Serie: Deutscher Buchpreis 2013, Teil 7

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir sind unsere Kommentar noch schuldig, zu der Auswahl der sechs besten deutschen Romane im Literaturjahr Oktober 12 bis September 13, die am 11. September bekannt gemacht wurde. Das Entscheidende war erst einmal, wer von der Langen Liste der 20 Ausgewählten hier fehlt. Daniel Kehlmann mit F in erster Linie.

 

 

In der Tat müßte die Jury das einem normal Sterblichen erst einmal erklären, wieso ein so fulminantes Buch wie das bei Rowohlt erschienene F von Daniel Kehlmann nicht als Buchpreisträger nominiert wurde, Kehlmann, der mit VERMESSUNG DER WELT im ersten Jahr des Deutschen Buchpreises immerhin bei den letzten Sechs verweilen durfte, ein Buch, das bis heute völlig unverständlicherweise dann links liegen gelassen wurde, während den ersten Deutschen Buchpreis Arno Geiger für sein äußerst fades Geschichtsepos ES GEHT UNS GUT erhielt. Kehlmann ist also eh geschädigt vom Verfahren um den Deutschen Buchpreis. Was ist es also, weshalb er nicht mitnominiert wurde?

 

An der Qualität des Buches kann es nicht liegen. Daß sein Titel F so viele Deutungen zuläßt, von denen nach dem Lesen FÄLSCHUNG besonders paßt und auch durch das Anschauen des Orson Welles' Films gleichen Namens im Buch eine Bestätigung findet, kann ja nicht ehrenrührig sein. Und die anderen Gedankenspiele um das F, sei es das schicksalhafte FATUM, der FAMILIENroman, die hier sehr realistische FIKTION, oder daß es um Vater Arthur sowie dessen Söhne Martin, Eric und Iwan FRIEDLAND geht, ja von denen, die es mit Kehlmann nicht gut meinen, wurde sogar FIRLEFANZ vorgeschlagen. Letzteres ist dieser Roman mitnichten. Aber schwierig ist er schon.

 

Zu F kann man guten Gewissens sagen, daß der Roman nicht wie DIE VERMESSUNG DER WELT aus einem Guß, sondern aus mindestens zwei Güssen besteht. Davon ist der formvollendete Guß sein erstes Kapitel“Der große Lindemann“, das bis Seite 49 geht und das stärkste Stück Literatur der letzten Jahre darstellt. Kehlmann gelingt hier im ansteigenden Spannungsboden die Absurdität und bittere Lebensrealität eines verkannten Schriftstellers und dahinerziehenden Vaters mitsamt seiner Decouvrierung vor den Augen aller drei Söhne durch Wahrsager Lindemann elegant und zwingend in eine Novelle zu gießen, die so abgeschlossen, so einzigartig, so ohne eine nötige Fortsetzung wirkt, daß wir nach diesem fulminanten Beginn uns schon am Ende wähnten. Hochzufrieden und satt übrigens, so daß wir zuerst gar nicht weiterlesen wollten, weil es für Arthur F. keine Fortsetzung gab.

 

Das sah im Grundsatz auch Daniel Kehlmann so, denn was folgt sind Psychostudien seiner drei Söhne, die alle im Leben scheitern, Söhne, die nicht nur unterschiedlich sind, sondern alle drei auf ihre Weise am und mit dem großen F scheitern. Martin ist katholischer Priester geworden, obwohl er an keinen Gott glaubt, aber es schien ihm so am einfachsten. Zwilling Eric ist erst erfolgreicher, dann mit Lehman Brothers in den Untergang strudelnder Banker, der ja nicht nur sein eigenes Geld verbrannt hat, sondern das ihm anvertraute der Kunden und damit deren und seine eigene Existenz vernichtet hat und schließlich Iwan, die interessanteste, aber auch etwas schattenhaft bleibende weitere Figur, der zweite Zwilling, der nicht einfach ein Betrüger ist, wie die beiden anderen, sondern nur ein mittelmäßiger Künstler, sondern dem es gelingt, mit dem Namen eines Malers Eulenböck, der älter geworden, keine künstlerischen Ambitionen mehr hat, auch keine Aussagen mehr zu machen hat, aber dessen Geliebter Iwan geworden ist, unter dem Namen diesen Malers selbst ein Werk zu malen, das er als Kunstkritiker auf dem Kunstmarkt dann hochpusht und als Agent den Gewinn doppelt und dreifach einstreicht: für das Bekanntwerden, für die Vermittlung, für das Malen selbst . Er ist derjenige, der sich selbst fälscht, sich mitbetrügt und mitvernichtet. Aber vielleicht sind das alles viel zu starke Worte, zu denen uns der Buchstabe F verleitet, vielleicht sind die drei nur Schaumschläger und vor allem Illusionisten.

 

Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, dann liegt das daran, daß in Kehlmanns Roman Ereignisse vorkommen, die wir jeden Tag in der Zeitung lesen, wobei die Kunstfälschung von Wolfgang Beltracchi die vordergründigste ist und die Bankenpleite die internationalste, aber auch die Katholische Kirche und die Probleme ihrer Priester eine Rolle spielen. Der Roman könnte auch K heißen, nicht nur, weil dies von Herrn Keuner ein beliebtes Spiel ist, sondern weil es um gesellschaftliche und persönliche KRISEN geht, sowie um KUNST. KIRCHE, KAPITAL und die ihnen innewohnende KRIMINALITÄT.

 

Uns hat der Roman erst hervorragend gefallen, dann irritiert, dann wieder gefesselt. Er ist nicht rund, ganz und gar nicht, nur das erste Kapitel bleibt ein kleines Meisterstück. Er hätte auf jeden Fall Platz auf der Liste der letzten Sechs und wir lassen uns auch nicht damit abspeisen, daß der Name Kehlmann und seine Art zu schreiben, sowieso für eine hohe Auflage und große Leserakzeptanz sorgen werden. Das finden wir billig, wenn mit ungleichen Maßstäben gemessen wird. Insofern deuten wir nur an, daß Martin Walser mit DIE INSZENIERUNG natürlich ebenfalls auf diese Auswahlliste gehört hätte. Wir wissen aber nicht, ob sein Verlag Rowohlt ihn überhaupt eingereicht hatte – schließlich hat er das letzte Mal kein Glück damit gehabt – oder ob dies Buch aus der Jury beim Verlag angefordert wurde. Aber dennoch ist das unglaublich produktive Spätwerk von Martin Walser noch einmal etwas anderes, als der neue Roman von Daniel Kehlmann, der mit 38 Jahren ja immer noch jung ist. In der Fortsetzung sagen wir dann etwas zu den ausgewählten Sechs und denen, die auf der Strecke blieben. Fortsetzung folgt.

 

 

INFO:

 

Der Jury für den Deutschen Buchpreis 2013 gehören neben Helmut Böttiger an: Katrin Lange (Literaturhaus München), Ursula März (Die Zeit), Jörg Plath (freier Kritiker), Andreas Platthaus (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Klaus Seufer-Wasserthal (Rupertus Buchhandlung, Salzburg, Österreich) und Claudia Voigt (Der Spiegel).

 

Im ersten Schritt wählten die Juroren aus diesmal 201 eingereichten und angeforderten Romanen eine Auswahl von zwanzig, die am 14. August veröffentlicht wurden. Im nächsten Schritt wählen die Juroren aus den Titeln der Langen Liste sechs Titel für die Kurze Liste aus, die am 11. September 2013 veröffentlicht wurde. Erst am Abend der Preisverleihung, der immer der Montagabend vor Beginn der Frankfurter Buchmesse im Frankfurter Römer ist, diesmal am 7. Oktober, erfahren die sechs Autoren, an wen von ihnen der Deutsche Buchpreis geht. Der Preisträger erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalisten erhalten jeweils 2.500 Euro.

 

Der Deutsche Buchpreis wird von der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung vergeben, er ist mit insgesamt 37.500 Euro dotiert. Partner des Deutschen Buchpreises sind Paschen & Companie, die Stiftung der Frankfurter Sparkasse, die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland.

 

Anlässlich der Nominierung der Langen Liste-Titel erscheint das „Lesebuch zur Longlist Deutscher Buchpreis 2013“, herausgegeben von der MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH, einer Wirtschaftstochter des Börsenvereins. Darin werden Leseproben und Hintergrundinformationen zu den nominierten Romanen veröffentlicht. Es ist seit der Bekanntgabe der Langen Liste vielen Buchhandlungen erhältlich; wir haben dies Angebot rezensiert. Dann haben wir auf den 11. September mit der Kurzen Liste gewartet und der großen Veranstaltung mit allen Ausgewählten (geplant) im Literaturhaus in Frankfurt, das für den 21. September terminiert ist. Jetzt bleibt nur noch auf den 7. Oktober zu warten, der Preisverleihung im Frankfurter Römer, wo nach ausführlicher Vorstellung der Bücher und ihrer Verfasser der Buchpreisträger gekürt wird!

www.deutscher-buchpreis.de

 

 

P.S. Vergleiche auch unsere bisherigen Artikel, insbesondere

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1915-leseproben-der-langen-liste-als-buch-vom-boersenverein-sehr-gut-aber

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1984-bonne-jirgl-meyer-mora-poschmann-und-zeiner