Deutscher Buchpreis 2020, Zwanzigerliste, Teil 9
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mit dem Deutschen Buchpreis kommt man rum. Jetzt also die Malediven, von denen man aber nichts mitbekommt, denn wir bleiben in der Hauptstadt Malé. Keine Werbung für den dortigen Tourismus, der gerade boomt, wobei die vielen tausend Inseln im Indischen Ozean aufgeteilt sind in die der Einheimischen, die Dhivehi sprechen, und den Touristeninseln, die allesamt gefährdet sind, unterzugehen, weil der Meeresspiegel infolge der Klimakatastrophe extrem steigt.
Warum wählt Autor Roman Ehrlich diesen Ort, wo doch das, was er als Endzeit, als Menschheitsdämmerung erzählen will, eigentlich mit einem konkreten Ort gar nichts zu tun hat? Tatsächlich läßt er die reale Bedrohung der Malediven in seinem Roman schon geschehen sein. Die Touristenströme sind weitergezogen, die Einwohner der Hauptstadt sind längst an sicheren Orten, stattdessen zieht das heruntergekommene, vermüllte Malé Menschen an, die man im weitesten Sinn Aussteiger nennen könnte, Menschen, die eine überorganisierte Welt fliehen, Menschen, in denen die Unsicherheit des Geschehens Abenteuerlust hervorruft, Menschen, die selbstmordgefährdet sind, Drogenabhängige wie Drogendealer.
Diese Menschen kann man in mindestens drei Gruppen unterteilen.Da gibt es die Hauptpersonen, von denen die Rede ist, die aber beide tot oder verschollen sind: der deutsche Lyriker Judy Frank und die weltberühmte Schauspielerin Mona Bauch. Nach ihm sucht insbesondere die amerikanische Literaturwissenschaftlerin, in deren Hände alle seine Unterlagen gerieten, die jetzt zum Nachlaß werden. Nach ihr sucht insbesondere ihr Vater, der ständig als der Vater der Schauspielerin tituliert wird, selten Elmar Bauch, und der damit konfrontiert ist, daß sie als Selbstmörderin gilt. Es tauchen eine Unmenge von abenteuerlichen Figuren mit wunderlichen Namen auf, die die Internationalität der Szene dokumentiert.
Dann aber gibt es die Namenlosen, mit denen der Roman mit dem Gefesselten beginnt: die Person, der Musiker, die Pilotin, der Stehende, der Professor, der Milizionär, der Whistleblower. Es werden Berufe, aber auch Seinszustände zu Handelnden, wobei man aber nicht versteht – ich auf jeden Fall nicht – worin die Unterschiede zu den Namentlichen bestehen, wobei ja auch die ständig mit Ihren Berufen gekennzeichnet werden, wie pensionierter Schiffskoch oder Romanschriftstellerin.
Aber alle dies Menschen, die auftauchen, haben keine Geschichte, auf daß man sie einordnen, verstehen könnte, zudem bleibt auch ihr Bezug zum Lyriker/der Schauspielerin seltsam vage, richtig blutleer. Das gilt auch für den Erzähler, der seinen Figuren gegenüber keine Empathie zum Ausdruck bringt, sondern in langen, auch verschachtelten Sätzen eher wie ein Buchhalter Bericht gibt.
Und noch ominöser kommt einem die dritte Gruppierung vor, die Eigentlichen. Das sind die, die nach dem Zusammenbruch des Landes die herrschaftsfreie Zone besetzten, eine Terrororganisation, die zudem ihre Herrschaft von einem verlassenen Kreuzschiff aus ausübt, aber auch für die Bevölkerung Lebensnotwendiges und dann auch Drogen organisiert.
Dies ist ein unheimliches Buch, aus dem ich nicht schlau wurde, auch wenn ich Wort für Wort las, wuchs es doch nicht zum Ganzen zusammen. Was ist überhaupt die Geschichte, denn es gibt zwar einen Anfang, aber schon der Gefangene bleibt auf der Strecke, wie die Leserin, die zur Sinnsucherin wurde, ohne Ergebnis.
P.S. Vielleicht ist es ja der Kunstgriff des Autors, daß er die Beziehungslosigkeit der in Malé Gestrandeten durch eine ebensolche Sprache ausdrücken möchte. Mich hat das nichgt neugierig gemacht, für das literarisches Personal echtes Interesse zu gewinnen.
Foto:
Cover
Info:
Roman Ehrlich, Malé, S.Fischer 2020
ISBN 978-3-10-397221-4