch am FR-Stand über diesen Roman bliebe auch dadurch so lebendig, daß man ständig mitdenken mußte, ob nun gerade die Vita der Autorin befragt und verhandelt wurde oder die der drei Mädchen. Denn es hat ja das eine mit dem anderen zu tun, nur nicht in platter 1:1 Übertragung. Und die klare Frage, welches denn heute ihre Heimat sei, ob sie Österreicherin oder Slowakin sei, hebelte die Autorin charmant weg und lächelte alle an, sie habe heute zwei Heimaten. Das kann man so gut verstehen, und leider war die Situation nicht geeignet, nachzufragen, wo ich jedesmal die mit den zwei oder mehr Heimaten packe, nämlich die Frage, zu wem sie halten, wenn, wie hier zum Beispiel: die österreichische Fußballmannschaft gegen die slowakische spiele. Aber das ist wirklich eine verschärfte nationale Frage und gleich wieder vergessen.
Stattdessen ging es ans Eingemachte der Slowakei. Daß ihre alten Landsleute sich heute derart abschotten gegen 'Fremde', keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, den Weg durch ihr Land auch nicht haben wollen, führt die Autorin auf die vielen Jahrzehnte der Isolierung hinter dem Eisernen Vorhang zurück. Denn gerade diese alten Kulturländer haben ja im Habsburgerreich einen Vielvölkerstaat gelebt. Ja, sie empfindet ihn immer noch, betont Susanne Gregor, den Spalt, den Graben zwischen Ost und West, nicht mal für ihre eigene Person, sondern, daß er im Leben zwischen Slowakei und Österreich eine Rolle spielt.
Und wie es in der DDR die Wendeverlierer gibt, die einen Schnitt zu ihren Ungunsten erlebt haben, gibt es auch in der Slowakei diejenigen, die einen sozialen Sturz, ja Absturz erlebten und mit einer gewissen Nostalgie sagen: „So was gab es unter den Sozialisten nicht.“ Unsereiner hörte da genau hin, denn wenn im heutigen Westdeutschland von den Ex-DDRlern gesprochen wird, denen der Fall der Mauer den Boden unter den Füßen entzog, heißt es dann immer die Kommunisten von drüben, selbst die heutige Linke wird noch heute gerne als die Kommunisten bezeichnet.
Ob es Fiktion ist oder wirklich so war, daß sich Slavkas Vater, Profisportler, bei der Teilnahme an einer Skimeisterschaft in Stockholm abgesetzt hatte und Maria, ihre Mutter, dies seit 10 Jahren beklagt, ist dem Leser unwichtig, denn spätestens bei Marias Tränen und Lamentieren ist er längt in die Geschichte eingetaucht, die auf so interessante wie rührende Weise vom letzten Jahr unter den Bedingungen der alten Tschechoslowakei erzählt, wo die Sprünge sichtbar, die Menschen voller Argwohn und Hoffnung und alles in Bewegung ist.
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Susanne Gregor, Das letzte rote Jahr, Roman, Frankfurter Verlagsanstalt