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Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wer sich noch erinnert, weiß, daß erstens die Stadtschreiberei von Bergen 1974, die einem Schriftsteller angetragen wurde, die erste in der Bundesrepublik und die Idee von Franz Josef Schneider war, und zweitens damals die Stadt Bergen zum Landkreis Hanau gehörte. Seit dem 1. Januar 1977 sind die beiden Teile, Bergen oben auf dem Berg, Enkheim unten im Tal, in die Stadt Frankfurt als östlichster Stadtteil eingemeindet. Bis heute ist es gelungen, die Eigenständigkeit dieses Preises eng an Bergen zu binden, wo zudem das Stadtschreiberhaus steht, Heimat der Stadtschreiber für ein Jahr.
Seit 46 Jahren findet ab Freitagabend vor dem ersten Dienstag im September – so die seltsam anmutende, sich am traditionellen Ber gener Viehmarkt orientierende Formel – das Stadtschreiberfest statt: in einem großen Zelt mit an die 1000 Gästen. Bei Apfel wein, Würstchen und Grüner Soße; und vorm Festzelt warten die Schiffschaukeln, Zuckerwattekessel und Zapfhähne auf den Kirmesbeginn am nächsten Tag. »Literatur als Volksfest« nannten die Gründer dieses Preises das – und das bewährte Konzept schien unverrückbar: eine Rede der scheidenden Stadtschreiberin, eine der kommenden, dazwischen die Schlüsselübergabe und dazu ein Festredner, der zu einem Thema seiner Wahl spricht. Jahr für Jahr Ende August haben Autorinnen und Autoren im großen Zelt auf dem Marktplatz berichtet, was sie beim Schreiben umtreibt, was sie sich für ihre Zeit in BergenEnkheim vorstellen – und wie sie ihre SchreibZeit im Häuschen An der Oberpforte 4 dann tat sächlich erlebt haben.
Dazu muß man das das kleine, allerliebste Häuschen mit dem kleinen, allerliebsten Hof kennen, um zu ermessen, wie eigen dies neue Zuhause für die erwählten Stadtschreiber sein mag. Und, wenn man ehrlich ist, hatte man im Jahr 1974 als dieser so spezifische Literaturpreis in die Welt kam, doch damit gerechnet, daß die Auserwählten das Jahr über das Haus bewohnen, nicht ständig, aber überwiegend. Im Jahr 1974 war einfach ein solcher Preis mit eigenem Haus noch viel attraktiver als heute. Aber heute beträgt das Preisgeld zusätzlich 20 000 Euro, das von der Stadt Frankfurt kommt. Und heute ist der Preisträger längst eine ganz wichtige Person in Bergen geworden. Jeder gehende Stadtschreiber wird liebevoll verabschiedet und jeder neue neugierig empfangen.
Ein "Geschäft" auf Gegenseitigkeit und doch so viel mehr. Denn es war den Initiatoren des Preises ernst damit, von September bis August einem Schreiber ein Refugium zu bieten, wo ohne materielle Sorgen und abseits des sonstigen Betriebes, die Chance zu gutem Arbeiten gegeben war. Andererseits wurde erwartet, daß die Bürger der Stadt, jetzt des Ortsteils, mit ihrem Stadtschreiber zu tun bekommen und damit nicht nur einen Schriftsteller kennenlernen, sondern auch die unterschiedlichen Arten des Schreibens, wobei es immer auch um das schon bestehende Werk und das kommende geht.
Ein kluger Schachzug war es, die Preisverleihung als Auftaktveranstaltung an den schon bestehenden Berger Markt, einen mehrtägigen Jahr markt mit jahrhundertealter Tradition, anzugliedern und die »Literatur als Volksfest« zu etablieren. Außer der hier gehaltenen Antritts und Abschiedsrede, einer klassischen Antrittslesung und der Mitwirkung bei der Wahl für das Folgejahr gibt es keine Pflichten für die PreisträgerInnen. Wer möchte, hat die Möglich keit, vor Ort Veranstaltungen abzuhalten. So fanden in den ver gangenen 46 Jahren zahlreiche AutorInnen, FilmemacherInnen und MusikerInnen auf Einladung der Stadtschreiber und Stadt schreiberinnen ihren Weg nach BergenEnkheim.
Eine wichtige Rolle spielte von Anfang an die Bergener Familie Schneider. Franz Josef Schneider, Mitglied der Gruppe 47, war es, der die Idee hatte und den Preis in seiner heutigen Form ins Leben rief. Bei ihm und seiner Frau Ammes gingen die Autorinnen und Autoren ein und aus und fanden, wie auch in der örtlichen Buchhandlung, immer eine offene Tür. Diese Gastfreundschaft setzt ihre Tochter Adrienne fort.
Die StadtschreiberJury besteht – auch dies ist eine Besonderheit, die die gewünschte Nähe zur Einwohnerschaft des Stadtteils betont – neben renommierten Fachjuroren aus dem überregionalen Literaturbetrieb immer auch aus BürgerjurorInnen, also BergenEnkheimerInnen mit Literaturbezug. Die amtierende Stadtschreiberin ist an der Wahl ihrer Nachfolgerin beteiligt. Den JuryVorsitz bildet qua Amt die Ortsvorsteherin Bergen Enkheims.
Bei der Wahl von Anne Weber saßen in der Jury: Marcel Beyer (Stadtschreiber 2012/13), Helmut Böttiger (Literaturkritiker), Charlotte Brombach (Verlagsangestellte), Anna Doepfner (Buchhändlerin), Anja Kampmann (Stadtschreiberin 2019/20), Renate MüllerFriese (Ortsvorsteherin und JuryVorsitzende), Adrienne Schneider (Veranstaltungsmanagement, Literaturhaus Darmstadt), Ulrich Sonnenschein (Kulturredakteur im Hessischen Rundfunk) und Peter Weber (Stadtschreiber 2004/05).
Jedes Jurymitglied schickt einen Vorschlag ins Rennen, alle lesen die vorgeschlagenen Bücher – und dann wird in der Jurysitzung diskutiert, bis es zu einer Entscheidung kommt, mit der alle zufrieden sind. Diese Sitzung findet üblicherweise im Frühjahr statt. 2020 musste sie coronagerecht als Videokonferenz ab gehalten werden.
Fortsetzung folgt
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Bisherige Berichterstattung
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