Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im Januar 2020 Teil 2
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Höchste Zeit, nach Platz 1 mit Hannelore Cayres DIE ALTE auf die weiteren Frauen, die an der Spitze stehen, einzugehen. Mit Melba Escobars DIE KOSMETIKERIN ist ein von einer Frau geschriebener kolumbianischer Kriminalroman meiner Erinnerung nach das erste Mal auf die Krimibestenliste gelangt Und auf Anhieb auf Platz 2. Das freut einen schon deshalb, weil nach den brasilianischen, den argentinischen, den uruguayischen, - ja, welchen denn noch, da war noch was, - die Liste der weiblichen Autorinnen in diesen vom Machismo geprägten katholischen Ländern anwächst. Da wir betonten, daß gleich zweimal der Beruf den Titel der Protagonistin ausmacht, muß man bei der KOSMETIKERIN hinzufügen, daß dies allein der deutsche Titel ist, denn im Original heißt es übersetzt: DAS HAUS DER SCHÖNHEIT, wir würden wahrscheinlich sagen müssen: SCHÖNHEITSSALON.
Wie auch immer. Ein ganz bitterböser Krimi, der nicht die Last der Geschichte den unterdrückenden Männern zuschiebt, sondern vormacht, was man nicht nachmachen sollte, weder als Mann noch als Frau: das Übel zu erkennen, nichts zu tun, schlimmer noch: es zum eigenen Vorteil nutzen. Aber da sind wir schon auf der letzten Seite des Romans angekommen. So schnell geht das Lesen nicht, auch wenn es flüssig dahingeht, weil Melba Escobar im Grund mit uns spricht, nein, nicht sie persönlich, sondern die beiden Erzählerinnenstimmen, die uns ansprechen. Es sind zwei, darauf kommt man bald, weil sie Unterschiedliches von uns wollen, eben auch aus unterschiedlichen Positionen heraus, uns ansprechen. Das ist raffiniert gemacht, weil der Leser, die Leserin durchaus mitdenken muß, um die literarische Konstruktion zu verstehen, die einem beim Lesen schnell in Fleisch und Blut übergeht. Wir lernen Karen kennen, das ist die Kosmetikerin, die für ihren Beruf brennen muß, denn das verlangen die Chefinnen und eben auch, daß das eigene Kind bei der Oma, Karens Mutter verbleiben muß, will sie ihren Beruf mit voller Hingabe ausübern. Die 'volle Hingabe' ist zwar eine Aussage aus dem Beamtengesetz, mit der man nämlich das Beamtendasein leben soll, ach was, nicht das Dasein leben, sondern nur den beruflichen Teil, aber so wie die Besitzerin des Schönheitssalon das versteht, gilt das auch für ihren, weshalb weder für Kinder noch für sonstige Sperenzchen Platz ist.
Erst einmal ist Karen froh, endlich eine feste Stelle zu haben und nicht mehr als Prostituierte den Männern zu Diensten sein zu müssen, deren Ehegattinnen sie nun im Schönheitssalon behandelt. Aber auch die Männer. Ob sie will oder nicht. Denn sie avanciert zum Star im Salon, ihre sanften Hände will auch die Ich-Erzählerin und (gemeinerweise) Psychotherapeutin Claire Dalvard auf ihrer Haut spüren, die zudem bei der Behandlung noch mehr spürt, was sie eher amüsiert zur Kenntnis nimmt. Das schreibt sie alles auf, denn sie will über Karen ein Buch schreiben, zusammen mit ihrer Freundin Lucía. In der Folge ist es ein absoluter Glaubwürdigkeitsverlust, den sie beim Leser bewirkt. Besser: Persönlichkeitsverfall. Obwohl es nicht um Wahrheit geht, sondern um das, was man daraus macht. Das kann man aber erst beurteilen, wenn man vom Mord weiß, der vorgefallen ist. Ein ganz junges Ding, noch Schülerin, kommt überraschend in den Salon und zu Karen und will sich 'da unten' rasieren lassen. Alkoholisiert ist sie auch und am nächsten Tag ist sie verschwunden, wird dann tot aufgefunden. Karen war die letzte, heißt es, die sie lebend gesehen hat.EL
Karen gehört zu den Menschen, die glauben, wenn sie sich korrekt verhalten, werden sie von anderen auch so behandelt. Werch ein Illtum, kann man da nur mit Ernst Jandl sagen. Denn korrespondierend zu ihrer Beliebtheit bei den Kunden - die merken, daß alles, was sie beim Entspannen unter den sanften Händen so ausplaudern, bei der korrekten Aufsteigerin Karen bleibt, die ja nicht nur spart, um sich eine Wohnung leisten zu können, wo ihr Kind Platz findet, sondern eben eine Gute ist, die zurechtkommen will. Darum sagt sie erst einmal nichts, als sie von der Toten hört. Längst kommt Lucía ins Spiel, deren Mann einer ist, der in die Meetoo-Debatte gehört - und schlimmer. Der Mann ist ein bekannter Schriftsteller, was allerdings getürkt ist, denn sie ist es, die schreiben kann und es auch tut. Aber sie fand es bequem, daß er den öffentlichen Rummel erledigen muß; für ihn ist es ein 'erledigen darf', denn längst hält er sich für den Schriftsteller, den er für andere vorführt. Dies Sujet konnte man gerade in dem artifiziellen Film DER NOBELPREISTRÄGER erleben, wo man verfolgen konnte, wie einen die Situation dann doch mitnimmt, die Bücher selber zu schreiben, dann zu erleben, wie der eigene Mann ob dieser Bücher in den Himmel gehoben wird, während man selbst, der doch die Ehrung zukäme, unsichtbar, je älter, desto unsichtbarer durchs Leben geht.
Aber der Nobelpreisträger war halt nur ein Mann, aber dieser hier ist ein Waschlappen, der, wenn er Macht wittert, diese ergreift und ausübt. Selten so einen widerlichen Typen erlebt. Darum lebt Lucía inzwischen auch von ihm getrennt. Wir sind Zeuge, wie Karen das Gute will und vom Schlechten überrannt wird, wobei die beiden älteren Damen aus den besseren Verhältnissen, die beiden Freundinnen Claire und Lucía, denen doch Karen so gefiel, dem Teufel die Leiter halten. Ein Buch, das erst mal locker daherkommt, das aber die Schrecken den Lesern ins Hirn bläst.
Daß die Autorin betont, ihre Geschichte basiere auf Tatsachen, blutigen Tatsachen, glauben wir sofort. Sie hat das Verbrechen und die Folgen aber auf eine derart doppelbödige Art beschrieben, daß dies einem schlimmer vorkommt, als eine reine Schilderung der Tatsachen.
Über die Autorin
Melba Escobar de Nogales wurde 1976 in Cali in Kolumbien geboren. Nach einer Dokumentation über die Träume der Kinder von Bogotá, einem autobiografischen Roman und einem Jugendbuch war Die Kosmetikerin ihr erster Kriminalroman. Escobar arbeitet auch als Journalistin für kolumbianische Zeitungen.
DIE KRIMIBESTENLISTE vom JANUAR 2020
1(2)
Hannelore Cayre
Die Alte
Aus dem Französischen von Iris Konopik.
Ariadne im Argument Verlag, 203 Seiten, 18 Euro
Paris. Madame Portefeux übersetzt seit 25 Jahren Arabisch für die Polizei. Ihr
Verdienst geht für das Altenheim der Mutter drauf. Als sie auf einen Berg
Haschisch stößt, greift sie zu. Alle leben vom Drogenhandel – warum nicht sie?
Nieder mit der Heuchelei, die Frechheit an die Macht!
2(–)
Melba Escobar
Die Kosmetikerin
Aus dem Spanischen von Sybille Martin.
Heyne, 320 Seiten, 9,99 Euro
Bogotá. Karen ist Spezialistin für Depilationen im „Haus der Schönheit“. Als
eine siebzehnjährige Kundin tot aufgefunden wird, gerät Karen zwischen die
Fronten: hier reiche Politiker, da die Aufklärung fordernde Mutter. Des Mordes
beschuldigt, steht die Kosmetikerin allein da. Noir unter Frauen.
3(9)
Sarah Schulman
Trüb
Aus dem Englischen von Else Laudan.
Ariadne im Argument Verlag, 270 Seiten, 20 Euro
New York 2017. Suchtkranke verstehen was von Sucht. Maggie Terry nutzt ihre
zweite Chance. Als Privatermittlerin eines Anwalts quält sich die Expolizistin, nach
dem Entzug geschüttelt von Flashbacks und Versuchungen, ermittelnd zurück ins
Soziale. Vereinsamt, verraten, in einer kranken Stadt.
4(8)
Regina Nössler
Die Putzhilfe
Konkursbuch, 402 Seiten, 12,90 Euro
Senden, Berlin-Neukölln. Klassenwechsel: Die promovierte Soziologin
Franziska lässt in der Münsterländer Provinz Mann und Haus hinter sich, taucht in
Berlin unter und verdingt sich als Putzhilfe. Raffiniertes Spiel mit Krimi- und
Sozialklischees. Ganz aus der Perspektive dreier verstörter Frauen.
5(1)
John le Carré
Federball
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Ullstein, 352 Seiten, 24 Euro
London. Nat und Ed, alternder Spion und radikal junger Remainer, ein wenig
Vater und Sohn, bei 15 Badmintonspielen. MI6 und Bruderdienst CIA in Zeiten
von Brexit und Trump: wenig Verstand, politisch konfus, dreist korrupt. Le Carré
mit 88: liebenswürdig, klar, elegant. Verficht Jugendtraum Europa.
6(7)
James Lee Burke
Mein Name ist Robicheaux
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger.
Pendragon, 600 Seiten, 22 Euro
New Iberia. Männerrivalität: Politiker Nightingale und Schriftsteller Broussard
ringen um den wahren Süden, einer als Kandidat, einer als Filmemacher.
Dazwischen Robicheaux, der nicht weiß, ob er im Suff den Mann umgebracht hat,
der seine Frau tötete. Abgründe der Gewalt, vom Epiker aus Louisiana.
7(4)
Norbert Horst
Bitterer Zorn
Goldmann, 320 Seiten, 13 Euro
Dortmund. Im Krieg zweier Clans wird ein Mädchen entführt. Ein junger
Einbrecher ist auch verschwunden. Steiger behält im Dauerstress klaren Kopf
und hat Ideen. Das Gesetz (des Handelns) halten andere in der Hand.
Straßenrealistisch, seelengenau: Bei Norbert Horst wird Polizeialltag Literatur.
8(8)
Simone Buchholz
Hotel Cartagena
Suhrkamp, 230 Seiten, 15,95 Euro
Hamburg, Cartagena. Henning ist der Seemann, der nie wieder nach Hamburg
zurückkommen will. Sein Glück findet er im kolumbianischen Cartagena, sein
Unglück auch, das kommt aus der Hansestadt. Chastity und Freunde werden
Geiseln eines großen Racheakts. „Überall schwarze Löcher.“ Blow-out.
9(–)
Bernhard Aichner
Der Fund
btb, 348 Seiten, 20 Euro
Rita, seit achtzehn Jahren an der Supermarktkasse, findet zwölf Kilo Kokain im
Bananenkarton und nimmt es mit. Da muss doch was drin sein im Rest des Lebens.
Es war der Beginn ihres Untergangs: Leider ist sie tot. Ein Kriminalist befragt
aussageunwillige Zeugen. Actionschleuder pur, helles Koks-Märchen.
10(5)
Robert E. Dunn
Dead Man’s Badge
Aus dem Englischen von Philipp Seedorf.
Luzifer, 356 Seiten, 14,95 Euro
Texas. Longview Moody, Geldkurier eines Drogenkartells, entkommt seiner
Hinrichtung und gibt hinfort als sein Bruder Paris Tindall den Polizeichef im
Grenzort „Lansdale“. Der fest in den Klauen der DEA und eines anderen Kartells
ist. Longview weiß, wie man solche Leute zurechtstößt. Rasanter Thriller.
Plätze im Dezember (in Klammern: Vormonat)
WO? außerhalb von WELTEXPRESSO
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de
Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats: www.faz.net
Die zehn besten Kriminalromane des Monats Januar 2020 sind allerdings nur noch über online verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste. Leider gibt es die Liste seit 2020 nur noch im Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren?
Die Krimibestenliste
An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur.
DIE JURY
Die Jury: Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank, „Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,„Crimemag“, „Deutschlandfunk Kultur“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ | Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Spiegel Online“ | Ulrich Noller, „Deutsche Welle“, WDR |Frank Rumpel, SWR | Margarete von Schwarzkopf, Literaturkritikerin |Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ |Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“
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