Buchbesprechung und Vorlesung von Ulrike Almut Sandig
Hanswerner Kruse
Fulda (Weltexpresso) - „Monster wie wir“, in der Vorlesestunde zur Eröffnung von Leseland Hessen trug die bekannte Lyrik- und Hörspielautorin Ulrike Almut Sandig Auszüge aus ihrem Debütroman vor.
„Die Ohrfeige hörten wir bis ins Esszimmer, in dem wir auf einem improvisieren Matratzenlager hockten und konzentriert in Liederbücher (ich) und Karl May (Fly) starrten, um nichts zu verpassen (...) Alles beginnt damit, eine Ohrfeige für das natürliche Ende eines Gespräches zu halten.“
In dem Buch versucht sich die Ich-Erzählerin Ruth an ihre Kindheit und Jugend zu erinnern und stellt ihre Geschichte einem Voitto dar, von dem wir Zuhörer in der Lesung nichts weiter erfuhren. Es geht um Gewalt, sexuelle Gewalt, die Ruth und ihr Kinderfreund Viktor in ihren verschiedenen Familien erleben, aber darüber nicht miteinander reden können. Die Erlebnisse beider Kinder werden nicht realistisch nacherzählt, sondern in ihrer Schwere lediglich angedeutet. Während Ruth immer wieder im Nebel ihrer Erinnerungen stochern muss, kann Viktor sie sich zornig vergegenwärtigen. So sehr, dass er später in Paris, als glatzköpfiger Au-Pair, einen Vater schwer verletzt, den er beim Missbrauch des eigenen Sohnes erwischt.
Natürlich ist ein bulliger Skinhead als Kindermädchen in Frankreich eine ebenso skurrile Fantasie der Autorin, wie die gemeinsame Geburt Ruths mit ihrem Bruder Fly, der gar kein Zwilling sondern einige Jahre älter ist. Doch auch durch solch surreale Einblendungen und manch ironische Formulierungen nimmt Sandig ihrem Thema die Schwere: Das war bereits bei den von ihr gelesenen Auszügen zu spüren. Ihre Sprache ist weder schnodderig noch bildungsbürgerlich elaboriert, sondern sagen wir: gehobene Alltagssprache mit verträumten Abschweifungen und weisen Nachdenklichkeiten.
Ein Hauch von DDR-Kindheit durchzieht diesen Entwicklungsroman: Die gehässige, sächsisch redende Nachbarin. Ein junger russischer Soldat, der Ruth und ihren Bruder Fly im brennenden Haus das Leben rettet. Fly, der seine jüngere Schwester unaufhörlich „Schnullerpuppe“ nennt.
Larmoyante Dramatik gibt es nicht und auch die Reflexionen gleiten nicht in therapeutische Diagnosen ab. Nicht die Taten sondern die Gefühle der Missbrauchten interessieren die Autorin in ihren Erzählungen: Während Viktor seinem Monster freien Lauf lässt, gerade mit späterer Gegengewalt, hält Ruth ihn in sich zurück. Vielleicht wird sie sich eines Tages auch von ihrem Monster befreien können, indem sie es herauslässt...
Doch das blieb offen an diesem Abend, Sandig breitete ihr Buch lediglich aus: Das ist meine Story. Das sind meine Themen. Das ist meine Sprache. Das ist mein Stil. Nun schaut, was ihr damit macht. Der Rezensent jedenfalls wurde recht neugierig
Weder als Schreiberin noch als Vorleserin biedert sich Sandig dem Publikum an. Sie macht sich mit den Zuhörenden vertraut ohne ins Private abzugleiten. Aber schade, pünktlich um 20 Uhr ließ die Autorin ihr Buch sinken, obwohl man gerne noch mehr von ihr gehört hätte. Die Zeit, die Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld (CDU) für seine freundliche Begrüßung und Organisatorin Jutta Sporer für ihre gute Anmoderation brauchten, wurde leider nicht „nachgespielt.“
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Info:
„Monster wie wir" von Ulrike Almut Sandig:
240 Seiten. Gebunden. Lesebändchen. Verlag Schöffling & Co. 22 Euro