kpm Pharmazie der Uni Frankfurt auf dem RiedbergZweiter Teil des Vorabdrucks von Susan Szabos Krimi „Doppelmord an der Uni“

Susan Szabo

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Im Institut für pharmazeutische Technology der Frankfurter Universität wurden zwei Professoren vergiftet. Die Mordkommission unter Leitung von Kommissar Kuschke versucht, sich in dem Gewirr von Personen, Forschungsstätten und Gerüchten einen Überblick zu verschaffen.

„Kuschke wählte Penne mit Schinken und nahm auf der Terrasse vor der Mensa Platz. Der Kamin des Müllheizkraftwerks, der Fernsehturm und der Messeturm zeichneten sich gegen den diesig blauen Himmel ab. Dahinter ragten andere Hochhäuser in die Höhe, die aus der Ferne nicht sehr beeindruckend aussahen und lediglich Zacken am Horizont blieben.

Er richtete seinen Blick auf den Messeturm. Manche nannten ihn „Bleistift“. Doch diese verniedlichende Bezeichnung traf seines Erachtens nicht zu. Für ihn war der Turm ein hoch aufstrebendes Projektil, eine Rakete, ein kosmischer Phallus. Dieser Bau war ein Symbol nicht nur der menschlichen Errungenschaften, sondern auch deren Bestrebungen. Wir Menschen wollen hoch hinaus, wir wollen mehr und immer mehr, schien er zu besagen. Dennoch war der Messeturm nicht vergleichbar mit dem Turm von Babel. In Frankfurt verstanden die Leute einander. Oder vielleicht doch nicht mehr so gut wie früher? Er überlegte. Nein, hier kamen die Einwohner bestens miteinander aus.
„Polizei“, „das ganze Institut abgesperrt“, waren ein paar der Wortfetzen, die er auf seinem Weg nach Draußen aufgeschnappt hatte.

Nun erzählte ein Student am Nachbartisch seinen Kommilitonen, dass er zwei Wagen von der Gerichtsmedizin gesehen hatte. Eine Studentin berichtete von einer und danach einer zweiten in Plastikfolie verhüllten Leiche, die auf einer Tragbahre hinaus befördert worden war.
Die Unruhe unter den Studenten erinnerte Kuschke an seine eigene Aufregung, als er vor sechs Jahren an seinem ersten Mordfall zu ermitteln begonnen hatte. Er hatte kaum Erfahrung, bis dahin nur mit Produktpiraterie, Drogen- und einem Erpressungsdelikt zu tun gehabt. Dennoch hatte er den entscheidenden Hinweis gefunden, um den Mord an einer Prostituierten aufzuklären.

Frank Kuschke war in Hanau geboren und aufgewachsen. Nach dem Studium an der Polizeihochschule in Wiesbaden hatte er vor acht Jahren bei der Kripo in Frankfurt angefangen. Inzwischen hatte er einige kriminologisch relevante Fähigkeiten entwickelt. So konnte er durch die Beobachtung von Augenbewegungen zumeist feststellen, ob jemand die Wahrheit sagte oder nicht. Der Lügner sah vielleicht ganz kurz an ihm vorbei, danach sah er ihm starr und direkt in die Augen. Wer hingegen die Wahrheit erzählte, schweifte hin und wieder mit seinem Blick ab. Das sei das Gegenteil, von was sie gedacht hätte, hatte seine Freundin Julia dazu gemeint. Zugegebenermaßen reichten derart Erkenntnisse nicht aus, da mussten handfeste Beweise hinzukommen.
Nun war er umgeben von angehenden Pharmazeuten und Chemikern. Die Studenten - Wenn einer mit seiner Examensnote nicht zufrieden gewesen und psychopathisch veranlagt war?
Er holte sich einen Kaffee und grübelte weiter nach. Zwei Professoren, zumindest der eine weltberühmt, und die Symposiumsteilnehmer aus allen Herrgottsländern. Warum sollten sie Wissmann alle nur wohlgesinnt gewesen sein?

Frau Krause - Ihre leuchtenden Augen und ihr entzücktes Lächeln, während sie von ihrem toten Chef erzählt hatte. Das kam ihm etwas geschönt vor, was sie da für Eigenschaften aufgezählt hatte. Sprengte das nicht den Rahmen einer normalen beruflichen Beziehung, dem Chef Blumen zu schenken? Wer so begeistert von ihrem Vorgesetzten war, könnte leicht enttäuscht werden. Sie war hübsch, mit ihren katzenartigen Augen, wohlgeformten Brüstchen und glänzenden, rubinroten Lippen. Eine Affäre mit der Sekretärin wäre keine Seltenheit. Auch nicht, dass man die Beziehung beendete, sobald die Ehefrau davon erfuhr, oder wenn die Geliebte einen heiraten wollte.
Er verließ die Mensa und lief zum Auto, wo Willi Strackbein bereits auf ihn wartete. Willi plumpste in den Beifahrersitz und blätterte durch Bögen mit den Angaben der Institutsangehörigen. Er habe sieben Doktoranden, vier pharmazeutisch-technische Assistentinnen und Assistenten, auch genannt Laboranten, und einen Mechaniker befragt. Niemandem war etwas Besonderes aufgefallen.

Die beiden fuhren zurück zum Präsidium. Dort protokollierten sie das morgendliche Geschehen und berichteten der Chefin davon.
Kurz vor siebzehn Uhr rief Kuschke Professor Quirmbach von der Gerichtsmedizin an.
„Die Professorenleichen? Die beiden sind vergiftet worden, anscheinend mit Zyankali. Bei einer Zyankali-Vergiftung entstehen solche knallrote Leichenflecken. Es kann kaum was anderes sein, denn Kohlenmonoxid kommt nicht in Frage, oder? Das erzeugt auch rote Flecken. Aber hundertprozentig sicher werden wir das erst nach den Laboruntersuchungen wissen.“
Sofort fuhr Kuschke zurück zum Biozentrum.

Frau Krause sah auf ihre Uhr und blickte vorwurfsvoll zu ihm auf. „Ich wollte gerade Feierabend machen.“
„Es tut mir leid, aber ich hab noch ein paar Fragen. Es wird nicht lange dauern. Es geht um Wissmanns Gewohnheiten.“
Er fragte nach der Kaffeemaschine in Wissmanns Büro.
„Der Professor kochte Kaffee immer in seinem Büro. Der Kaffee aus dem Automaten im Aufenthaltsraum schmeckte ihm nicht.“
“Könnten Sie mir etwas über seine Kaffeetrinkgewohnheiten sagen? Wann trank er Kaffee? Zu welchen Uhrzeiten und wer wusste davon?“
Ihre Antwort war wenig hilfreich. „Ach, der warf die Maschine gleich am Morgen an und trank den ganzen Tag lang Kaffee, eigentlich immer, wenn er in seinem Büro war. Man könnte sagen, er war kaffeesüchtig, Kaffee mit Zucker, ein Löffelchen tat er immer rein“, sagte sie und fügte hinzu: „Der aß meistens nur einen Apfel zum Mittagessen, aber Kaffee musste immer da sein.“
Danach fragte er, zu welchen Zeiten Wissmann sein Büro abschloss, und wann es grundsätzlich offen war.
„Abends hat er immer abgeschlossen, bevor er das Institut verließ und auch, wenn er Vorlesung hatte und natürlich, wenn er verreist war.“
„Wer hatte sonst noch Schlüssel für sein Büro?“
Nicht nur Frau Krause selbst, sondern auch Dr. Breuer, Herr Erdmann und das Putzpersonal hatten Generalschlüssel, erfuhr er.
„War es absehbar, dass Professor Wissmann seinen Kollegen Zitek zum Kaffeetrinken in sein Büro einladen würde?“
„Absehbar?“, wiederholte Frau Krause langsam.
„Hatte er geplant, das zu machen, Zitek in sein Büro einzuladen?“
„Das weiß ich nicht. Sie besprechen oft etwas miteinander, aber ob sie was Bestimmtes an dem Tag vorhatten?“
„Also es hätte auch spontan und zufällig sein können, dass sie in sein Büro gingen“, stellte Kuschke fest.
„Ich denke schon, zumal es ein besonderer Tag war, wo viele Leute ankamen. Da kann man doch nicht so gut vorausplanen.“
Kuschke war in seiner Ansicht bestätigt, dass Zitek ein Zufallsopfer war.

Frankfurt, Polizeipräsidium am 21. April

Inzwischen war ein Tag vergangen, seitdem zwei Kommissare der Schutzpolizei Wissmanns Frau die Todesnachricht überbracht hatten. Es war höchste Zeit, mit ihr zu reden. In der ersten Zeit nach der Ermordung eines Angehörigen befanden sich die Hinterbliebenen im Schockzustand. Das wollte Kuschke ausnützen, weil sie dann unter Umständen manches erzählten, was sie nach längerer Überlegung nicht gesagt hätten.
Er rief seine Kollegin Sahra Yüksel an. „Hast du schon herausbekommen, wo Frau Wissmann wohnt?“
„Klar, rat mal.“
„Kronberg?“
„Nein.“
„Bad Homburg?“
Wieder falsch.
„Königstein?“
Auch das war kein Treffer, und er wurde langsam ungeduldig. „Also dann doch gleich nebenan im Riedberg-Neubaugebiet.“
„Auch nicht.“
“Im Westend? Jetzt sag schon!“
„Er hat eine Eigentumswohnung in Bornheim gekauft.“
Kuschke fuhr gleich los zu dem beliebten Stadtteil, wo die Wohnungen inzwischen so begehrt wie teuer waren. Er parkte vor dem sechsten Polizeirevier in der Turmstraße, unweit der barocken Johanniskirche. Von dort war es nur ein kurzer Weg bis zu Wissmanns Wohnung, die in einem Hinterhof der Berger Straße lag, und zwar im obersten dritten und vierten Stock eines Neubaus.

Stadtteil Bornheim, Berger Straße, Wohnung von Frau Alexandra Wissmann

Frau Wissmann drückte den Türöffner und wartete auf ihn im dritten Stock bei geöffneter Tür. Sie bat ihn herein, und er folgte ihr ins Wohnzimmer, von wo es einen fantastischen Blick auf Alt-Bornheim samt Johanniskirche gab. Sie setzten sich und er versank in einem weichen, cremefarbenen Polsterstuhl.
Die Witwe sah ihn aus verquollenen Augen starr an. Ihre Oberarme, die aus einem ärmellosen T-Shirt lugten, und ihr Busen waren füllig. Unter ihrem mit weißem Blumenmuster verzierten schwarzen Rock wölbte sich ein kleiner Bauch. Winzige Fältchen krönten ihre Oberlippe. Sie war nicht mehr jung aber noch nicht alt.
Er habe ein paar Fragen. Ihre Beantwortung würde bei den Ermittlungen weiterhelfen.
„Was wollen Sie wissen?“, fragte sie mit kraftloser Stimme.
Er räusperte sich. „Gab es Leute, die ihren Mann nicht mochten, die ihn vielleicht sogar hassten oder bedrohten?“
Sie sah ihn an, als verstünde sie die Frage nicht.
„Ich meine, irgendwelche Leute, die böse oder eifersüchtig auf ihn waren?“
„Mein Mann war sehr beliebt. Er hatte ein sonniges Gemüt, das mochten die Leute. Von irgendwelchen Feinden weiß ich nichts.“
„Gar keine Feinde, also.“
Eine nachdenkliche Furche bildete sich zwischen ihren markanten schwarzen Brauen. „Konkurrenten hatte er natürlich schon. Es gab ein paar Kollegen, die im gleichen Gebiet arbeiteten wie er.“
„Wer zum Beispiel?“
„Professor Martinez aus Genf.“
„Könnten Sie mir das genauer beschreiben?“
„Mein Mann war dabei, ein Medikament gegen Gehirntumore zu entwickeln. Er war schon weit vorangekommen. Es gab bereits erfolgreiche klinische Studien. Martinez arbeitet an einem ähnlichen Medikament. Mein Mann sagte, diese Art von Forschung könnte zum Nobelpreis führen. Aber ich versteh nichts von den Details, ich bin Betriebswirtin.“
„Nobelpreis? Wohl das Ziel eines jeden Wissenschaftlers. Hätte Professor Martinez am Symposium teilnehmen sollen?“
„Ja, ich glaub schon.“
„Erzählen Sie mir ein bisschen über die Forschung ihres Manns, einfach in Ihren eigenen Worten.“
„Also, ihm war es gelungen, ein Medikament gegen Gehirntumore direkt ins Gehirn zu bringen, was gar nicht so einfach ist.“
“Nicht einfach?“
„Nein, weil es eine Blut-Hirn-Schranke gibt. Nur wenige Substanzen können diese Schranke überwinden. Aber sein Anti-Krebs Medikament hatte er an winzig kleine Nanopartikel gebunden, die diese Barriere passieren.“
„Weil sie so winzig klein sind?“
„Ja, das ist der Hauptgrund. Seine Nanopartikel sind einhundert bis zweihundert Nanometer groß. Ein Nanometer ist ein Millionstel von einem Millimeter.“
„Das ist tatsächlich sehr klein! Erzählen sie weiter. Wer war sonst noch an der Forschung mit Nanopartikeln beteiligt?“
„Sowohl die Tierversuche als auch die ersten klinischen Studien wurden in Russland gemacht, in Moskau. Die Patienten dort waren als hoffnungslose Fälle eingestuft worden.“
Kuschke seufzte. Russen waren also auch mit im Spiel. Er dachte an Rasputin, der angeblich Unmengen von mit Zyankali vergiftetem Kuchen gegessen hatte, und an Sergej und Julia Skripal. In Russland waren Giftmorde sozusagen alltäglich. Sie würden diese Verbindung nach Russland gründlich unter die Lupe nehmen müssen.

Er wechselte zu einem zweiten Thema. „Was hatte Ihr Mann für Verwandte?“
„Mit denen er Kontakt hatte, meinen Sie?“
Er nickte.
„Nur zu seinem jüngeren Bruder Markus hatte er Kontakt. Der wohnt in Düsseldorf und ist IT-Experte.“
„Wie kamen die beiden miteinander aus?“
„Nicht ganz so gut.“
Kuschke horchte auf.
„Ich glaub, Markus war einfach auf ihn eifersüchtig, schon immer, auch als sie klein waren.“
Er nickte. „Haben Sie Kinder?“
„Wir haben einen Sohn. Er ist behindert und wohnt in einem Heim in Darmstadt.“
„Das tut mir leid.“
„Wir haben ihn zehn Jahre lang zu Hause betreut. Das war eine große Belastung, es ging dann einfach nicht mehr weiter.“
Zu ihrer Ehe stellte er keine Fragen. Dafür war es noch zu früh. Er wollte auch nicht den Eindruck erwecken, sie gnadenlos ausfragen zu wollen.
„Danke, Frau Wissmann. Sie haben mir weitergeholfen. Rufen Sie mich an, falls Ihnen noch etwas einfällt, auch wenn es Ihnen nicht wichtig vorkommt.“

Unterwegs zu seinem Wagen rief er Sahra Yüksel an. „Such bitte einen Professor namens Martinez. Er soll noch nicht abreisen, falls er noch da ist. Ich will mit ihm sprechen. Frag nach ihm bei Wissmanns Sekretärin, Frau Krause.“

Im Auto diktierte er ein paar Stichworte in seinen Recorder, den er immer bei sich hatte. Professor Martinez aus Genf, Konkurrent um den Nobelpreis. Befragen. Professor Wissmann machte Tierversuche und klinische Studien in Moskau. Mehr erfahren. Wissmanns Bruder in Düsseldorf befragen.
Verdammt, warum hatte er nicht nach den Namen der Russen gefragt, mit denen Wissmann gemeinsame Projekte hatte? Diese würden aber vermutlich auch Wissmanns Assistenten und Frau Krause kennen.

Büro von Oberkommissar Frank Kuschke

Kuschke las Sahra Yüksels WhatsApp-Nachricht, die Martinez’ Handynummer enthielt. Er rief sie an, um sich zu bedanken.
„Ich kriegte sie von seiner Frau in Genf.“
Er lobte sie für ihre Effizienz und gab ihr den nächsten Auftrag, nämlich die Namen von Wissmanns russischen Kollegen herauszufinden.
Dann wählte er Martinez’ Nummer. Zum Glück war er noch in Frankfurt. Er verabredete sich mit ihm.“

Teil 3 des Vorabdrucks folgt

Foto:
Pharmazie der Uni Frankfurt auf dem Riedberg
© MRG

Info:
„Doppelmord an der Uni“ von Susan Szabo soll, soweit die aktuellen Beschränkungen wegen Corona es zulassen, im Spätherbst 2020 erscheinen. Im zeitlichen Umfeld wird auch die bereits für März angekündigte Lesung im Bibliothekszentrum Sachsenhausen stattfinden, die wegen der Virus-Pandemie abgesagt werden musste.