kpm Szabo Cover 1.jpgIn den Abgründen des grauen Medikamentenmarkts

Klaus Philipp Mertens & Susan Szabo

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Bereits seit Monaten werden in Deutschland Medikamente knapp, die dringend benötigt werden.

Beispielsweise für die Krebstherapie, für die Behandlung von Herzinfarkt, Schlaganfall, Bluthochdruck oder Diabetes. Ihre Produktion wurde von der Pharmaindustrie ausgelagert. Wenn in China oder Indien jedoch die Produktion ins Stocken gerät, so bei technischen Problemen in den vielfach primitiv ausgestatteten Werken oder bei Streiks der mit Niedriglöhnen abgespeisten Belegschaften, die am Rand des Elends vegetieren, sind in Deutschland die knappen Vorräte rasch aufgebraucht. Denn auch im Gesundheitswesen grassiert die Privatisierung der eigentlich staatlichen Daseinsvorsorge und die Just-in-Time-Produktion ist normal. Die Folge: Hundertausende von Patienten müssen auf andere Präparate umgestellt werden, die häufig nicht ausreichend wirken oder die mit unangenehmen Nebenwirkungen behaftet sind. Durch das Corona Covid-19 Virus sind in China von Januar bis März dieses Jahres komplette Produktionsstränge ausgefallen. Die ohnehin bereits schwierige Versorgungssituation hierzulande wird immer dramatischer.

Vor diesem Hintergrund ist der neue Roman der Frankfurter Schriftstellerin Susan Szabo hoch aktuell. Er ist ein Krimi, der im hiesigen Uni-Milieu, genauer im pharmazeutischen Fachbereich, angesiedelt ist. Der Plot ist absolut realistisch:
Ein Giftmord an zwei Hochschullehrern offenbart illegale Praktiken im internationalen Medikamentengeschäft. Denn pharmazeutische Unternehmen verlagern, wie bereits erwähnt, die Produktion ins Ausland, u.a. nach China, um Kosten zu sparen. Vielfach ist die gelieferte Ware jedoch minderwertig, ist die Konzentration der Wirkstoffe fehlerhaft oder sie ist gar verunreinigt und gefährdet die Gesundheit Tausender Patienten. Es wird vermutet, dass durch die Morde andere kriminelle Vorgänge vertuscht werden sollten. Kommissar Kuschke und seine Kollegen von der Frankfurter Kriminalpolizei stoßen bei ihren Recherchen, die in die deutsche Industrie und ins Ausland führen, auf ein Kartell des Schweigens.

Das eigentliche Ziel des Giftanschlags war allem Anschein nach Professor Wissmann; der ebenfalls getötete Professor Zitek schien nur zufällig Opfer geworden zu sein. Bei den Ermittlungen erweist sich das akademische und private Umfeld Wissmanns als zwielichtig und geprägt von Konkurrenz und Leistungsdruck. So hatte der Ermordete eine Affäre mit der Russin Dr. Nowikowa, diese jedoch zu Gunsten einer anderen Geliebten beendet. Mit dem Schweizer Pharmazeuten Martinez konkurrierte Wissmann um die Nominierung für den Nobelpreis. Seinem Oberassistenten Dr. Strohmenger hatte er den Weg zur Professur versperrt. Nicht nur aus formalfachlichen Gründen, sondern auch, weil sich dieser an undurchsichtigen Medikamentengeschäften beteiligte. Wissmanns Institutskollegin Professor Davison weilte zum Zeitpunkt des Giftmords zwar in den USA, aber ermittlungstechnisch kann ein Auftragsmord nicht außer Betracht gezogen werden. Verdächtigt wird auch der Student Jens Vogt, dem Wissmann im Examen eine Fünf erteilte und damit dessen akademischer Karriere ein Ende setzte. Wissmanns Witwe, die mit einem Laboranten des Instituts heimlich liiert ist, lügt sich bei den Vernehmungen um Kopf und Kragen. Und seine Sekretärin Krause himmelte ihren Chef zwar an, aber es ist nicht völlig auszuschließen, dass sie aus Eifersucht diesem ans Leben wollte. Der Täter oder die Täterin hat nach Erkenntnissen der Kriminaltechnik Handschuhe getragen; doch solche sind nirgends aufzufinden. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen, die Kommissar Kuschke leitet, erstrecken sich auf das Institut für pharmazeutische Technologie in Frankfurt, aber auch auf ein bekanntes Chemieunternehmen in Leverkusen. Eine Fallanalytikerin und ein Handschuhexperte des Bundeskriminalamts entdecken schließlich Zusammenhänge, die zum Täter führen.

WELTEXPRESSO druckt mit Genehmigung der Autorin einige Abschnitte aus dem Anfang des Romans ab:

                                                                                    Goethe-Universität, Institut für pharmazeutische Technology,
                                                                                                                              am 20. April
„Gut, Frau Krause, Sie haben alles toll vorbereitet. Auf Sie kann ich mich immer verlassen“, sagte Professor Wissmann, der an diesem besonderen Tag in seinem neuen Anzug mit burgunderroter, geometrisch gemusterter Armani-Krawatte eine recht schnittige Figur abgab.
Im Flur kam ihm Professor Zitek entgegen, der so breit lächelte, dass er all seine gelblichen Vorderzähne zeigte, und der gar nicht aufhören wollte, seine Hand zu schütteln. Der Kollege zog eine Flasche Bourbon Whiskey aus einer Airport-Tüte und überreichte sie ihm.
„Here, for the inventor of the nanoparticle!“
Professor Wissmann lächelte verlegen. Sein alter Chef habe die Grundlagenarbeit gemacht.
Er habe aber die Partikel weiterentwickelt, damit sie die Blut-Hirn-Schranke passieren, entgegnete Professor Zitek. Wissmann lud Zitek auf einen Kaffee in sein Büro ein. Er wolle ein paar Änderungen in ihrem gemeinsamen Paper anbringen.
Frau Krause telefonierte mit der Verwaltung und legte beglichene Rechnungen ab. Dann zog sie den Lippenstift nach, schnappte einen Brief, den Wissmann unterschreiben sollte, und lief zum Büro ihres Chefs.
Sie klopfte an, vernahm keine Antwort und ging hinein. Und ließ den Brief zum Boden flattern. Der Professor saß reglos in seinem Bürostuhl, sein Kopf nach vorne gefallen. Sie trat näher an ihn heran. Ihre Schreie waren im ganzen Institut zu hören.
„Hilfe! Hilfe, der Professor!“
Dr. Breuer kam angerannt und wollte nicht glauben, was er sah. So groß wie die Fläche hinter einer Taucherbrille umrahmten knallrote Flecken Wissmanns Augen. Sein amerikanischer Kollege Professor Zitek lag bäuchlings auf dem Boden. Mit zittriger Hand wählte Dr. Breuer die 112.


Als sie sich dem imposanten Bau aus poliertem rotem Sandstein mit riesigen Glasflächen näherten, pfiff Kriminaloberkommissar Frank Kuschke beeindruckt.
„Das sieht aus wie halb Bank, halb Kathedrale!“
„Eine treffende Beschreibung!“, pflichtete ihm sein Kollege Wilhelm Strackbein bei.
Sie traten in die Eingangshalle mit hoher Glasdecke und gewaltigen weißen Lochbalken. Ein Pförtner saß hinter einer Theke am Rande der Halle.
„Wo ist das Büro von Professor Wissmann?“, fragte Kommissar Kuschke.
Der schmächtige Mann, der etwas verloren in der großen Halle wirkte, deutete den Flur hinauf und antwortete mit hoher, aufgeregter Stimme. „Gehen Sie durch die Glaspassage, dann sehen Sie gleich den Aufzug. Sein Büro ist im dritten Stock.“
Im Flur des Instituts für Pharmazeutische Technologie kam ihnen der Polizeihauptmeister entgegen. „Die Leichen sind vor etwa einer Stunde von der Sekretärin, Frau Krause, entdeckt worden.“
„Okay, wir lösen Sie ab“, sagte Kuschke. „Willi, du befragst die Anwesenden. Ich schau mir den Tatort an.“
Ehe er Wissmanns Büro erreichte, kam ein Mann in einer grauen Latzhose gekleidet auf ihn zu.
„Gude Tach, Sie sin von de Kripo?“
Kuschke nickte.
„Mei Naame is Erdmann. Isch bin da sozusaache deer Mann-für-alles. Isch hald de ganse Lade am Laufe. 's is da vieles im Arche, awwer, dass des aanoch passiere konnd!“
Es handelte sich anscheinend um den Hausmeister. „Ja, Herr Erdmann“, unterbrach er ihn, „heute befragt mein Kollege Kommissar Strackbein alle Institutsmitarbeiter. Sie sollten lieber mit ihm reden.“

Kuschke blickte den Flur hinab und sah aus einer offenen Tür ein Blitzlicht nach dem anderen aufleuchten. Die Leute von der Spurensicherung waren noch bei der Arbeit. Er wandte sich wieder Erdmann zu. Vielleicht würde er etwas Nützliches erfahren, wenn er sich ein bisschen mit ihm unterhielt. Gerade Menschen, die nicht ganz oben auf der Karriereleiter standen, beobachteten ihre Mitarbeiter mit kritischem Blick. Dabei nahmen sie Einzelheiten wahr, die Menschen in höherer Stellung entgingen.
„Aber, wo Sie grad da sind, könnten Sie mir vielleicht doch ein paar Angaben machen.“
Das musste er nicht zweimal sagen. Noch bevor er eine Frage stellen konnte, redete Erdmann los.
„Isch war im groose Hörsaal unn hab alles uffgestellt unn kontrollierd. De Kombjuder, die Leinwand, die Mikros. Dann ging isch zurick ins Inschtidud. Isch wollt fraache, ob sunschd noch ebbes gemacht werrn muss. Da treff isch uff Dr. Breuer unn die Fraa Krause, unn die sinn blass im Gsischd unn stoddern was vunn schrecklisch unn Bolizei. Isch versteh zuerschd nix, awwer dann saachd Fraa Krause „die Professorn!“ unn höilt loos.“

Erdmann hielt inne, als wollte er die Wirkung seiner Worte überprüfen, und sprach dann weiter.
„Isch lauf glei in Wissmanns Büro. Da seh isch die beide, der eine uff em Bodde, der annere im Bürostuhl. Nadierlisch gugg isch mer die näher an, um zu seje, was passierd is. Wie im Karneval sahe die Gesischder aus!“
Da schien seine Fantasie mit ihm durchgegangen zu sein. Er hätte bestimmt nur allzu gerne weiter erzählt, doch inzwischen hatte das Blitzen aufgehört.
„Danke, Herr Erdmann“, unterbrach ihn Kuschke. „Das genügt für jetzt. Wir kommen später auf Sie zurück.“
Der Kommissar lief den Gang hinunter und steckte seinen Kopf durch die Tür, aus der das Blitzlichtgewitter gekommen war.
„Hallo!“
Ein Mann im Schutzanzug drehte sich um und grüßte. Es war Peter Thoma, Leiter der Spurensicherung. „Professor Wissmann ist der auf dem Bürostuhl, sein amerikanischer Kollege namens Zitek liegt auf ‘m Boden. Wir sind bis auf das Einsammeln der Asservate fertig“, sagte Thoma. „Ich bestelle die Leichenwagen und rufe in der Gerichtsmedizin an.“

Kuschke blickte zuerst auf die Leiche von Professor Wissmann. Der Kopf war nach vorne gefallen, das Kinn ruhte auf dem Knoten einer aparten, burgunderroten Krawatte. Breite, knallrote Kreise umrahmten die Augen. Wenn man sich die grellen Hautverfärbungen wegdachte, so musste der Gelehrte ein attraktiver Mann gewesen sein, mit ebenen, etwas kantigen Gesichtszügen, einem starken Kinn und dichtem dunkelblondem Haar.
Professor Zitek, ein älterer Herr mit grauen Haaren, lag bäuchlings auf dem grünen Vinylboden. Das gleiche grelle Rot wie bei seinem Kollegen umrandete das Auge in Bodennähe, und auch dessen Lid leuchtete wie eine Ampel. Die übliche Farbe solcher Flecken war violett oder graublau. Noch nie hatte Kuschke solch bunte gesehen. Er erinnerte sich, während seiner Ausbildung etwas von roten Leichenflecken gehört zu haben, hatte jedoch vergessen, wie sie zustande kamen. Er wusste nur, dass sich die Flecken immer dort bildeten, wo die Haut dünn war und die Schwerkraft das Blut nach unten zog.

Sein Blick schweifte durch den Raum. Da waren Bücherregale, ein Drachenbaum und ein großer Schreibtisch, auf dem sich ungeöffnete Post, lose Blätter, Reprints und Manuskripte häuften. An einer frei geräumten Ecke standen zwei Kaffeebecher. Auf einem Sideboard hatte man eine Kaffeemaschine und ein Metallbehälter mit Bügelverschluss gestellt.
Er las den Titel einer Doktorarbeit, die auf dem Schreibtisch lag: „Selektive Adsorption von Plasmaproteinen auf Nanopartikel – möglicher Schlüssel zur Überwindung der Blut-Hirn-Schranke“. Er seufzte. Genau so stellte er sich die Naturwissenschaften vor, nämlich, für einen Laien wie ihn unverständlich.

Thoma kehrte zusammen mit einer jungen Beamtin zurück. Sie beschriftete Etiketten und klebte sie an Asservatenbehälter, während Kuschke sich mit Thoma unterhielt. Die Professoren müssten vor etwa eineinhalb Stunden umgebracht worden sein, als bereits viele Leute im Institut waren. Schließlich tat sie die Tassen in je eine kleine Schachtel, die Kaffeemaschine in eine größere, den Kaffeebehälter und die zugeklebte Zuckerdose in kleinere Plastiktüten.
„Den Kaffee aus den Tassen haben wir schon in Fläschchen umgefüllt“, sagte Thoma, und zu seiner Mitarbeiterin: „Lade bitte alles ein. Ich komme gleich.“
„Sag mal, Peter, diese roten Flecken ...“
„Da bin ich mir nicht ganz sicher“, erwiderte Thoma. „Um was es sich genau handelt, müsste Professor Quirmbach von der Gerichtsmedizin wissen.“
Kuschke nickte. Thoma schien etwas Bestimmtes zu vermuten. Doch es war seine Art, nichts zu sagen, wenn er sich nicht absolut sicher war.

Kuschke hatte eine ältere Sekretärin, wie in der Kriminaldirektion, erwartet. Die Bürokraft des Instituts für Pharmazeutische Technologie war jedoch jung und mit ihrem gelockten Bubikopf und ihren grünlich-blauen Augen auch hübsch. Frau Krause saß bei offener Bürotür an ihrem Schreibtisch, presste ein Taschentuch gegen ihr kurzes Näschen und telefonierte.
„Das Bankett findet definitiv nicht statt. Es tut mir leid, auf Wiederhören.“
Er stellte sich vor und zeigte ihr seinen Ausweis.
Sie sah ihn betrübt an. „Bitte, setzen Sie sich.“
Frau Krause erzählte, wie sie die Leichen entdeckt hatte. Davor habe sie nichts Auffälliges bemerkt.
„Dieser Professor Zitek, was wissen Sie über ihn?“
„Er ist Amerikaner, aus Madison, Wisconsin. Professor Wissmann und er waren miteinander befreundet. Professor Zitek war öfters hier. Sie hatten gemeinsame Projekte.“
„Warum war er heute da?“
„Er ist für das Symposium gekommen. Er hätte einen Vortrag halten sollen.“
„Was für ein Symposium?“
„Davon haben Sie noch nichts gehört? Es hätte von drei bis sechs Uhr stattfinden sollen, anlässlich Professor Wissmanns fünfzigsten Geburtstags. Leute aus ganz Europa, Russland und Amerika sind gekommen. Professor Wissmann war weltberühmt.“
„Also drei Stunden Vorträge?“
„Mit Kaffeepause, natürlich, und für danach war ein Bankett geplant, zwar in der Mensa, aber das teuerste Büfett, was sie anbieten. Ich hatte alles arrangiert, sogar schöne Tischblumen hab ich bestellt. Der Professor liebte Blumen, manchmal brachte ich ihm welche aus meinem Garten mit.“ Die letzten Worte sprach sie mit zittriger Stimme.

Kuschke nickte, wartete ein Moment und fragte: „Wie war Professor Wissmann so als Chef?“
„Er war der beste Chef, den man sich nur vorstellen kann!“
Großzügig sei er gewesen, immer korrekt aber nie pedantisch. Viel Humor habe er gehabt.
„Wie viele Professoren arbeiten hier in diesem Institut?“
„Es gibt nur noch eine Professorin, Frau Professor Davison. Aber sie ist zurzeit verreist. Sie kommt erst nächste Woche wieder.“
„Wo ist sie hingefahren?“
„Geflogen. Nach Amerika“
„Wo genau in Amerika?“
„Houston, Texas.“
„Hatte Professor Wissmann Feinde, Leute, die ihn nicht leiden konnten?“
Sie sah ihn empört an. „Feinde? Bei so einem lieben Menschen? Sicher nicht in diesem Institut!“

Fortsetzung folgt

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Information:
Susan Szabo, geboren 1949, ist Amerikanerin ungarischer Abstammung und eine deutschsprachige Autorin. Sie studierte Journalistik in den Vereinigten Staaten und Psychologie an der Universität Zürich, wo sie promovierte. Im Jahre 1985 zog sie nach Bad Homburg und 2009 nach Frankfurt. Nachdem sie als Journalistin, Psychotherapeutin und Übersetzerin tätig war, ist sie seit 1991 freie Schriftstellerin.

Ihr Roman „Amor zählt bis drei“, die Bekenntnisse einer abenteuerlustigen Psychologiestudentin aus den USA auf der Suche nach dem »Homo sexus« im guten alten Europa, wurde 1994 im Ulrike Helmer Verlag und 1997 im Fischer Taschenbuch Verlag (Lizenzausgabe) veröffentlicht. Im 2016 wurde der Roman bei Fischer wieder aufgelegt.

Außerdem liegen von ihr vor:
„Melvin, der Superflieger“(Kinderbuch), erschienen 2017
und
„Eisenhut und Hühnerfuß. Aus dem Leben eines Autisten“, erschienen 2018.

Das Erscheinen von „Doppelmord an der Uni“ ist für den Herbst 2020 geplant.  © Susan Szabo