KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für September 2013, Teil 2

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) – All die nächsten Plätze sind von Neuen besetzt. Das ist auf Platz 3 TÄUSCHER von Andrea Maria Schenkel, bei Hoffmann und Campe. Auf dem 4. Rang Stephen King mit JOYLAND, erschienen im Heyne Verlag. Den 5. Platz nimmt Carsten Strudel mit DIE RÜCKKEHR von DuMont ein, den 6. C.S. Foresters TÖDLICHE OHNMACHT, bei dtv.

 

 

Alles Bücher, die wir noch nicht kennen und das nächste Mal kommentieren werden. Dagegen ist OSAMA von Lavie Tidhar, herausgebracht von Rogner & Bernhard ein alter Bekannter. Zwar ist er inzwischen vom 3. Rang auf den 7. Platz zurückgefallen, aber wer diese eigenartige und von uns schon mehrfach gelobte Geschichtete noch nicht kennt, sollte sich das gönnen.

 

Bleiben Matthew Stokoe mit EMPTY MILE, erschienen bei Arche, der vom 9. auf den 8. Platz vorrutschte und MANHATTAN FEVER von Walter Mosley auf Platz 9, aus dem Suhrkamp Verlag und auf Platz 10 von Dror Mishani VERMISST, erschienen im Zsolnay Verlag und vom 6. Rang auf den 10ten zurückgestuft. Während auch Mosley neu ist und das nächste Mal drankommt, können wir zu den beiden anderen allerhand erzählen. Auch Matthew Stokoe ist eigentlich Engländer, reist und wohnt aber zwischen der Insel und den USA bis nach Neuseeland und Australien. Das macht einen doch oft geradezu neidisch, wie viele Möglichkeiten es für Nativspeaker des Englischen gibt. Denn sie können sehr schnell den besonderen Slang der jeweiligen Länder annehmen. Andererseits, probieren Sie mal aus, wenn Sie diese Autoren lesen, ob sie immer wissen, wo das gerade spielt, in welchem der englischsprechenden Länder? Ausnahme, ganz klar, solche Schauplätze wie Nordirland.

 

Bei Stokoe geht es um Oakridge, im Vorgebirge der Sierra Nevada, wohin Johnny Richardson nach Hause zurückkommt, weil er eingesehen hat, daß ihm die Flucht durch die Welt nicht hilft. Er wollte zurücklassen, daß er dem besten Freund die Freundin ausgespannt hatte, seinen Bruder fast hätte ertrinken lassen, mit der Folge dessen geistiger Behinderung; außerdem ist seine Mutter infolge eines Autounfalls gestorben. Als er nun doch heimkehrt, passieren so merkwürdige Dinge, die ihm eines klarmachen: das Problem ist nicht in seinem Inneren, sondern in den Kräften, die in diesem Ort schalten und walten. Der Titel EMPTY MILE ist dem Grundstück geschuldet, das sein Vater fernab der Ortschaft gekauft hat, wobei er den Sohn Richard verpflichtet, diesen Platz niemals zu verkaufen. Aber dann ist er Vater verschwunden und es passieren haarsträubende Dinge. Das Buch braucht starke Nerven und gehört genau in das Genre des harten amerikanischem Kriminalromans, der schonungslos abseitige menschliche Verhaltensweisen bloßlegt und damit beweist, daß das Abartige in der Normalität ruht.

 

VERMISST von Dror Mishani, mit dem Untertitel AVI AVRAHAM ERMITTELT, hat dagegen ganz anderes vor. Übrigens gibt es in Israel schon mehrere Fälle des Kommissar, der sich auf Deutsch hier mit diesem ersten Band, seinem ersten Fall vorstellt. Wir sitzen beim Lesen im Gemüt des mal schwermütigen, mal leichtlebigen Inspektors. Der hat so oft keine Lust, richtig zu ermitteln. Dann aber erscheinen ihm die Vermißten oder auch die, die sie suchen, im Traum. Das ist schlimm genug, aber auch die Tagträume belagern sie und der Leser muß fein aufpassen, daß er das noch auseinanderhalten kann, was Wirklichkeit ist oder was nur im Kopf des Avi Avraham passiert. Das macht wirklich den Reiz des Buches aus, das niemals holzschnittartige Menschen vorführt, sondern sehr irrende und wirre Personen, die immer unser Mitgefühl provozieren. Der Inspektor fängt mit seinen Vorurteilen Mäuse. Wie er das macht, soll folgende Passage vom Anfang auf Seite 10 verdeutlichen:

 

'Warum gibt es hierzulande keine Kriminalromane? Warum werden in Israel keine Bücher geschrieben wie beispielsweise die von Agatha Christie?' - 'Ich kenne mich mit Büchern nicht besonders aus', antwortet die Mutter, die den Sohn als vermißt melden will, dem Inspektor. Der fährt fort: „'Dann werde ich es Ihnen sagen. Weil solche Verbrechen hier nicht vorkommen. Es gibt bei uns keine Serienmörder, keine Entführungen und so gut wie keine Sexualstraftäter, die auf der Straße über Frauen herfallen. Wenn bei uns ein Verbrechen begangen wird, dann war es in der Regel der Nachbar oder der Onkel oder der Großvater, und es braucht keine komplizierten Ermittlungen, um den Täter zu finden und das Geheimnis zu lüften. Einen großen Unbekannten gibt es bei uns einfach nicht. Die Erklärung ist immer die am nächsten liegende.“

 

Da hat er sich geschnitten, der Inspektor Avi und wir folgen zwischen Lachen und Weinen dem Verlauf der Ermittlung, in der der Inspektor über viele Umwege dann doch auch noch Recht bekommt. Ein anrührendes Buch.

 

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste September 2013

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(1)

Dominique Manotti: Zügellos

Aus dem Französischen von Andrea Stephani

Argument/Ariadne, 286 S., 18,00 €

Paris 1989. Im Osten wankt die Mauer, bei Paris brennen die Pferde. Versicherungsbetrug, Drogenhandel, Rosstäuscherei, Begünstigung, Mord – Wirtschaftsbosse und Polit-Amigos hemmungslos im Bereicherungsrausch, gereifte 68er am Ruder. Scharfer Witz und klare Sprache: Manotti.

2

2

(5)

Adrian McKinty: Der katholische Bulle

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Suhrkamp, 384 S., 19,95 €

Belfast 1981. DS Duffy, einziger Katholik unter Protestanten, glaubt fest an die Aufklärungspflicht der Polizei. Harter Job im glimmenden Bürgerkrieg. Jagt er Schwulenmörder, IRA-Bosse oder protestantische Paramilitärs? Wem nützt sein Wahrheitswille zuletzt? Duffy blickt durch: angeschossen, aber optimistisch.

3

3

(-)

Andrea Maria Schenkel: Täuscher

Hoffmann und Campe, 240 S., 18,99 €

Landshut 1922. Hubert Täuscher, Bürstenfabrikantensohn und „Weiberer“, als Mörder der Klavierlehrerin Ganslmeier und ihrer Mutter verhaftet, angeklagt, hingerichtet. Sittenbild aus der Inflationszeit nach wahren Begebenheiten. Rekonstruktion eines Justizirrtums. Well done in Schenkels Manier.

4

4

(-)

Stephen King: Joyland

Aus dem Englischen von Hannes Riffel

Heyne, 352 S., 19,99 €

Heaven’s Bay, North Carolina 1973. Devin Jones, 21, liebeskummerkrank, jobt als Helfer im altmodischen Vergnügungspark Joyland. In diesem Sommer rettet er zwei Leben, stellt einen Serienmörder und rächt ein ermordetes Mädchen. Melodram in Geisterbahn, King light.

5

5

(-)

Carsten Stroud: Die Rückkehr

Aus dem Englischen von Robin Detje

Dumont, 608 S., 19,99 €

USA, im Süden. Band 2 der Niceville-Trilogie bildet die Brücke zwischen alter Südstaaten-Blutschuld und brutal-grotesker Gegenwart. Fossilien tauchen auf, Bankräuber unter. Der Kampf fokussiert sich auf Jung-Rainey: Was gewinnt die Macht über ihn? Fein gewirkter Horror-Crime-Fantasy-Mix.

6

6

(-)

C. S. Forester: Tödliche Ohnmacht

Aus dem Englischen von Britta Mümmler

dtv, 280 S., 14,90 €

London/Sussex. Im 1935 verfassten und verschollenen, erst 2011 entdeckten Roman erweist sich Käptn-Hornblower-Erfinder Forester als Meister des psychologischen Noirs. Familiengewalt, Notwehr, Opfer – parteiisch und einfühlsam aus damals außergewöhnlicher weiblicher Perspektive. Eine Sensation.

7

7

(3)

Lavie Tidhar: Osama

Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller

Rogner & Bernhard, 312 S., 22,95 €

Vientiane/London/New York. Privatdetektiv Joe sucht den Mann, der Osama bin Laden erfand. Plausible Realitätsumkehr: Al-Kaida als Fantasieprodukt eines Serienschreibers. Auf der Suche nach der Wahrheit der Fiktion taumelt Joe wie durch Drogenwelten, gehetzt vom Komitee gegen Gegenwärtige Gefahr KGG.

8

8

(9)

Matthew Stokoe: Empty Mile

Aus dem Englischen von Joachim Körber

Arche, 400 S., 24,95 €

Oakridge, Kalifornien. Weil Johnnie einmal nicht aufgepasst hat, ist sein kleiner Bruder jetzt geistig behindert. Weil diese Schuld nicht getilgt werden kann, ist er wehrlos den Attacken sadistischer Nachbarn ausgesetzt. Mit dem Hammer geschriebene Apokalypse aus dem Land des großen Goldrauschs.

9

9

(-)

Walter Mosley: Manhattan Fever

Aus dem Englischen von Kristian Lutze

Suhrkamp, 380 S., 9,99 €

Manhattan. In Gangsterdiensten hatte Leonid McGill Zella gefälschte Beweise untergeschoben, als geläuterter Privatdetektiv will er die Knast-Entlassene nun vor weiteren Folgen seiner Tat bewahren. 58 Millionen wurden damals geklaut, jetzt bringen die Diebe alle Zeugen um. Mosley wieder in Form.

10

10

(6)

 

Dror Mishani: Vermisst

Aus dem Hebräischen von Markus Lemke

Zsolnay, 352 S., 17,90 €

Cholon, Israel. Inspektor Avraham liebt es, die Fehlschlüsse von Krimi-Detektiven aufzudecken. Im Fall des verschwundenen Jugendlichen Ofer Sharabi erfährt er quälend, dass die komplexe Realität auch seinen unbestechlichen Ermittlerblick trüben kann. Very sophisticated. Vielversprechendes Debüt.

 

 

INFO:

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.



Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 5. September 2013 mit Tobias Gohlis gegen 8.50 Uhr im Nordwestradio Journal und in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 5. September 2013 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.



 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur

 

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal inzwischen darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt. und die wir für 2012 ebenfalls kommentierten. 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1208-der-beste-krimi-2012-bleibt-von-fred-vargas-die-nacht-des-zorns-aus-dem-aufbau-verlag



http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1208-der-beste-krimi-2012-bleibt-von-fred-vargas-die-nacht-des-zorns-aus-dem-aufbau-verlag