Serie: Deutscher Buchpreis 2013, Teil 8
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn wir so plakativ von den Männer reden, die in den letzten sechs Romanen zum Deutschen Buchpreis – und nicht nur dort – das Romangeschehen bestimmen, wollen wir uns erst einmal zufrieden zeigen, daß die Geschlechterfrage, was die Autoren und Autorinnen angeht, halbe halbe aufgeht. Das ist nicht selbstverständlich. Genauso wenig selbstverständlich ist, daß alle drei Autorinnen männliche Helden aufbieten und niemand mehr aus Österreich oder der Schweiz dabei ist.
Fangen wir mit Letzterem an. Die Österreicher beklagen gleich dreieinhalb Fehlstellen. Denn Daniel Kehlmann zählen sie halb mit und auch Thomas Glavinic, Norbert Gstrein und Thomas Stangl – übrigens alles männliche Autoren - sind ausgeschieden. Überprüft man dann von der Zwanzigerliste noch die Schweizer, sieht man verwundert, daß auch Urs Widmer, Ralph Dutli, Jonas Lüscher und Jens Steiner- übrigens erneut alles männliche Autoren - nicht mehr dabei sind. Wenn wir ehrlich sind, erkennen wir erst jetzt, in welch starkem Umfang dieses Mal die Zwanzigerliste auch Österreicher und Schweizer umschloß. Und wir können durchzählen, daß von den damals nur sechs nominierten Autorinnen nun drei nicht mehr dabei sind: Judith Kuckart, Dagmar Leupold und Nellja Veremej.
Die beiden letzteren übrigens aus dem österreichischen Verlag Jung und Jung aus Salzburg, aus dem auch die beiden letzten Buchpreisträgerinnen kamen: eine Schweizerin, Melinda Nadj Abonji für TAUBEN FLIEGEN AUF im Jahr 2010 und die Deutsche Ursula Krechel für LANDGERICHT im letzten Jahr, so daß man schon von einer Kaderschmiede für potentielle Buchpreisautorinnen sprechen kann, auf jeden Fall eine hervorragende Verlagsarbeit von Jochen Jung, wieder zwei Autorinnen auf die Zwanziger Liste gebracht zu haben.
Unter den letzten Sechs ist auch die auf Deutsch schreibende Ungarin Terézia Mora mit DAS UNGEHEUER aus dem Luchterhand Literaturverlag, die vor Jahren den Leipziger Buchpreis für einen anderen Roman erhielt. Was uns bei der zweiten Analyse der Finalisten auffällt, ist, daß die Helden dieser Romane allesamt männliche Exponate sind. Schon daß die drei Autorinnen sich Männer zu ihren literarischen Helden macht, fällt auf. Bei Terézia Mora ist es Darius Kopp, den wir schon aus DER EINZIGE MANN AUF DEM KONTINENT kennen. Nun ist er verwitwet, was nach dem Verlust seiner Arbeit schon schlimm genug ist, schlimmer aber, daß sie sich selbst umbrachte.
In Marion Poschmanns SONNENPOSITION geht es um Altfried Janich, ein Westler aus Köln und auf der Suche nach einem guten Arbeitsplatz als Psychiater in ein ehemaliges Barockschloß in der ehemaligen DDR gekommen. Auch hier geht es um einen Toten, sein Freund ist jung gestorben, aber wie wir merken, gar kein so guter Freund gewesen, bzw. er ihm. Das kann man nahtlos auf Tom und Marc aus DIE ORDNUNG DER STERNE ÜBER COMO übertragen. Tom Holler ist die Hauptperson, Marc der Freund, der die Freundschaft nicht überlebt, wobei im klassischen Trio Betty die irrlichternde Frau gibt. Immer aber bleibt der Roman dicht bei Tom und wir sehen mit seinen Augen die Welt und fühlen mit seinen Gefühlen sein Leben. Wir wollen es nicht so gerne verraten, aber auch hier gibt es einen Toten, so daß wir verblüfft konstatieren, daß die Auswahl der Sechserliste und bei den Autorinnen dreimal die Konstellation bringt: männlicher Held. Einmal stirbt die Ehefrau, zweimal sterben die besten Freunde.
Neugierig geworden, was es mit all den männlichen Helden auf sich hat – verstehen können wir gut, daß auch Frauen mal die Männer handeln, lieben und leiden lassen – schauen wir uns unter dem Aspekt MANN auch die drei übrigen Romane an und sehen verblüfft, daß auch bei Mirko Bonné mit NIE MEHR NACHT ein männlicher Held agiert, der durch seinen Neffen begleitet, in Frankreich den Selbstmord seiner Schwester 'verarbeiten' will. Bruder und Schwester war auch die geheime Botschaft in Marion Poschmanns SONNENPOSITION. Wichtiger aber bleibt, schon wieder ein Selbstmord. Und wieder eine Frau.
Reinhard Jirgl hat in NICHTS VON EUCH AUF ERDEN gleich die ganze Menschheit im Blick. Oder genauer gesprochen die Erde und die Natur. Aber da es um den Mars geht und des Menschen technische Fähigkeiten, sind zwangsläufig Männer stärker die Protagonisten. Männer sind auch bei Clemens Meyer das handelnde Geschlecht. Natürlich geht es im Rotlichtmilieu erstmal um die Befriedigung von Männern, auch was das Verdienen angeht. Aber Meyer bekommt das Sirenenhafte des Geschehens nur so alltäglich hin, weil er die Stimmen der Frauen summen läßt. Die Stimmen der Frauen sind das Atmosphärische, auf dem Männer ihre Imperien errichten.
Glauben Sie nur nicht, wir kämen sonst auf die Idee, in Romanen nach männlichen Helden oder weiblichen Heldinnen zu fragen. Tatsächlich haben wir eine solche Analyse hier bei diesem Durchgang der Sechserliste zum allerersten Mal erstellt. Sie lag aber auf der Hand, denn es fiel einfach auf, daß die drei nominierten Frauen allesamt Männer zu ihren Protagonisten wählten, was man bei männlichen Schriftstellern sowieso vermutet. Es liegt an Ihnen die restlichen Autoren der Zwanzigerliste daraufhin noch einmal anzuschauen, inwieweit auch dort die Helden männlicher Natur sind. Das Büchelchen „deutscher Buchpries 2013“, das der Börsenverein dankenswerterweise herausgebracht hat, hilft Ihnen dabei!
Es gibt natürlich auch andere Literaturpreise. So ist der „aspekte“-Literaturpreis ein anerkannter und mit 10 000 Euro wohldotierter Preis, der allerdings nur für ein Debüt, für das beste literarische Erstlingswerk in Prosa, verliehen wird. Erfahrungsgemäß sind das nicht die Schriftsteller, die sich gleich auf der Liste der Sechs zum Deutschen Buchpreis wiederfinden. Diesmal mit einer Ausnahme: Monika Zeiner, die für DIE ORDNUNG DER STERNE ÜBER COMO sowohl für den Deutschen Buchpreis wie auch den „aspekte“-Preis nominiert ist. Mit ihr sind bei letzterem Roman Ehrlich DAS KALTE JAHR, Jonas Lüscher FRÜHLING DER BARBAREN, Eberhard Rathgeb KEIN PAAR WIE WIR, Hannes Stein DER KOMET und Stefanie de Velasco TIGERMILCH.
Nun wissen wir nicht, ob deren Verlage ihre Erstlingswerke an die Jury zum deutschen Buchpreis schickten oder von dort angefordert wurden. Aber, wenn es mit rechten Dingen zugeht, müßte eigentlich die doppelt nominierte Monika Zeiner den „aspekte“-Preis erringen. Da dieser schon am 4. Oktober in der Sendung des ZDF bekanntgegeben wird, weiß man dies am 7. Oktober auf jeden Fall.
INFO:
Der Jury für den Deutschen Buchpreis 2013 gehören neben Helmut Böttiger an: Katrin Lange (Literaturhaus München), Ursula März (Die Zeit), Jörg Plath (freier Kritiker), Andreas Platthaus (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Klaus Seufer-Wasserthal (Rupertus Buchhandlung, Salzburg, Österreich) und Claudia Voigt (Der Spiegel).
Im ersten Schritt wählten die Juroren aus diesmal 201 eingereichten und angeforderten Romanen eine Auswahl von zwanzig, die am 14. August veröffentlicht wurden. Im nächsten Schritt wählen die Juroren aus den Titeln der Langen Liste sechs Titel für die Kurze Liste aus, die am 11. September 2013 veröffentlicht wurde. Erst am Abend der Preisverleihung, der immer der Montagabend vor Beginn der Frankfurter Buchmesse im Frankfurter Römer ist, diesmal am 7. Oktober, erfahren die sechs Autoren, an wen von ihnen der Deutsche Buchpreis geht. Der Preisträger erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalisten erhalten jeweils 2.500 Euro.
Der Deutsche Buchpreis wird von der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung vergeben, er ist mit insgesamt 37.500 Euro dotiert. Partner des Deutschen Buchpreises sind Paschen & Companie, die Stiftung der Frankfurter Sparkasse, die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland.
Anlässlich der Nominierung der Langen Liste-Titel erscheint das „Lesebuch zur Longlist Deutscher Buchpreis 2013“, herausgegeben von der MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH, einer Wirtschaftstochter des Börsenvereins. Darin werden Leseproben und Hintergrundinformationen zu den nominierten Romanen veröffentlicht. Es ist seit der Bekanntgabe der Langen Liste vielen Buchhandlungen erhältlich; wir haben dies Angebot rezensiert. Dann haben wir auf den 11. September mit der Kurzen Liste gewartet und der großen Veranstaltung mit allen Ausgewählten (geplant) im Literaturhaus in Frankfurt, das für den 21. September terminiert ist. Jetzt bleibt nur noch auf den 7. Oktober zu warten, der Preisverleihung im Frankfurter Römer, wo nach ausführlicher Vorstellung der Bücher und ihrer Verfasser der Buchpreisträger gekürt wird!
Foto: Dieser Sarkophag mußte einfach als Bildbetitelung sein! Erstens ist er ein Symbol für die Toten, die die Endauswahl dieser Kurzen Liste bevölkern, dann aber deuten wir Achill einfach um in Orpheus, der hier vom leibhaftigen Chiron auf den Weg in die Unterwelt gebracht wird. So geht es allen um einen Lieben und Geliebten Trauernden auf eRden.
P.S. Vergleiche auch unsere bisherigen Artikel, insbesondere
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1915-leseproben-der-langen-liste-als-buch-vom-boersenverein-sehr-gut-aber
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1984-bonne-jirgl-meyer-mora-poschmann-und-zeiner