Doderer Wasserfalle WerkausgabeHeimito von Doderers Projekt „Roman No 7“

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein Kauz und ein in mancher Hinsicht unsympathischer Zeitgenosse sei Heimito von Doderer gewesen.

So die Einschätzung von Eva Menasse, die sie 2016 in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk über den österreichischen Schriftsteller äußerte. Aber für sie sei er dennoch ein „Gott der Literatur“. Zum Einstieg in sein Werk empfahl sie ihren Lieblings-Doderer-Roman „Die Wasserfälle von Slunj“: „Es ist idyllisch, es ist schön, es ist bewegend und es ist wahnsinnig lustig und unterhaltsam.“

Die „Wasserfälle“ sind der letzte Roman, den Doderer vollenden konnte. Er war als erster Teil des vierteiligen „Romans No. 7“ geplant (die Bezeichnung ist eine Reverenz vor Beethovens „7. Symphonie“) und spielt zeitlich früher als „Die Strudlhofstiege” (1910/11 und 1923/25) und „Die Dämonen” (1926/1927), nämlich zwischen 1877 und 1910.

Das frisch vermählte englische Paar Robert und Harriet Clayton ist auf seiner Hochzeitsreise, die sie an einige sehenswerte Orte der Donaumonarchie („Kakanien“) führt. Ihr End- und Höhepunkt sind die Wasserfälle von Slunj in Kroatien. Dort empfängt Harriet ihren Sohn Donald. Die Wasserfälle werden so zu einem bedeutungsvollen Ort, der die dramaturgische Klammer um das drei Jahrzehnte umfassende Geschehen bildet. Hauptschauplatz aber ist Wien, daneben Städte und Landschaften des Balkans und Englands. In Wien bereitet Roberts Vater derweil die Eröffnung einer Zweigniederlassung des in England ansässigen Familienunternehmens vor, deren Leitung dann Robert übernimmt. Auch Donald wird zu einem talentierten Ingenieur, der zum Erfolg des Unternehmens beiträgt. Vater und Sohn sind sich auch äußerlich ähnlich. Da Donald früh ergraut, werden sie bald die "Clayton bros." genannt. Doch dem Jüngeren mangelt es an der Vitalität und Ausstrahlung des Älteren. Das gilt insbesondere für Donalds Beziehungsunfähigkeit gegenüber Frauen. So gelingt es ihm nicht, der vier Jahre älteren Monica, die ebenfalls Ingenieurin ist, seine Liebe zu zeigen. Deren Signale, ihr ins Schlafzimmer zu folgen, vermag er nicht zu entschlüsseln. Die Romanze endet, noch ehe sie richtig begonnen hat.

Monica indessen fühlt sich immer mehr zu Robert hingezogen. Die Anzeige über die bevorstehende Heirat erreicht Donald während einer Geschäftsreise durch die südlichen Landesteile. Auf dem Heimweg nach Wien werden die Wasserfälle von Slunj besucht. Dort schließt sich der Kreis durch ein verhängnisvolles Geschehen.

Der unterhaltsame und über viele Strecken spannende Roman weist weniger Personen auf als die „Strudlhofstiege“ und die „Dämonen“, obwohl zahlreiche Nebenepisoden, die sämtlich miteinander verbunden sind, zu einem sehr detailreichen und farbigen Zeitgemälde beitragen. Der Leser behält jedoch den Überblick, obwohl sein detektivischer Spürsinn immer wieder gefordert wird. Auch unvermittelte Zeit- und Ortssprünge sind die Ausnahme. Hingegen ist die in ihren unterschiedlichen Facetten dargestellte österreichische Gesellschaft für den Autor Anlass, sie mit Witz und Bissigkeit zu kritisieren. Hier ist Doderer in seinem Element. Und er kommt dabei schneller zum Punkt als in den bereits erwähnten Romanen.

Den geplanten vierbändigen Zyklus konnte er jedoch nicht vollenden. Bei seinem Tod am 23. Dezember 1966 lag erst der unvollendete zweite Band („der zweite Satz“) vor, der 1967 als Fragment unter dem Titel „Der Grenzwald“ erschien.

Heimito von Doderer wurde am 5. September 1896 in Weidlingau bei Wien geboren und starb am 23. Dezember 1966 in Wien. Er nahm als Offizier am Ersten Weltkrieg teil und geriet 1916 in russische Kriegsgefangenschaft; erst 1920 kehrte er in seine Heimatstadt zurück. Von 1921 bis 1925 studierte er Geschichtswissenschaft an der Universität Wien.  1933 trat er der NSDAP bei - was er später als «theoretischen Irrtum» bezeichnete. Nach zweijährigem Aufenthalt im Deutschen Reich trat er, der als Protestant getauft war, der katholischen Kirche bei. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er als Luftwaffenoffizier eingesetzt. Obwohl er bereits in den 1920er und 30er Jahren Prosatexte veröffentlichte, wurde er erst nach dem Erscheinen des Romans „Die Strudlhofstiege“ einem größeren Publikum bekannt. Ebenso viel gelesen und von der Kritik überwiegend positiv rezensiert wurden „Die Dämonen“ und „Die erleuchteten Fenster“, die auch als seine „Wiener Romane“ bezeichnet werden. Von seinem „Roman No 7“ wurde nur der erste Teil „Die Wasserfälle von Slunj“ vollendet; der zweite Teil „Der Grenzwald“ blieb Fragment.

Während ein Teil der Kritiker einerseits Doderers Ideologie der Ideologielosigkeit als verkappte konservative Ideologie verurteilte, schätzte ein anderer (z.B. Helmut Qualtinger) das anarchische und antibourgeoise Element in seinen Schriften.


Foto:
Umschlag der Leinenausgabe
© Verlag C. H. Beck

Info:
Der Roman ist derzeit in drei Ausgaben lieferbar:
Die bei dtv erschienene Taschenbuchausgabe (Ladenpreis 14,90 Euro), die gebundene Jubiläumsausgabe mit einem Vorwort von Eva Menasse (Ladenpreis 24,00 Euro) und die im Rahmen des „Erzählerischen Werks“ aufgelegte Leinenausgabe (Ladenpreis 29,95 Euro).