Roman von Ulla Coulin-Riegger bei klöpfer, narr
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Als ausgesprochene Vatertochter interessieren mich Bücher über Mütter und Tochter besonders, weil ich vermute, daß ich mit ihnen meiner eigenen Mutter-Tochter Beziehung näher käme, die irgendwie und irgendwo verschüttet ist. Auf jeden Fall habe ich, die ich mich immer in allem: der Gesinnung, der Haltung, der Entschlossenheit - durch meinen Vater geprägt sah, erst mit 40 Jahren begriffen, wie sehr meine damals noch lebende Mutter mir unbewußt ein Vorbild war, hatte sie sich doch Zeit ihres Lebens keinem Manne untergeordnet und selbstbestimmt ein kulturell reiches Leben geführt. In eigener Regie und mit ihr als Hauptdarstellerin.
Schon bei der Ankündigung von MUTTERS PUPPENSPIEL ahnte ich also, daß ich mit der erst einmal namenlosen Heldin und ihrem ausgewachsenen Mutterproblem nichts zu tun hatte. Aber, wenn schon die Identifizierung bei Romanen nicht klappt, dann ist es leicht das Gegenteil: nämlich hier die Kenntnisgewinnung von einer Sorte „Mutter“, die mir persönlich nicht untergekommen ist, von der ich aber selbst in meiner eigenen Verwandtschaft schon gehört habe. Immer mit der Tendenz: die arme Tochter. Beim Lesen allerdings richtete sich mein Unmut erst einmal gegen die Icherzählerin, die Tochter. Unmut ist noch gering ausgedrückt, regelrecht loderte der Zorn in mir, daß sich eine erwachsene Frau, noch dazu als Ärztin erfolgreich mit eigener Praxis, so von ihrer Mutter behandeln, ja runterputzen und erniedrigen läßt, ja schlimmer: die kommenden Schläge schon vorausahnend sich immer wieder wie ein Junkie in die Erniedrigungsmaschinerie der Mutter begibt, die ja nur deshalb so funktionierten kann, weil sie bei der Tochter die Selbsterniedrigungmaschinerie bedient.
Von Vorne. „Nachdem mein Vater, ein erfolgreicher Unternehmer, verstorben war, verließ meine Mutter unser großes Elternhaus (genannt: „die Villa“) und zog in eine nach ihren Worten „luxuriöse Eigentumswohnung“ (S. 9), so lautet der erste Satz, der mich gleich stutzig machte. Wenn man mit dem Tod des Vaters beginnt, dann erwartet man von der Icherzählerin doch erst einmal Worte der Trauer oder auch der Gleichgültigkeit, auf jeden Fall einen Hinweis darauf, wie sie den Tod des Vaters erlebte. Aber nein, sie spricht nicht über sich, sondern über die Auswirkungen des Todes auf die Mutter und deren veränderten Wohnverhältnissen.
Toll gemacht, fand ich im Nachhinein, toll von der Autorin konzipiert, gleich im ersten Satz die mentale und psychische Abhängigkeit der Schreiberin von der Mutter so knüppeldick, aber doch elegant verbrämt aufs Tapet zu bringen. Doch, doch, der Vater taucht später in ihrer Erinnerung wieder auf, aber und das ahnt man nach dem ersten Satz, er war ihr keine Hilfe, war der Tochter kein echter Vater, auch wenn er ihr mit Geld beisprang, eine für sie vergiftete Gabe : „Bei meinem nächsten Besuch im Haus meiner Eltern, schob er mir ein Bündel Geldscheine über den Tisch. ‚Hier mein Anteil an deiner beruflichen Zukunft‘ hatte er mit einem Lächeln gesagt, welches Ironie und unverhohlene Selbstliebe spiegelte. Ich sah auf das Geld und wußte, das meine Praxisübernahme nun zu seinem Werk geworden war. Ohne ihn war ich nichts. Unter Tränen der Rührung stammelte ich mein Dankeschön. Auf dem Tisch lag der volle Kaufpreis für meine zukünftige Praxis.
‚Bist Du nicht ein Glückskind?‘ stichelte meine Mutter.“ (S.11)
Von Mutter und Vater nicht angenommen und als Kind nicht liebgehabt und geschützt worden zu sein, so im Kern abgelehnt aufzuwachsen, vermittelt jedem, der es anders kennt, ein tiefes Mitgefühl, weil dies zu den existentiellen Grundbedürfnissen von kleinen Kindern und großen Erwachsenen gehört. Aber leider konnte ich das gegenüber der auktorialen Erzählerin erst einmal nicht aufbringen, so ärgerten mich die Verhältnisse, sprich deren Abhängigkeit von einer fiesen, miesen Mutter, die mit Geschick ihre Tochter als Laufburschen und Watschenfrau hält. Den Titel MUTTERS PUPPENSPIEL, was in diesem Zusammenhang auf Marionetten hinausläuft, reichert das Titelbild noch an, wo eine Hand zwar den Faden hält, aber der endet an einem Ring, durch den die Tochter springt.
Wir erfahren also erst einmal, daß die Mutter umgezogen ist, und die Tochter auch als Ärztin jeden Sonntag zum Kaffee kommen muß und kommt. „Auch während meines heutigen Besuches kommt es ab und an zu unangenehmen Gesprächspausen: Mutter scheint nicht zufrieden, noch stimmt die Verteilung der Kräfte nicht an diesem Nachmittag, es verunsichern sie einige aufrührerische Freiheitsgrade in den Worten ihrer Tochter; also muß ich mich noch kleiner machen, um ihr das Gefühl zu geben, daß sie mir auf allen, aber wirklich auf allen Gebieten des Wasser reichen kann. Denn hätten ihre Eltern das Geld dafür gehabt, ihr eine so lange Ausbildung, wie ich sie hatte, zu finanzieren, wäre sie wohl auch Ärztin geworden.
Aber so viel Glück wie ich haben eben andere nicht.“
Zu diesen Zeitpunkt auf Seite 12 ist die Erzählerin 38 Jahre alt!!! Die folgenden Seiten bis zum Schluß auf Seite 173 werden wir zu Zeugen der Selbstermächtigung dieser Frau, was ohne Selbstmordversuch nicht abgeht, auch nicht ohne einen Mann, der sie erst einmal, da verheiratet als notorischer Fremdgänger noch tiefer in den Psychosumpf zieht, aus dem sie sich, wenn auch mit Blessuren befreien und sowohl zur Mutter, zum Mann, zur Umwelt eine neues Verhältnis aufbauen kann. Eines, in dem sie gleichberechtigter Partner ist.
Echt eine Leistung! Und man ist als so ganz anders geartete Frau froh, daß Ulla Coulin-Riegger diese Erfahrung literarisch vermittelte.
P.S. Auf eine Besonderheit muß ich noch hinweisen. MUTTERS PUPPENSPIEL nennt sich auf dem Titel Roman. Und es ist auch einer. Eine Fiktion. Aber während des Lesens war mir das wie eine Falldarstellung, die der Roman eben auch ist. Deshalb habe ich für mich das neue Genre: Sach-Roman erfunden!
Foto:
Cover
Info:
Ulla Coulin-Riegger , Mutters Puppenspiel, Roman, Verlag klöpfer. narr
ISBN 978-3-7496-10277-3