c long liz mooreSerie: DIE KRIMIBESTENLISTE im März 2020 , Teil 1

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Dies schreiben wir, bevor am Sonntag die neue, die Märzliste  (Anmerkung ganz unten!) erscheint! Das ist deshalb wichtig, weil wir gerade die letzten Zeilen von Liz Moores LONG BRIGHT RIVER, erschienen bei C.H. Beck, gelesen haben, ein Roman, der im Februar gerade noch als letzter, also zehnter auf die Krimibestenliste kam und von dem wir erwarten, daß er im März ganz vorne steht.

Denn natürlich spielt auch der Zufall bei der Liste mit, und sicher haben sich nicht alle Jurymitglieder sofort auf Liz Moore gestürzt, wie es zum Beispiel bei Fred Vargas wäre, die wir jetzt nehmen, um anmerken zu können, daß wir geradezu sehnsüchtig auf eine Fortsetzung warten. Inzwischen ist uns sogar egal, aus welcher ihrer Reihen. Es muß nicht Adamsberg sein, aber es muß sein. Seit dem Verlagswechsel von Aufbau zu denen, die mehr Geld bieten, ist doch nur der eine – wie immer wunderbare - Roman erschienen. Das hat natürlich mit LANG BRIGHT RIVER nicht das Geringste zu tun, was nicht nur am Thema liegt.

Fällt Ihnen auch auf, daß die letzten amerikanischen Kriminalromane fast alle, eigentlich wirklich alle um Drogen gehen. Waren es früher eher die Machenschaften von Drogenhändlern und ihren Opfern, so künden die letzten Romane alle von den Opfern, man kann natürlich auch hier sagen, von den Tätern, die sehenden Auges in ihren Untergang gehen und mit den Drogen anfangen, von denen sie dann nicht mehr runterkommen. Ganz egal welche. Und in den USA kommt in großem Umfang Tablettenmißbrauch hinzu, längst eine eigene Verbrechensgeschichte. Und damit der Unterschied der als Sammelbegriff benutzten Drogen deutlich wird, hier der Wikipediaeintrag:

„Opioide ist ein Sammelbegriff für eine chemisch heterogene Gruppe natürlicher und synthetischer sowie semisynthetischer Substanzen, die morphinartige Eigenschaften aufweisen und an Opioidrezeptoren wirksam sind. Der Begriff Opiat bezeichnet hingegen nur die natürlicherweise im Opium vorkommenden Stoffe mit dieser Wirkung, die chemisch Alkaloide darstellen und aus dem Schlafmohn gewonnen werden.“

Eh etwas zum Inhalt kommt, doch etwas zum Schriftstellerischen, was einem beim Lesen auffallen muß. Der Roman fängt 'normal' an, man lernt jemanden kennen und sieht die Welt aus dessen Augen. Es passiert viel. Auch Morde. Leider in Vielzahl, ein Massenmörder und (natürlich) ein Mann, der viele Frauen mordet, alles Frauen aus dem, hätten wir gesagt, Rotlichtmilieu, das es aber in Philadelphia, wo die Geschichte spielt, so nicht gibt. Dann wird beim Lesen deutlich, wohin die Reise geht und wir folgen willig den Spuren, die zu einem Verdächtigen führen. Erst sehr spät stellt sich heraus, daß es dieser nicht sein kann, aber der nächste ist logisch zu ermitteln. Doch auch dieser ist es nicht und...

Wenn Sie nun sagen, daß sei doch immer so im Krimi, daß uns der Autor, hier die Autorin Liz Moore in die Irre führt, um dann in einer Volte am Schluß den eigentlichen Schuldigen zu liefern, ihn zu überführen, so gehen solche Verfahren, wo auf Teufel komm raus der Leser überrascht werden soll, meistens zu Lasten der Glaubwürdigkeit und man sagt sich, daß ist aber nun äußerst konstruiert, nur damit der Leser überrascht werden soll. Und genau dies findet hier nicht statt. Nichts mit konstruiert. Am Schluß liegt alles glasklar vor einem, hat gar nicht anders sein können.

Denn erst im letzten Drittel kommen Tatsachen ans Licht, die wir einfach nicht haben wissen können, weil sie Verdrängtes sind, Lebenslügen, die aber die ganze Geschichte in einem anderen Licht zeigt und zwangsläufig dann auch auf den Mörder zuläuft. Nur hat das zur Folge, daß wir nur den Anfang der Geschichte weitertragen können, denn sonst wäre das Vergnügen, diesen Roman zu lesen, nur die Häflte wert. Oder weniger.

Vergngüen? Mit Drogen? Ja, eigentlich habe ich das satt, seit einiger Zeit immer die persönlich mit Drogen behafteten Ermittler vorzufinden, die entweder selber abhängig sind und ob des Berufes wegen dagegen bei sich selbst vorgehen, der Sucht entkommen wollen – oder es sind die nächsten Angehörigen der 'Ermittler diejenigen, die abhängig und dem Tod geweiht sind. So auch hier.

Von Anfang an ist die Familiensitutation für die Schwstern Fitzpatrick klar. Die ältere Schwester, die im Mittelpuznkt stehende Polizistin Mickey, eigentlich Miachaela, mit allen streng, am strengsten und härstesten mit sich selber, hat ihr Leben lang ein Auge auf die jüngere Kacey, die zu Beginn des Romans wieder einmal verschwunden ist. Das ist deshalb für Mickey so schlimm, weil ein Frauenmörder in Kensington, einem berüchtigen, einst gutbürgerlichen Stadtteil von Philadelphia sein Unwesen treibt. Mit dem Auffinden der erste Leiche beginnt es, bei der, wie bei den weiteren, Mickey immer an ihre verschwundene Schwester denkt. Die ermordeten Mädchen, alle drogenabhängig und die Sucht finanzierend durch 'amouräüse Geföälligkeiten'.

Mickey hat einen kleinen Sohn Thomas, der um die Aufmerksamkeit der Mutter buhlt, weil die ihren Beruf so ernst nimmt wie ihre Aufgabe als Mutter, von der sie glaubt, das Wichtigste sei, das Kind abzuhärten gegen die Übel, die im Laufe des Lebens auf es zukommen. So war es bei ihr auch. Denn die Mutter ist ganz früh an den Drogen gestorben, der Vater auch tot, wie die Großmutter, bei der sie aufwuchsen und die sie hart gegenüber dem Leben machen wollte, erzählt. Die einzige Wärme, die es gab, war die zwichen den Geschwistern, was die Drogen und die Polizeiarbeit nun unmöglich machen.

Punkt.

Ich bin vom Roman begeistert. Von seiner Menschlichkeit, aber eben auch von der Rafinesse des Schreibens. Das ist wichtig zu betonen. Denn der Jury-Sprecher und der, der alles mit der Krimibestenliste zusammenhält, Tobias Gohlis schreibt: „Mir scheinen die von Liz Moore vorgeführten moralischen Dilemmata einem ehr virktoriansichen Geist entsprungen und eines der zentralen Rätsel des Plots eher der Dickens-Ära als der Gegenwart zuzugehören. - Marcus Muntefering jedoch war begeistert und erschüttert ovn der emotionalen Wucht des Romans.“

So geht es uns auch. Lesen!



DIE KRIMIBESTENLISTE FÜR MÄRZ 2020


1(-)
Jan Costin Wagner
Sommer bei Nacht
Galiani, 314 Seiten, 20 Euro

Wiesbaden, Innsbruck. Der kleine Jannis ist weg, der kleine Dawit auch. Entführt von Marko, hinter dem noch einer steckt. Das wissen die Ermittler lange nicht, die haben eigene Probleme. Einsam ist der eine, pädophil der andere. Mit dabei: ein Teddybär, ein Campingplatz, viel Angst, viel Schuld.


2(2)
Attica Locke
Heaven, My Home
Aus dem Englischen von Susanna Mende.
Polar, 322 Seiten, 22 Euro

„Hopetown“, Osttexas. Ein neunjähriger Bengel ist verschwunden, Blacks und Native Americans verteidigen ihre Heimat am Lake Caddo, Trump ist gewählt. Darren, schwarz, Texas Ranger, konstruiert Beweise gegen die „Arische Bruderschaft“, will seinen Leuten helfen, seinen Job behalten, das Richtige tun.



3(–)
Davide Longo
Die jungen Bestien
Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner.
Rowohlt, 412 Seiten, 22 Euro

Turin 1974, 2008. Zehn Skelette werden an der Bahnstrecke Mailand–Turin gefunden, Opfer der „bleiernen Jahre“ des Terrors. Commissario Arcadipane, sein Mentor Bramard und Hackerin Isa bohren in alten Wunden. Eine Generation später sind sie kaum vernarbt. Misstrauen, Trauer, Härte, schmale Auswege.


4(3)
Nicci French
Was sie nicht wusste
Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller.
Bertelsmann, 446 Seiten, 16 Euro

London. Neve hat mit Künstlermann ohne Job, Kindern und Beruf genug am Hut, da kommt ihr die Affäre mit dem Chef wie die große Freiheit vor. Bis sie ihn tot im Stelldichein findet, die Spuren von Mord und Affäre beseitigt und abhaut. Gut gemachtes Hohelied auf die toughe Durchschnittsfrau.


5(10)
Liz Moore
Long Bright River
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus
Timmermann. C.H. Beck, 414 Seiten, 24 Euro

Philadelphia. Kacey nimmt Drogen, Mickey ist Polizistin, im Stadtteil geht ein Frauenmörder um. Das ist der Rahmen für den Schwesternkampf, hier die alleinerziehende Mutter, rechtschaffen und pflichtbewusst, da die unbeherrschte Abhängige. Drum herum Opioid-Katastrophe. Wem ist noch zu trauen?


6(-)
Frank Göhre
Verdammte Liebe Amsterdam
Culturbooks, 158 Seiten, 15 Euro

Köln, Hamburg, Amsterdam. Ein gebrochener Schwur, eine alte Liebe, ein unvergessener Totschlag: Background für Schorschs Suche nach den Mördern seines Bruders und nach einer Jugendlichen, die nach Holland abgehauen ist. Unterhalb der Spießerlatte: schwarze Romantik, rauhes Leben. Das kann nur Göhre


7(-)
Xavier-Marie Bonnot
Der erste Mensch
Aus dem Französischen von Gerhard Meier.
Unionsverlag, 348 Seiten, 19 Euro

Marseille. Waren Urmenschen die wahren Menschen? Davon sind der schizophrene Mörder Thomas Autran und seine Schwester, eine Anthropologin, bis zum Wahn überzeugt. Prähistorie und Psychologie, Magie und Mord – Bonnots Rezept funktioniert auch im vierten Krimi um „Baron“ Michel de Palma prima.


8(6)
Robert E. Dunn
Dead Man’s Badge
Aus dem Englischen von Philipp Seedorf.
Luzifer, 356 Seiten, 14,95 Euro

Texas. Longview Moody, Geldkurier eines Drogenkartells, entkommt seiner Hinrichtung und gibt hinfort als sein Bruder Paris Tindall den Polizeichef im Grenzort „Lansdale“. Der fest in den Klauen der DEA und eines anderen Kartells ist. Longview weiß, wie man solche Leute zurechtstößt. Rasanter Thriller.


9(1)
Sarah Schulman
Trüb
Aus dem Englischen von Else Laudan.
Ariadne im Argument Verlag, 270 Seiten, 20 Euro

New York 2017. Suchtkranke verstehen was von Sucht. Maggie Terry nutzt ihre zweite Chance. Als Privatermittlerin eines Anwalts quält sich die Expolizistin, nach dem Entzug geschüttelt von Flashbacks und Versuchungen, ermittelnd zurück ins Soziale. Vereinsamt, verraten, in einer kranken Stadt.


10(–)
Richard Lorenz
Hinter den Gesichtern
Luzifer, 294 Seiten, 13,95 Euro

Nahe München. Als Kind hatte sie das zweite Gesicht, jetzt hätte es Krankenschwester Lisbeth dringend nötig – wie vor 30 Jahren ist ein Mörder in der Kleinstadt. Kehrt die mühselig verdrängte Vergangenheit schlimmer wieder? Angst wird Horror, Erinnerung Qual. „Wir haben nicht nur eine Geschichte.“ Stark.


Die Krimibestenliste, wo kann man sie lesen, wer erstellt sie, wo wird sie veröffentlicht?

WO? außerhalb von WELTEXPRESSO
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de

Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats: www.faz.net
Die zehn besten Kriminalromane des Monats März 2020 sind allerdings nur noch über online verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste. Leider gibt es die Liste seit 2020 nur noch im Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren?

An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur.

Die Jury:
Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger
Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank,
„Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter
Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,
„Culturmag“, „Deutschlandfunk Kultur“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter
Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung“ | Alf Mayer, „Culturmag“, „Strandgut“ | Kolja Mensing,
„Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Der Spiegel“ | Ulrich
Noller, „Deutschlandfunk Kultur“, „Deutschlandfunk“, SWR, WDR | Frank
Rumpel, SWR | Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude,
„Frankfurter Rundschau“ | Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“

Foto:
© Cover

Info:
Anmerkung: Da haben wir ein Durcheinander angerichtet, für das Kollegin Elisabeth Römer nichts kann. Da die Redaktion des Weltexpresso mehrheitlich in Berlin zur Berlinale weilte, hatte sie rechtzeitig ihren ersten Artikel zur neuen Liste, der Märzliste schon vor der Fahrt nach Berlin fertiggemacht. Aber leider leider hat die Redaktion das alles vergessen und hatte den obigen Artikel nicht abgedruckt. Er erscheint also nicht vor der Liste, sondern gegen Ende März, wo dann am ersten Sonntag im April schon die nächste Krimibestenliste auftaucht. Zum Inhalt: da war unsere Autorin sicher enttäuscht, denn sie hätte diesen Roman von Liz Moore sehr viel weiter vorne vermutet.