Die neuesten Thriller der Bestsellerautoren, Teil 7
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Das ist ein Ding! Zuerst wird man verführt durch die süffigsten Kommentare von Thrillerkollegen zur Einzigartigkeit dieses polnischen Autors, der mit Stieg Larsson und Jo Nesbøs verglichen wird, und dann liest man atemlos die ersten zig Seiten!
Doch, das ist erst einmal richtig gute Spannungsliteratur, wobei man auch einiges von der polnischen Gesellschaft mitbekommt, in der es, wie Zeitungsleser wissen, gärt, weil stärker als in anderen Ländern die unterschiedlichen Gesellschaftsmodelle: hie unsichere Demokratie, dort patriarchalisches, angeblich sicheres Geführtwerden, das derzeit die politische Mehrheit stellt, auch in Romanen, auch Kriminalromanen eine Rolle spielt.
Die Geschichte ist personenreich und verwickelt. Erst am Schluß kann man alle Fäden einzeln betrachten, die einen als bunter Fitz erst einmal über Stock und Stein jagen. Die Leserin folgt darin aber nur den beiden Personen, die als Ich-Erzähler jeweils ihre eigene Geschichte, also die eigene Interpretation in den Kapiteln im Wechseln erzählen. Hauptperson bleibt Damian Werner, genannt Wern, aber auch Tiger, kommt ganz darauf an, wer mit ihm spricht, was auf jeden Fall viele wollen. Er ist ein Mann, der Frauen anzieht. Das kann man zwar lange nicht nachvollziehen, aber am Schluß wird er zu dem aufrechten und entschlossenen Mann, den die anderen in ihm schon erahnten. Allerdings ist bis dahin ein weiter Weg. Die andere ist Kassandra, eine Frau mit einem verzweifelten Schicksal, der gerade der Sohn entführt wurde.
Autor Mróz, gut dreißigjährig, hatte als Anwalt gearbeitet, bevor er mit großem Erfolg Romane schrieb, von denen es heißt, daß eine Justizthrillerserie sich allein in Polen 1, 5 millionenfach verkaufte. Und dann wird von 25 Büchern gesprochen, die alle jeweils auf Platz 1 der Bestenliste standen. In dieser Geschichte sind viel stärker seine psychologischen, ja psychoanalytischen Kenntnisse gefragt in Verbindung mit den Formen von Jugendkultur, wie sie in allen europäischen Ländern üblich sind. Denn Wern, wie wir ihn ab jetzt nennen, trauert auch nach zehn Jahren seiner Jugendliebe Ewa nach, die einfach verschwand und von der er unentwegt als Verlobte spricht. Zwar wurde eine ertrunkene weibliche Leiche gefunden und auch eindeutig als Ewa identifiziert, aber dann tauchte sie wieder auf, entpuppte sich aber als Kassandra, die perfekt in die Rolle der Ewa geschlüpft war. Doch warum?
Dazu kommt man nicht, denn auf einmal steht Kassandra vor der Tür einer Wohnung, die Wern gerade erst bezogen hat, eine Mansarde, in der Überbleibsel vom Vormieter zurückblieben, darunter – sehr seltsamer Weise – eine Video-Kassette von Ewa besprochen. Kassandra bittet Wern ihr zu helfen, denn ihr Sohn wurde entführt, obwohl sie von Polen extra nach Deutschland zog, in die Nähe von Nürnberg, damit die alten Geschichten sie nicht einholen konnten. Was aber geschah. Und dann gibt es noch eine sehr ernste Geschichte, weswegen sie in Polen von der Polizei gesucht wird: sie hat ihren Mann getötet, allerdings in Notwehr, denn er hat sie ständig verprügelt, vergewaltigt und mißhandelt. Das weiß Wern, der sie entlasten könnte, aber im Gegenzug die Wahrheit über Ewa wissen will.
Die zwei Antipoden müssen also zusammenarbeiten, wenn sie erreichen wollen:
1. daß der Junge gefunden wird, der inzwischen schwer verletzt im Krankenhaus liegt, dort erneut entführt wird, aber wieder eingeliefert wird
2. die Wahrheit über Ewa herausgefunden wird.
Doch erst einmal kommt eine dritte Frau ins Spiel: Kliza. Die weiß mehr als man mitbekommt und fungiert echt als Spielmacherin, wenn sie dem lange tumben Wern vorschlägt, welche Personen er verfolgen und welche Wege er gehen soll. Die sind verwickelt, erfordern ständige Entscheidungen und lange hält Mróz die Spannung, wenn er uns mit ihm auf die Suche nach der doch eigentlich toten Ewa schickt. Wichtig wird noch der Kriminalinspektor Prokocki, dessen Person im Laufe des Roman sich ständig zwischen einem guten und einem bösen, auf jeden Fall undurchsichtigen Polizisten wandelt. Warum das so ist, auch das verstehen wir am Ende, wo sich die Geschichte, die zwischen Jugendlichen begann, vollendet.
Was auf diesem Wege so nebenbei vom Autor auch noch zum Thema wird und teilweise auch aufgearbeitet wird, sind vier gesellschaftliche Probleme
1. Pädophilie-Verdächtigungen gegenüber einem katholischen Priester, die einerseits entkräftet werden, aber auf diesem Wege wird andererseits die Lage in Polen sehr eindeutig qualifiziert, eben auch im Bemühen der Mächtigen das alles zu verschweigen
2. Die Situationen von schwulen Männern, die in der Jugend noch gesellschaftlich geächtet waren, aber auch heute noch Probleme bekommen
3. Die schreckliche Wirklichkeit in polnischen Gefängnissen, hier gezeigt am Frauengefängnis Zamtuz, wo derart schlimme Zustände herrschen, daß dies für uns die härtesten Passagen im ganzen Buch wurden, wo andere weibliche Gefangene im Auftrag von Gefängnisoberen, also für Belohnungen, inhaftierte Frauen aufs Erniedrigendste quälen
4. Bösetäter, die hinter allem stecken, haben ihre Komplizen sowohl im Gefängnis durch sadistische Gefängniswärter wie auch bei der Polizei durch nach außen saubere Kriminale. Keine polnische Institution ohne die verbrecherische Laus im Pelz! Dann Gute Nacht, Polen!
Doch, doch, wenn man sich alles noch mal in Ruhe überlegt, kann man gut verstehen, warum Remigiusz Mróz in Polen ein so anerkannter Schriftsteller ist!
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Info:
Remigiusz Mrótz , Bis zum Ende, Thriller von rororo 00252, März 2020