KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für August 2013
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Da sind wir aber froh! Denn beim letzten Mal wunderten wir uns, warum die neue Manotti auf der KrimiZeit-Bestenliste nicht verzeichnet war. Sie war wohl zu neu, weshalb wir uns bei der Pressestelle des Verlages bedanken, daß wir schon wußten, welche Wucht die französische Autorin wieder vorlegt. Dabei ist das 'neu' zu interpretieren. Denn seit diese Autorin auch in Deutschland so erfolgreich ist, werden ihre älteren Werke ebenfalls übersetzt und herausgegeben.
ZÜGELLOS ist der zweite Kriminalroman Manottis. Im dritten ROTER GLAMOUR wird sie noch schärfer die herrschend Clique der Mitterand-Ära aufs Korn nehmen und entlarven, wie ehemalige Revoluzzer eine Seilschaft in die Sphäre der Wirtschafts- und Politikbosse ausbauen und persönlich nutzen. In ZÜGELLOS beginnt dies und da der Roman zwischen dem 1. Juni und dem 10. November 1989 spielt, erhält das Pferde-, Drogen- und Menschenhandelsdrama noch den zentralen politischen Geleitschutz.
Commissaire Daquin ist der harte Kerl mit der Vorliebe für schöne Männer, allerdings tut ihm auch ein starker Espresso und weiland Jazz gut! Nur nicht die Sachen, zu denen sich da Reiche und Mächte verschworen haben und die so aberwitzig erscheinen müssen, daß sich auch das erfolgreiche Inspektorenteam erst einmal schwer tut: Pferde, Jockeys, Drogen, Geld. Agathe leitet die Konzernkommunikation der PAMA. Diese führt gerade eine Aktionärsversammlung durch. Ein Aufsichtsratmitglied ist Jubelin. „Habe ich richtig gehört? Jubelin erklärt dem Präsidenten gerade den Krieg?“ wird die fast gleichgültige Agathe gefragt und gleich anschließend in der Abstimmung für Jubelin entschieden.
Wir sind mittendrinnen in einem uns lange völlig undurchsichtigen Geschehen, das der Mord an einer Informantin beim Pferderennen auslöst. Lange geht es dann um Ställe und Rennen und Wetten, sehr viel um Partys mit reichhaltigem Koksgenuß. Elegant und zwingend führt Dominique Manotti die Lebewelt mit der Pferde- und Finanzwelt zusammen, was durch die Verbindungen mit dem Niedergang des Ostblocks und den zu erwartenden Geschäften für die westlichen Kapitalisten das I-Tüpfelchen erhält. Was das Lesen zusätzlich motiviert, die ist knappe, ja karge Sprache, die selbst die Fakten liefert und uns das Urteil überläßt.
Auf Platz 2 gerutscht ist LEICHENDIEB von Patricia Melo aus dem Verlag Tropen, dessen Lob von uns schon gesungen wurde und der das dritte Mal dabei ist. Über die Autorin gibt es aber andere aufregende Nachrichten im Zusammenhang mit der Buchmesse. Bald mehr. Auch OSAMA auf Platz 3 von Lavie Tidhar aus dem Verlag Rogner&Bernhard wurde schon das letzte Mal, als er auf dem fünften Platz Einzug hielt, gewürdigt. In der Tat ein ganz ungewöhnlicher Roman, der im übrigen lange nachwirkt, weil er Welten eröffnet, die man noch durchschreitet, wenn die Fiktion längst zu Ende gelesen ist. Auch GUN MACHINE von Warren Ellis aus dem Heyne-Verlag ist wieder dabei. Von Platz 2 auf den vierten Rang verwiesen, treibt Detective Tallow weiter in Manhattan die Aufdeckung des Waffengroßhandels, oder wie soll man die Ansammlung der Waffen aller Serienkiller Amerikas nennen?
Neu auf Rang 5 aus dem Suhrkamp Verlag DER KATHOLISCHE BULLE von Adrian McKinty. Mehr dazu demnächst, was auch für VERMISST von Dror Mishani auf dem 6. Platz gilt, bei Zsolnay erschienen.
Arne Dahls BUSSESTUNDE aus dem Piper Verlag ist vom 4. Rang auf den 7. Platz gerutscht. Wir hatten schon kurz berichtet, daß mit diesem zehnten Band die A-Gruppe ihr Ende findet, was der Roman auch schlüssig als Konsequenz aufweist. Es beginnt mit Lena Lindberg aus der Gruppe, die ahnungslos Zeugin eines Mordes an einer jungen Frau wird. Lange weiß man selber nicht, was es mit den anorektischen Frauen auf sich hat, die durch das Buch geistern, überleben, sterben. Dramatisch wird es durch die ebenfalls betroffene Tochter Tora vom Chef Paul Hjelm, so daß die Verfolgung der Mörder nicht nur professionell vorgenommen wird, sondern die Vatergefühle der eigentliche Triebmotor werden.
Der eigentliche Aufhänger ist der verschwundene Geheimdienstchef und mit welchen Methoden hier Paul Hjelm um die Welt gejagt wird, sich dem und den vielen Zeichen, die er entschlüsselt, stellt und diese löst, ergibt schon von selbst Spannung. Die erhält sich aber auch durch die konsequente Erzählweise des Autors. Arne Dahl bringt das wirklich gut zusammen: den Ernst der Lage, politisch und auch so, die Wagnisse des Lebens, den Spaß wie die Routine, die Bösen wie die Guten, von denen die meisten Halbgute sind, die nationalen Bösewichter und die internationalen Verbrecher. Ja, ja, es gibt auch Halbschlechte, entscheidend aber ist, daß das Böse hier einen Namen findet und einen gesellschaftspolitischen rechtsradikalen Hintergrund.
Auf den 8. Platz ist Stephen Dobyns DAS SFEST DER SCHLANGEN von C. Bertelsmann aufgerutscht. Auch über diese undurchsichtige Geschichte im Kleinstadtmilieu hatten wir schon berichtet. Die neuen auf den beiden letzten Plätzen sind auf dem neunten Rang Matthew Stokoe mit EMPTY MILE aus dem Arche Verlag. Da erinnern wir uns an High Life, das auf der KrimiZeit-Bestenliste von Mai 2012 stand und Stokoe erstmals ins Deutsche brachte. Auf Platz 10 folgt neu DIE TOTEN, DIE NIEMAND VERMISST von Hjorth & Rosenfeldt aus dem Rowohlt Verlag. Da geht es um Mordfälle in Nordschweden, die mit Geheimdiensten zu tun haben. Mehr darüber das nächste Mal.
Die KrimiZEIT-Bestenliste August 2013
Lfd. Nr. |
Rang |
Vor-monat |
Titel |
1 |
1 |
(-) |
Dominique Manotti: Zügellos Aus dem Französischen von Andrea Stephani Argument/Ariadne, 286 S., 18,00 € Paris 1989. Im Osten wankt die Mauer, bei Paris brennen die Pferde. Versicherungsbetrug, Drogenhandel, Rosstäuscherei, Begünstigung, Mord – Wirtschaftsbosse und Polit-Amigos hemmungslos im Bereicherungsrausch, gereifte 68er am Ruder. Scharfer Witz und klare Sprache: Manotti. |
2 |
2 |
(1) |
Patrícia Melo: Leichendieb Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita Tropen, 208 S., 18,95 € Corumbá, Grenze Brasilien/Bolivien. Dem namenlosen Icherzähler dieser moralischen Groteske fällt beim Angeln ein Flugzeug vor die Füße. Darin der sterbende Sohn eines reichen Viehzüchters und ein Kilo Koks. Welch ein Glück! Der Angler beginnt zu handeln: mit Stoff, mit Leichen, mit Zukunft. Melo ist Extraklasse. |
3 |
3 |
(5) |
Lavie Tidhar: Osama Aus dem Englischen von Julia Gräbener-Müller Rogner & Bernhard, 312 S., 22,95 € Vientiane/London/New York. Privatdetektiv Joe sucht den Mann, der Osama bin Laden erfand. Plausible Realitätsumkehr: Al-Kaida als Fantasieprodukt eines Serienschreibers. Auf der Suche nach der Wahrheit der Fiktion taumelt Joe wie durch Drogenwelten, gehetzt vom Komitee gegen Gegenwärtige Gefahr KGG. |
4 |
4 |
(2) |
Warren Ellis: Gun Machine Aus dem Englischen von Ulrich Thiele Heyne, 384 S., 9,30 € Manhattan. Detective Tallow entdeckt eine Schatzkammer mit den Waffen aller Serienkiller Amerikas. Der „Jäger“ nutzt dieses Arsenal auf seinem eigenen blutbespritzten Kriegspfad: Manhattan den Indianern! Wunschalbtraum des Comicautors Ellis: mit Polizeisirene in die ewigen Jagdgründe! Voll abgedreht. |
5 |
5 |
(-) |
Adrian McKinty: Der katholische Bulle Aus dem Englischen von Peter Torberg Suhrkamp, 384 S., 19,95 € Belfast 1981. DS Duffy, einziger Katholik unter Protestanten, glaubt fest an die Aufklärungspflicht der Polizei. Harter Job im glimmenden Bürgerkrieg. Jagt er Schwulenmörder, IRA-Bosse oder protestantische Paramilitärs? Wem nützt sein Wahrheitswille zuletzt? Duffy blickt durch: angeschossen, aber optimistisch. |
6 |
6 |
(-) |
Dror Mishani: Vermisst Aus dem Hebräischen von Markus Lemke Zsolnay, 352 S., 17,90 € Cholon, Israel. Inspektor Avraham liebt es, die Fehlschlüsse von Krimi-Detektiven aufzudecken. Im Fall des verschwundenen Jugendlichen Ofer Sharabi erfährt er quälend, dass die komplexe Realität auch seinen unbestechlichen Ermittlerblick trüben kann. Very sophisticated. Vielversprechendes Debüt. |
7 |
7 |
(4) |
Arne Dahl: Bußestunde Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt Piper, 462 S., 19,99 € Stockholm/Bagdad. Verschwunden: der mächtigste Polizist Schwedens. Entführt: anorektische Frauen. 1 Fall für Paul Hjelm, 1 Fall für die A-Gruppe. Dahl spinnt globales, reißfestes Garn, zwischen Ellroy und le Carré. Zehnter und bester Band um das beamtete Ermittlungskünstler-Kollektiv. |
8 |
(9) |
Stephen Dobyns: Das Fest der Schlangen Aus dem Englischen von Rainer Schmidt C. Bertelsmann, 544 S., 14,99 € Brewster, Rhode Island. Ein neugeborenes Baby ist weg, die Plazenta auch. Kojoten streifen durch die Gassen, ein Junge trainiert Telekinese. Der Versicherungsdetektiv wird skalpiert. Zwischen Realem, Eingebildetem und Inszeniertem führt Dobyns akrobatische Erzählsprünge vor: Kleinstadthorrorverbrechensvergnügen pur. |
|
9 |
9 |
(-) |
Matthew Stokoe: Empty Mile Aus dem Englischen von Joachim Körber Arche, 400 S., 24,95 € Oakridge, Kalifornien. Weil Johnnie einmal nicht aufgepasst hat, ist sein kleiner Bruder jetzt geistig behindert. Weil diese Schuld nicht getilgt werden kann, ist er wehrlos den Attacken sadistischer Nachbarn ausgesetzt. Mit dem Hammer geschriebene Apokalypse aus dem Land des großen Goldrauschs. |
10 |
10 |
(-)
|
Hjorth &Rosenfeldt: Die Toten, die niemand vermisst Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein Rowohlt Polaris, 624 S., 14,99 € Stockholm/Jämtland. Im nordschwedischen Fjäll werden die Leichen von vier Erwachsenen und zwei Kindern gefunden. Beharrlichkeit und Zufall bringen die Reichsmordkommission auf die Spur obskurer Geheimdienstoperationen. Selbst in Schweden treibt der Krieg gegen den Terror grausliche Blüten. |
INFO:
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.
Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste
- im NordwestRadio am Donnerstag, den 1. August 2013 mit Tobias Gohlis gegen 8.50 Uhr im Nordwestradio Journal und in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html
in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 1. August 2013 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste
Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury setzt sich zusammen aus:
Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt
Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Gunter Blank, Sonntagszeitung
Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau
Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal inzwischen darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt. und die wir für 2012 ebenfalls kommentierten.