Serie: INFERNO von DAN BROWN im Lübbe Verlag, Teil 2/4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Anders als Langdon, weiß der Leser von Anfang an, daß ihn das „Konsortium“, eine teure und gut ausgerüstete Vereinigung zum perfekten Umsetzen von Zielen, verfolgt, das sicherstellen will, daß dessen Auftraggeber – eben dieser GEn-Manipulator Zobrist – seinen letzten unheimlichen und gefährlichen Willen ungehindert in die Welt setzen darf.
Wie wir nach und nach entschlüsseln, geht es um die Konsequenz, die der transhumanistische Forscher aus der Übervölkerung der Erde – das Buch enthält detaillierte Schaubilder über den rasanten Anstieg – zieht, die er mittels neuerer Gen-Technologie und ohne Mord um die Hälfte reduzieren will, wie es einst im 13. Jahrhundert – dem Jahrhundert Dantes – auf 'natürlichem' Wege die Pest tat. Auch wenn Langdon nicht weiß, um was es genau geht, weiß er doch inzwischen, daß er wie auf einer Schnitzeljagd bestimmte Passagen aus Dantes INFERNO, dem ersten Teil dessen Göttlicher Komödie, wo er mit Vergil die Höller erforscht, genau kennen muß, um die nächsten Schritte zu suchen und die Vermeidung vom drohenden Unheil zu finden.
Bis er allerdings an eine Danteausgabe herankommt, hangelt er sich aus eigenem Geistesblitz und an eigenen Armen durch die Geheimgänge von Florenz und die doppelte Decke vom Palazzo Vecchio, wo sich die dramatischsten Szenen abspielen, denn bei jedem der 104 Kapitel geht es am Ende für Langdon fast buchstäblich zu Ende. So funktionieren Thriller, die Dan Brown hier etwas sehr stereotyp abwickelt. Auf den Paukenschlag zu Kapitelende folgen oft neue Auslassungen, die des Professors kunstgeschichtliche Kenntnisse ausbreiten, weil in ihnen die Lösung des nächsten Problems steckt.
Ungehindert dieser öfter doch als Mechanik empfundenen Schreibart, ist wirklich zu bewundern, wie konsequent Dan Brown die Kunst- und Architekturgeschichte nutzt. Die Stadt Florenz anzusprechen, das heißt ja erst recht in der Verbindung mit Dante das hohe und späte Mittelalter zu evozieren und gleichzeitig den Frühhumanismus und die Frührenaissance ins Spiel zu bringen, die aus jedem Mauerstein dieser unglaublichen Stadt noch heute atmen. Wir bewundern, daß es einem Menschen möglich ist, soviel kunsthistorisches Wissen und mittelalterlichen Zeitbezug in einem von Millionen von Menschen gekauften und gelesenen Thriller auszubreiten und für den Normalleser interessant werden zu lassen.
Allein die Flucht Hunderte von Seiten lang über den einst geheimen Gang der Medici verlaufen zu lassen, der den Wohnsitz der Fürstenfamilie, den Palazzo Pitti quer durch die Altstadt von Florenz mitsamt der Überquerung des Arno mit dem Rathaus der Stadt, dem Palazzo Vecchio verbindet, ist eine famose Idee, wie überhaupt die Stadt Florenz Dan Brown nicht nur zum Ehrenbürger ernennen sollte, sondern in Publikumsbefragungen und statistischen Zahlen verkünden sollte, wie viel das für Florenz gebracht hat: dies INFERNO, das der Stadt Florenz ein Denkmal setzt und als neuer Reiseführer für Florenz ins Gepäck jedes Kulturtouristen nach Florenz gehört!
Als Kunsthistorikerin liest man diese Passagen über die Kunst- und Bauwerke mit einem zweiten Blick. Mag sein, daß der 'normale' Leser dies eher überfliegt. Unsereiner liest das besonders genau, denn eine geheime Lust sagt einem im Inneren, daß man gerne Kunstfehler dieses kunstbeflissenen Robert Langdon fände, die der Schriftsteller Dan Brown ja diesem auch gut in die Schuhe schieben kann und nicht auf die eigene Kappe nehmen muß. Aber außer einer richtigen, einer unterbelichteten und einer Sache, wo wir auf der Suche nach dem Unheil des Zobristen einfach schneller gewesen wären als der gute Langdon, haben wir keine Fehlstellen gefunden, wobei wir kein weiteres Material heranzogen, als unseren eigenen Kopf, unser eigenes Wissen und unser eigenes Gedächtnis.
Was Dante angeht, wollen wir das erst noch tun. Die vielen Zitate im Buch schreien danach, im Original nachgelesen zu werden, was wir tun wollen. Beim Lesen des Thrillers hält dies zu sehr auf. Und so wie wir Florenz viele zusätzliche Touristen wünschen, so wünschen wir auch viele zusätzliche Danteleser. Ist es nicht verrückt, daß einer, der in seinem Namen im Jahr 2013 einen Thriller veröffentlichen kann, so sehr viel mehr Leser erreicht, als es der 1265 in Florenz geborene und am 14. September 1321 in Ravenna gestorbene Dante Alighieri mit all seinen Schriften bis heute je tat. Sicher, das ist nur quantitativ gesprochen, denn qualitativ hat Dante sehr viele Menschen zum Nachdenken und Mitempfinden bewegt, was man schon daran sieht, daß einer wie Dan Brown seine Dichtung und Philosophie noch im 21. Jahrhundert für einen Reißer nutzt. Fortsetzung folgt
INFO:
Dan Brown, Inferno, Lübbe Verlag ISBN 978-3-7857-2480-4
Auch als Hörbuch und E-Book erhältlich