KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für September 2013, Teil 1

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) – Warum uns der dritte Platz die Überschrift wert ist? Weil Frauen es in der Männerdomäne KRIMINALROMANE schwer haben. Weil Deutsche es in der original englischsprachigen Krimidomäne ebenfalls schwer haben. Wie sehr erst die Koppelung Frau und deutsch!

 

Das ist nicht dahingesagt, sondern sehr ernst gemeint, auch wenn die diesmalige KrimiBestenListe gleich zwei Frauen weit vorne plaziert: Die Französin auf Platz 1 und Andrea Maria Schenkel auf Anhieb auf dem dritten Platz – und die vorherige Erste und dann Zweite: Patricia Melo mit LEICHENDIEB aus Brasilien darf nach vier Plazierungen nicht mehr dabei sein. Alles Ausnahmen von der Regel. - Meist müssen sich nämlich auch Krimi-Autoren ihre vorderen Plätze von unten nach oben erkämpfen. Wir kennen den neuen Krimi von Frau Schenkel noch nicht. Aber das ist eine gute Gelegenheit, an ihre vorherigen Erfolge zu erinnern. TANNÖD erschien 2006, KALTEIS 2007, BUNKER im Jahr 2009; diese drei Kriminalromane – schmale Bände in der Hand, aber schwergewichtig vom Inhalt her – erschienen alle in der Edition Nautilus in Hamburg.

 

Dabei war der Erstling besonders erfolgreich. Abgesehen davon, daß er sich bis zum November 2009 mehr als eine Million Mal verkaufte, ist im Nachhinein der Witz, daß der Verlag – völlig verständlich – in der Erstauflage gerade mal 1000 Exemplare gedruckt hatte. TANNÖD erhielt viele Preise, deutsche und internationale. Wie auch das zweite Buch KALTEIS haben wirkliche Vorgänge – auf dem platten Land in früherer Zeit - zum jeweiligen Buch geführt. Dagegen war BUNKER zum ersten Mal fiktiv, brachte aber nicht den gewünschten Erfolg. Seit FINSTERAU, 2012 erschienen, verlegt Hoffmann und Campe die erfolgreiche Deutsche, wo nun auch TÄUSCHER erschien. Mehr also das nächste Mal.

 

Zu Dominique Manottis ZÜGELLOS bei Argument/Ariadne auf Platz 1 fällt uns nach unseren Lobpreisungen der letzten Male nichts Neues mehr ein. Lesen! Wichtig ist eben auch, daß nach Manottis Erfolgen der jüngeren Bücher nun erst ihre älteren aus dem Französischen übersetzt bei uns herauskommen. Aber das ist wie beim Fleisch: abgelagert soll es noch zarter und bekömmlicher sein. Zart? Naja, die Manotti sagt, was Sache ist, wie nur wenige. Uns sie ist eine ausgesprochen politische Schreiberin. Aber bekömmlich, das stimmt schon deshalb, weil die Wahrheit über gesellschaftliche Zustände offenzulegen, immer heilsam ist, auch wenn es weh tut.

 

DER KATHOLISCHE BULLE von Adrian McKinty, bei Suhrkamp erschienen, folgt hier auf Platz 2, womit er vom fünften Rang hochgerutscht ist. Uns hat der Typ Sean Duffy schon sehr gefallen. Das bleibt ja bis heute einem normalen Mitteleuropäer völlig unverständlich, was da im Nordirlandkonflikt abging und was erst im Juli 2005 durch die Erklärung der IRA, der bewaffnete Kampf sei beendet, nach außen hin friedlich weitergeht. Autor Adrian McKinty weiß, wovon er spricht. Er ist in der Gemeinde Carrickfergus aufgewachsen, die im Buch eine Rolle spielt. Da ihn sein Lebensweg aber früh nach England, die USA und dann sogar Australien führte, scheint es, als ob er aus der Ferne die kleinschichtigen Probleme der Heimat um so besser sieht.

 

Übrigens ist Carrickfergus ein Vorort von Belfast und es ist gar nicht schlecht, sich beim Lesen eine Landkarte an die Seite zu legen, denn er kommt herum, dieser katholische Bulle. Der Witz des Buches liegt genau in dieser Situation, daß ein katholischer Polizist es mit allen verdorben hat. Die Anglikanischen halten ihn für einen verdeckten IRA-Partisanen und für die IRA ist er nur eines, ein Verräter. Beim Lesen kommt einem der Film, der schon vor langem auf der Berlinale lief und jetzt erst in die Kinos kommt: SHADOW DANCER in den Sinn, wo Andrea Riseborough hinreißend und schön dazu zwischen die Fronten beider Lager gerät. Das ist die Sache von Duffy nicht, der weiß, wofür er steht und macht seine Polizeiarbeit unter schwierigen Bedingungen derart erfolgreich, daß wir auch über die gesellschaftlich-politisch-menschliche Situation eine Menge lernen. Fortsetzung folgt.

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste September 2013

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(1)

Dominique Manotti: Zügellos

Aus dem Französischen von Andrea Stephani

Argument/Ariadne, 286 S., 18,00 €

Paris 1989. Im Osten wankt die Mauer, bei Paris brennen die Pferde. Versicherungsbetrug, Drogenhandel, Rosstäuscherei, Begünstigung, Mord – Wirtschaftsbosse und Polit-Amigos hemmungslos im Bereicherungsrausch, gereifte 68er am Ruder. Scharfer Witz und klare Sprache: Manotti.

2

2

(5)

Adrian McKinty: Der katholische Bulle

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Suhrkamp, 384 S., 19,95 €

Belfast 1981. DS Duffy, einziger Katholik unter Protestanten, glaubt fest an die Aufklärungspflicht der Polizei. Harter Job im glimmenden Bürgerkrieg. Jagt er Schwulenmörder, IRA-Bosse oder protestantische Paramilitärs? Wem nützt sein Wahrheitswille zuletzt? Duffy blickt durch: angeschossen, aber optimistisch.

3

3

(-)

Andrea Maria Schenkel: Täuscher

Hoffmann und Campe, 240 S., 18,99 €

Landshut 1922. Hubert Täuscher, Bürstenfabrikantensohn und „Weiberer“, als Mörder der Klavierlehrerin Ganslmeier und ihrer Mutter verhaftet, angeklagt, hingerichtet. Sittenbild aus der Inflationszeit nach wahren Begebenheiten. Rekonstruktion eines Justizirrtums. Well done in Schenkels Manier.

4

4

(-)

Stephen King: Joyland

Aus dem Englischen von Hannes Riffel

Heyne, 352 S., 19,99 €

Heaven’s Bay, North Carolina 1973. Devin Jones, 21, liebeskummerkrank, jobt als Helfer im altmodischen Vergnügungspark Joyland. In diesem Sommer rettet er zwei Leben, stellt einen Serienmörder und rächt ein ermordetes Mädchen. Melodram in Geisterbahn, King light.

5

5

(-)

Carsten Stroud: Die Rückkehr

Aus dem Englischen von Robin Detje

Dumont, 608 S., 19,99 €

USA, im Süden. Band 2 der Niceville-Trilogie bildet die Brücke zwischen alter Südstaaten-Blutschuld und brutal-grotesker Gegenwart. Fossilien tauchen auf, Bankräuber unter. Der Kampf fokussiert sich auf Jung-Rainey: Was gewinnt die Macht über ihn? Fein gewirkter Horror-Crime-Fantasy-Mix.

6

6

(-)

C. S. Forester: Tödliche Ohnmacht

Aus dem Englischen von Britta Mümmler

dtv, 280 S., 14,90 €

London/Sussex. Im 1935 verfassten und verschollenen, erst 2011 entdeckten Roman erweist sich Käptn-Hornblower-Erfinder Forester als Meister des psychologischen Noirs. Familiengewalt, Notwehr, Opfer – parteiisch und einfühlsam aus damals außergewöhnlicher weiblicher Perspektive. Eine Sensation.

7

7

(3)

Lavie Tidhar: Osama

Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller

Rogner & Bernhard, 312 S., 22,95 €

Vientiane/London/New York. Privatdetektiv Joe sucht den Mann, der Osama bin Laden erfand. Plausible Realitätsumkehr: Al-Kaida als Fantasieprodukt eines Serienschreibers. Auf der Suche nach der Wahrheit der Fiktion taumelt Joe wie durch Drogenwelten, gehetzt vom Komitee gegen Gegenwärtige Gefahr KGG.

8

8

(9)

Matthew Stokoe: Empty Mile

Aus dem Englischen von Joachim Körber

Arche, 400 S., 24,95 €

Oakridge, Kalifornien. Weil Johnnie einmal nicht aufgepasst hat, ist sein kleiner Bruder jetzt geistig behindert. Weil diese Schuld nicht getilgt werden kann, ist er wehrlos den Attacken sadistischer Nachbarn ausgesetzt. Mit dem Hammer geschriebene Apokalypse aus dem Land des großen Goldrauschs.

9

9

(-)

Walter Mosley: Manhattan Fever

Aus dem Englischen von Kristian Lutze

Suhrkamp, 380 S., 9,99 €

Manhattan. In Gangsterdiensten hatte Leonid McGill Zella gefälschte Beweise untergeschoben, als geläuterter Privatdetektiv will er die Knast-Entlassene nun vor weiteren Folgen seiner Tat bewahren. 58 Millionen wurden damals geklaut, jetzt bringen die Diebe alle Zeugen um. Mosley wieder in Form.

10

10

(6)

 

Dror Mishani: Vermisst

Aus dem Hebräischen von Markus Lemke

Zsolnay, 352 S., 17,90 €

Cholon, Israel. Inspektor Avraham liebt es, die Fehlschlüsse von Krimi-Detektiven aufzudecken. Im Fall des verschwundenen Jugendlichen Ofer Sharabi erfährt er quälend, dass die komplexe Realität auch seinen unbestechlichen Ermittlerblick trüben kann. Very sophisticated. Vielversprechendes Debüt.

 

 

INFO:

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.



Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 5. September 2013 mit Tobias Gohlis gegen 8.50 Uhr im Nordwestradio Journal und in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 5. September 2013 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.



 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur

 

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal inzwischen darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt. und die wir für 2012 ebenfalls kommentierten. 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1208-der-beste-krimi-2012-bleibt-von-fred-vargas-die-nacht-des-zorns-aus-dem-aufbau-verlag



http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1208-der-beste-krimi-2012-bleibt-von-fred-vargas-die-nacht-des-zorns-aus-dem-aufbau-verlag