Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Nein, diesmal fangen wir nicht mit denen an, die nicht mehr auf der Liste stehen, die einen, weil nach vier Mal dabesein endgültig Schluß ist, die anderen, weil sie nach einem Höhenflug auf die Liste, wieder im Nirwana verschwinden, was aber nicht heißt, daß sie im Folgemonat wieder zu den zehn besten Kriminalromanen gehören können. Diesmal fangen wir mit der Ersten und dann den ganz neuen an.
Sarah Schulman ist mit TRÜB von Ariadne im Argument Verlag im Dezember gerade noch auf den 9. Platz gerutscht, hat sich im Januar auf den dritten Rang vorgearbeitet und nimmt jetzt den Spitzenplatz ein. Wie es dazu kommt? Ganz einfach, die Juroren können nicht alle auf einmal alle neuen Krimis lesen, lesen aber -hoffentlich - alle, die auf die Krimibestenliste gelangen. Aber das dauert. Sie können ihr Votum natürlich erst dann festlegen, wenn sie das Buch gelesen haben, und so kann es rauf und runterrutschen in der Wertung, aber meist geht der Zug nach oben weiter.
Achtung! TRÜB ist ein Buch, das den Titel hat, wie einem selber beim Lesen zumute wird. Aber eben nicht so, daß man am liebsten die Ohren und Augen verschließen möchte, sondern gerade andersherum: man will alles genauer wissen. Die Kehrseite des Landes, dem ein Trump als Trampel vorsteht, das er durch seine Existenz und durch sein Verhalten prägt, auch wenn genauso richtig ist, daß er selbst bei seinem gesellschaftlichen Aufstieg von der Angebermentalität geprägt wurde. Daß uns Autorin Sarah Schulmann doch einen Hoffnungsschimmer mit auf den Weg gibt, hat mit der Protagonistin Ex-Cop Maggie Terry zu tun, die sich aus den tiefsten menschlichen Abgründen der tödlichen Sucht befreit hat, was erstaunlich ist, aber nicht gleichbedeutend damit, daß sie ihren alten Beruf - sie ist eine Wahrheitssucherin, eine Aufklärerin! - als Polizistin wieder ausüben könnte. Sie ist froh, total froh, daß sie nach ihrem Entzug als private Ermittlerin in einer Anwaltskanzlei arbeiten darf. Und nimmt ihre Arbeit ernst, tödlich ernst.
Wichtiger als die Geschichte selbst wird einem beim Lesen die eigentliche Hauptperson: die Stadt New York. Sollte man sagen: der Mythos New York. Mir geht es dabei so, wie auch an anderen Orten, die einmal für den Fortschritt und ein aufgeklärtes interessantes Leben standen und jetzt hinfällig, baufällig, rattenverseucht und widerlich stinkend sind. Nein, nein, natürlich gibt es in New York noch die Glitzerecken, der Trump Tower macht es ja vor, Aber Sarah Schulman, 1958 in New York City geboren, läßt uns den Verfall der Stadt, die einstige Hoffnung gekehrt in Hoffnungslosigkeit spüren. Es ist zwischen den Zeilen ein solcher Jammer um ein Lebensgefühl, das es einst gab, das beschwingt und auch ohne viel Geld phantastisch leben ließ. Und jetzt: die Drogen, der Alkohol, der Schmutz, der Tod in den Straßen, die auch in Manhattan so aussehen, als seien die Aliens über sie hinweggebraust. Dazwischen Nobelstraßen, wo aus den alten Kästen funkelnde Lebemenschetagen wurden, die natürich mit Bewachung - das allerdings gab es schon in den Siebziger Jahren - nur für ihresgleichen betretbar sind. Aber nicht alles ist verfallen, wir sagten es schon, auch die glitzernde Seite tritt im Roman auf und fordert ihr Recht auf Bewunderung. Daß da immer trotz aller Versuche, das Leben völlig den Geldströmen gleichzuschalten, ein anderes Leben möglich ist, auch das ist eine Konsequenz für Maggie Terry, die eins ums andere Mal wieder Kontakt mit anderen Menschen aufnimmt. Positiven Kontakt.
Und wenn wir schreiben, New York ist die Hauptperson, so stimmt das wirklich, allerdings wird nicht dick aufgetragen, sondern die Stadt spielt diese Hauptrolle im Buch eher beiläufig, unter der Hand. Denn offiziell geht es um Verbrechen und da läßt Maggie nicht locker. Das ist ein Buch, das man dem Präsidenten ohne Kleider am liebsten auf die nackte Haut schriebe. Mein Güte, was gibt es zu tun in dieser Stadt, in diesem Land, um Menschen Hoffnung zu geben, daß sie ihr Leben wieder meistern lernen, wozu die ökonomischen Verhältnisse gehören, die dies möglich machen. Die Handlung? Doch die gibt es wirklich und da agieren Menschen, nicht nur die Stadt. Aber dennoch ist das Eigentliche dieser städtische Moloch und der weibliche Ex-Cop, den wir auf seinen Weg begleiten.
Sarah Schulman hat schon viele Romane geschrieben, die bei Ariadne erschienen sind, Berühmt wurde sie mit 'Ohne Dolores', wie der Klappentext informiert und auch 'Sophie Horowitz", als zwei von sieben Romanen, die schon in den 80ern und 90ern erschienen sind. Sie ist so eine, die quer liegt und queer dazu, was man Lesbian and Gay Bewegung (LGBT) nennt, maßgeblich unterstützt.
Fortsetzung folgt.
DIE KRIMIBESTENLISTE vom FEBRUAR 2020
1(3)
Sarah Schulman
Trüb
Aus dem Englischen von Else Laudan.
Ariadne im Argument Verlag, 270 Seiten, 20 Euro
New York 2017. Suchtkranke verstehen was von Sucht. Maggie Terry nutzt ihre
zweite Chance. Als Privatermittlerin eines Anwalts quält sich die Expolizistin, nach
dem Entzug geschüttelt von Flashbacks und Versuchungen, ermittelnd zurück ins
Soziale. Vereinsamt, verraten, in einer kranken Stadt.
2(–)
Attica Locke
Heaven, My Home
Aus dem Englischen von Susanna Mende.
Polar, 322 Seiten, 22 Euro
„Hopetown“, Ost-Texas. Ein neunjähriger Bengel ist verschwunden, Blacks und
Native Americans verteidigen ihre Heimat am Lake Caddo, Trump ist gewählt.
Darren, schwarz, Texas Ranger, konstruiert Beweise gegen die „Arische
Bruderschaft“, will seinen Leuten helfen, seinen Job behalten, das Richtige tun.
3(–)
Nicci French
Was sie nicht wusste
Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller.
C. Bertelsmann, 446 Seiten, 16 Euro
London. Neve hat mit Künstlermann ohne Job, Kindern und Beruf genug am
Hut, da kommt ihr die Affäre mit dem Chef wie die große Freiheit vor. Bis sie ihn
tot im Stelldichein findet, die Spuren von Mord und Affäre beseitigt und abhaut.
Gut gemachtes Hohelied auf die toughe Durchschnittsfrau.
4(–)
Ahmed Saadawi
Frankenstein in Bagdad
Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich.
Assoziation A, 296 Seiten, 22 Euro
Bagdad 2005. Aus den versprengten Resten von Anschlagsopfern bastelt Geschichtenerzähler und Trödler Hadi den „Soundso“, ein Monster, beseelt von den
Vergeltungswünschen und Sehnsüchten einer Stadt in Angst und Verwirrung.
Anspielungsstarke Horror-Krimi-Parabel auf Verzweiflung, Angst und Gewalt.
5(2)
Melba Escobar
Die Kosmetikerin
Aus dem Spanischen von Sybille Martin.
Heyne, 320 Seiten, 9,99 Euro
Bogotá. Karen ist Spezialistin für Depilationen im „Haus der Schönheit“. Als
eine siebzehnjährige Kundin tot aufgefunden wird, gerät Karen zwischen die
Fronten: hier reiche Politiker, da die Aufklärung fordernde Mutter. Des Mordes
beschuldigt, steht die Kosmetikerin allein da. Noir unter Frauen.
6(10)
Robert E. Dunn
Dead Man’s Badge
Aus dem Englischen von Philipp Seedorf.
Luzifer, 356 Seiten, 14,95 Euro
Texas. Longview Moody, Geldkurier eines Drogenkartells, entkommt seiner
Hinrichtung und gibt hinfort als sein Bruder Paris Tindall den Polizeichef im
Grenzort „Lansdale“. Der fest in den Klauen der DEA und eines anderen Kartells
ist. Longview weiß, wie man solche Leute zurechtstößt. Rasanter Thriller.
7(5)
John le Carré
Federball
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Ullstein, 352 Seiten, 24 Euro
London. Nat und Ed, alternder Spion und radikal junger Remainer, ein wenig
Vater und Sohn, bei 15 Badmintonspielen. MI6 und Bruderdienst CIA in Zeiten
von Brexit und Trump: wenig Verstand, politisch konfus, dreist korrupt. Le Carré
mit 88: liebenswürdig, klar, elegant. Verficht Jugendtraum Europa.
8(1)
Hannelore Cayre
Die Alte
Aus dem Französischen von Iris Konopik.
Ariadne im Argument Verlag, 203 Seiten, 18 Euro
Paris. Madame Portefeux übersetzt seit 25 Jahren Arabisch für die Polizei. Ihr
Verdienst geht für das Altenheim der Mutter drauf. Als sie auf einen Berg
Haschisch stößt, greift sie zu. Alle leben vom Drogenhandel – warum nicht sie?
Nieder mit der Heuchelei, die Frechheit an die Macht!
9(4)
Regina Nössler
Die Putzhilfe
Konkursbuch, 402 Seiten, 12,90 Euro
Senden, Berlin-Neukölln. Klassenwechsel: Die promovierte Soziologin
Franziska lässt in der Münsterländer Provinz Mann und Haus hinter sich, taucht in
Berlin unter und verdingt sich als Putzhilfe. Raffiniertes Spiel mit Krimi- und
Sozialklischees. Ganz aus der Perspektive dreier verstörter Frauen.
10(–)
Liz Moore
Long Bright River
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus
Timmermann. C.H. Beck, 414 Seiten, 24 Euro
Philadelphia. Kacey nimmt Drogen, Mickey ist Polizistin, im Stadtteil geht ein
Frauenmörder um. Das ist der Rahmen für den Schwesternkampf, hier die
alleinerziehende Mutter, rechtschaffen und pflichtbewusst, da die unbeherrschte
Abhängige. Drumherum Opioid-Katastrophe. Wem ist noch zu trauen?
Die Krimibestenliste, wo kann man sie lesen, wer erstellt sie, wo wird sie veröffentlicht?
WO? außerhalb von WELTEXPRESSO
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de
Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats: www.faz.net
Die zehn besten Kriminalromane des Monats Februar 2020 sind allerdings nur noch über online verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste. Leider gibt es die Liste seit 2020 nur noch im Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren?
An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur.
Die Jury: Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger
Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank,
„Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter
Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,
„Culturmag“, „Deutschlandfunk Kultur“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter
Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung“ | Alf Mayer, „Culturmag“, „Strandgut“ | Kolja Mensing,
„Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Der Spiegel“ | Ulrich
Noller, „Deutschlandfunk Kultur“, „Deutschlandfunk“, SWR, WDR | Frank
Rumpel, SWR | Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude,
„Frankfurter Rundschau“ | Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“
Foto:
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Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank,
„Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter
Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,
„Culturmag“, „Deutschlandfunk Kultur“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter
Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung“ | Alf Mayer, „Culturmag“, „Strandgut“ | Kolja Mensing,
„Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Der Spiegel“ | Ulrich
Noller, „Deutschlandfunk Kultur“, „Deutschlandfunk“, SWR, WDR | Frank
Rumpel, SWR | Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude,
„Frankfurter Rundschau“ | Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“
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