Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Von vorne. Ronan Farrow, das ist der 32jährige Sohn von Mia Farrow und Woody Allen, der spät, aber noch rechtzeitig in den Fragen des gegenüber der Schwester übergriffigen Vaters dieser Recht gab, seinen Vater nicht sehen will, aber im Verlauf der Weinstein-Recherchen immer wieder darauf stieß, daß Weinstein ein Freund und Förderer von Woody Allen ist. Aber nicht nur von ihm, eigentlich war Weinstein – und er geht davon aus, dies auch weiterhin sein zu können - die Geheimzentrale von Hollywood, der, der die Filme finanzierte, auch über Besetzungen bestimmte, also so was wie ein Impresario des gesamten Filmgeschäfts in den USA war. Gottvater für die einen, ein Teufel oder Diktator für andere.
Man könnte sagen, daß Ronans Artikel im New Yorker, der das Ganze Unterfangen, Weinstein für seine Taten zu belangen, in Gang setzte, mit diesem Buch von 525 Seiten seine endgültige Unterfütterung und Beweislast erhält, weil Ronan einen lückenlosen Bericht seiner Recherchen abliefert, die massiven Drohungen der anderen und seine eigene Angst, das Entziehen der materiellen Grundlage durch Entlassung etc. wirklich im Detail wiedergibt. Manchmal wird einem das fast zu viel, weil man die im 7seitigen enggeschriebenen Namensregister und 14 Seiten Anmerkungen Personen und Vorgänge nicht kennt, aber die Funktion des übergenauen Berichtes aller Gespräche, E-Mails, Treffen u.a. versteht: Für das Filmgeschäft in den USA, für die Print- und Online-Medien, für die Fernsehsender wie NBC und MSNBC, wo Farrow als Moderator und Investigativjournalist beschäftigt war, ist dieses Buch die wesentliche Grundlage, um in dem Dschungel von Abhängigkeiten, Feigheit, Lügen, Verbrechen, auch Mut und Durchhaltewillen einen Pfad zu legen, so daß jeder, der in diesem Bereich arbeitet, das System, wie versteckt oder offen bedroht wird, erkennen kann. Er hat sozusagen sowohl ein Wörterbuch über die beteiligten Personen erstellt, wie auch ihre Handlungen dargestellt. Dazu muß er gar keine eigenen Wertungen vorbringen, wir Leser machen uns selbst den Reim, wenn Farrow erst einen Mann zitiert, wie dieser etwas bestreitet und vier Wochen später einen schriftlichen Bericht erhält, der beweist, daß dieser Mann gelogen hat.
Das soll auch heißen, daß das Buch sehr sachlich geschrieben ist, eigentlich auch auf moralische Wertungen verzichtet, aber die Vorgänge knallhart darstellt. Ronan Farrow, der ein Jurastudium absolviert hat und gerade zusätzlich eines der Politikwissenschaften abgeschlossen hat, ist sicher durch seine Zuhause für das Thema sensibilisiert, zumal er genau in dem Bereich von Film, Fernsehen, Medien groß geworden ist, wo das Thema Metoo am schärfsten stattfand und stattfindet und also auch bei der Ahndung und Aufarbeitung an erster Stelle steht.
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß überall, wo Männer Macht über Frauen haben, zu viele von ihnen dazu neigen, diese Macht auf persönlicher Ebene auszuspielen, indem sie Frauen zu Gespielinnen degradieren, sie nötigen, ihre sexuellen Spielchen mitzumachen, sie angrapschen, anmachen, stalken oder – und das kommt hier zu kurz, sie psychisch an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen - und darüber hinaus. Wir haben es also mit einem weltweiten System der Verfügungsgewalt von Männern über Frauen zu tun, das außer Kontrolle geraten ist, wenn es je unter Kontrolle war. Denn man mag kaum glauben, daß in früheren Zeiten und engerem moralisch-ethischem Gerüst für den einzelnen und die ganze Gesellschaft dies anders war. Das zeigen beispielsweise die immer wieder kaum glaublichen Mißbrauchsfälle, vorwiegend in der Katholischen Kirche. Sicher gibt es auch Chefinnen, die ihre männlichen Untergebenen zu sexuellen Handlungen nötigen, aber dies ist allein der wenigen weiblichen Machtpositionen wegen nicht zu vergleichen.
Es geht bei dem gesamten Vorgang, der mit Metoo einen umgangssprachlichen Ausdruck gefunden hat, der ganz gut zusammenfaßt, um was es geht: daß es auch mir passiert ist, daß ich als Frau von einem Mann unter Druck gesetzt wurde, mich seinen sexuellen Avancen zu fügen. Also Metoo. Auch dies geschah in einem halböffentlichen, halbehrenamtlichen Umfeld, wo ich, als ich mich bei den vielen Versuchen diesen Mannes als stur und nicht fügsam erwies, in einer verantwortlichen Position damit bestraft wurde, daß der Chef die Schlüssel meines Arbeitsbereichs auswechseln ließ, ich also nicht mehr Zugang hatte. Als ich mich damals an die wandte, die dieses Problem hätten lösen können, wurde mir geantwortet: „Das ist doch privat. Das müßt Ihr miteinander ausmachen.“ Eine Absurdität, wenn der eine die Macht hat, die andere nicht.
Darum ist das Schweigen der anderen, das Wegsehen derer, die doch gesehen hatten, das Ungeheuerliche, was nicht zu akzeptieren ist. Denn, wie Farrow detailliert beschreibt, waren die Anzüglichkeiten all der von ihm dargestellten Chefs bekannt. Genauso wie die von ihnen vorgenommenen sexuellen Handlungen. Aber die, die davon wußten, schwiegen. Dieses Schweigen zu brechen, ist der erste Schritt, solchen Männern das Handwerk zu legen - innerhalb dieser Grauzone von männlichen Handlungsweisen an Frauen, die so schwer justiziabel verfolgbar sind, im Gegensatz zu nackter sexueller Gewalt wie Vergewaltigungen, die Frauen sofort mit Sicherung von Beweismaterial anzeigen sollten. Wirklich sofort.
Das Problem ist ja, und Farrow geht auch darauf ein, daß solange eine Abhängigkeit besteht, erst recht ein Lehrverhältnis mit dem Bekanntmachen und Verfolgen der sexuellen Übergriffe, die ursprüngliche personelle Konstellation von diesem Mann und dieser Frau nicht mehr möglich ist. Deshalb schweigen ja so viele Frauen, weil sie das, was sie machen, weitermachen wollen, was auffliegt, wenn sie darüber sprechen und manche Ungeheuerlichkeit bekannt geben.
Gestern stand in der Zeitung, was in Frankreich seit Tagen die öffentlichen Diskussionen bestimmt: die sexuellen Mißbrauchsvorwürfe von jungen Sportlerinnen gegenüber ihren Trainern, wie es die frühere französische Eiskunstläuferin Sarah Abitbol gerade in einem Buch kundtat: „Sie waren mein Trainer, ich war gerade 15 Jahre alt, und Sie haben mich vergewaltigt.“ Dies als Beispiel, viele werden folgen. Denn das Faß ist aufgemacht und von Farrow in seinen Fällen verantwortlich belegt worden.
Von ganz anderer Art und anderer Öffentlichkeit ist, wozu unsere Redaktion gerade eingeladen wurde. Da heißt es
Freitag, 14.02.2020
Kassel - 15:30
Tanzaktion «One Billion Rising» gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen
Mit der Aktion wollen die Veranstalter laut eigenen Angaben darauf aufmerksam machen, dass jede dritte Frau weltweit sexuelle Gewalt erfährt.
+ 1200 Protesttanz auf dem Vorplatz des Gymnasiums Philippinum, Leopold-Lucas-Straße 18, Marburg
+ 1600 Protesttanz auf dem Marktplatz, organisiert vom Frauenbüro der Stadt Hanau
+ 1600 Protesttanz auf dem Postplatz in Bad Wildungen
+ 1700 Protesttanz auf dem Dorfplatz in Friedewald
(Königsplatz - 34117)
Das wollten wir doch gerne weitergeben.
Foto:
© Rowohlt.de
Info:
Ronan Farrow, DURCHBRUCH. Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen
Rowohlt 2019
© Rowohlt.de
Info:
Ronan Farrow, DURCHBRUCH. Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen
Rowohlt 2019