Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wir hatten uns zu dieser form- und farbenschönen Hörspielediton schon zweimal höchst zufrieden geäußert. Daß es erst jetzt weitergeht, hat auch damit zu tun, daß in der Kassette immerhin sechs CDs darauf warten gehört und besprochen zu werden,wo schon DER NORDEN zwei Artikel brauchte. Aber es war doch eher eine Motivationsfrage, denn DER OSTEN, auf den wir uns so gefreut hatten, enttäuschte uns. Aber dann DER SÜDEN...doch davon später. Was diese Sagenreise durch Deutschland auszeichnet, ist auch das Drumherum. Die beigefügte Deutschlandkarte, auf CD Größe zusammengefaltet, die aufweist, wo welche Sage spielt und in welche CD sie gehört, ist eine blitzsaubere Sache; aber auch die Rückseite hat es in sich.
Da sehen Sie nicht nur die zehn Sprecher in Wort und Bild sowie die sechs Sprecherinnen und lesen über sie, sondern erfahren auch Wesentliches über die Literaturgattung Sagen, ist das eine Gattung oder ein Genre oder eine Textsorte und was ist das überhaupt; dazu kommen wir noch. Was uns jetzt interessiert ist der Abschnitt: ZUR TEXTAUSWAHL. Liest man dies durch, hat man gleich die vorherige Frage mitbeantwortet. Es wird nämlich darauf verwiesen, daß die Texte nicht alle Sagen im eigentlichen Sinne sind, sondern daß es sich auch um literarische Bearbeitungen von Sagenstoffen handelt, wobei eine zusätzliche Art hinzukommt: die Kunstsagen. Das sind die von Schriftstellern gezielt an Volkssagen angelehnte Stoffe. Am bekanntesten davon ist vielleicht die LORELEI, wo einem sofort der Name Heinrich Heine einfällt, aber nicht nur. Aha, denkt man beim Weiterlesen, eigentlich dienen diese Sätze zur Legitimation der Aufnahme als Sagenstoff, auch wenn sie aus Volksbüchern, Heldenepik, Heiligenlegenden, Balladen oder Schwänken stammen. Barbara Glökler ist die, die sie ausgewählt hat und immer dann das literarische Material mitaufgenommen hat, wenn es - wie klassische Sagen - einen konkreten Ortsbezug hat und einfach, als im Volksgut verankert, hier nicht fehlen durfte.
DIE MITTE also. Daß Frankfurt am Main unter Mitte firmiert, kann man nicht verneinen, auch wenn sich die Frankfurter eher als süddeutsch empfinden und auch die Sprache mit dem Rheinhessischen und dem Pfälzer Dialekt Gemeinsames hat. Aber Frankfurt kommt zusammen mit Seligenstadt auch erst am Schluß dieser CD. Es beginnt nämlich mit Merseburg und Halle. Ha? Mitte? Ja, ja in einem Deutschland von 1938. Auch Magdeburg als dritte Sage, kommt einem noch sehr östlich vor. Immerhin sind das so an die 360 km Entfernung. Aber weit kommt es einem auch vor, weil dazwischen lange eine Grenze war und weil man heute von Frankfurt aus nicht mehr direkt mit dem Zug nach Halle fahren kann und es auch im Auto nach Halle lange dauert.
Um die weiße Hirschkuh war ich so froh, als die auf der Diskette auftauchte. Denn in Frankfurt gibt es auch andere Erklärungen für den Namen der Stadt FRANKFURT. Liegt doch auf der Hand, daß das etwas mit Furt, also dem Weg durch's Wasser, den man ohne unterzugehen, zu Fuß durchschreiten kann, zu tun hat. Und wenn sich Gegenwart aus der Vergangenheit begründen, erklären läßt, ist es doch wunderbar. Wir befinden uns in der Sage um die weiße Hirschkuh in den Jahren der Sachsenkriege. Kaiser Karl der Große, der zwischen seinen Pfalzen - Nimwegen in den Niederlanden, Metz in Lothringen, Aachen und so vielen anderen, auch eine in Frankfurt, eine andere in Gelnhausen- umherreiste, führte zwischen 772 und 804 Krieg gegen die Sachsen. Dabei darf man nicht an das heutige Sachsen denken, sondern sich gleich mit Niedersachsen noch weiter nach Norden und nach Westen bewegen, denn die Sachsen siedelten im Rheinland, in Westfalen, zwischen Nordsee und Rhein, Harz und Elbe. Sie waren Germanen, mit eigener Sprache, Sitten und Gebräuchen, wozu deftige körperliche Auseinandersetzungen gehörten und auch Raubzüge zu den Nachbarn, den Franken.
Ob die Übergriffe dem Kaiser zu bunt wurden, oder ob sein christliches Herz ihm die Unterwerfung zwecks Christianisierung befahl (war wohl eher das christliche Hirn), er hatte genug und machte sich auf in den Krieg, der ja immerhin 32 Jahe währte und unter seinem Nachfolger erneut aufflammte, bis alle Sachsen unterworfen, Christen und im Fränkischen Reich eingegliedert waren. Und der Höhepunkt der Integration der Sachsen ins damals sogenannte Heilige Römische Reich war, daß mit den Ottonen aus Magdeburg von 919 bis 1024.Sachsen auf den Kaiserthron gelangten! Aber so weit sind wir noch lange nicht.
Wann genau die weiße Hirschkuh in Erscheinung trat, ist nicht bekannt, auf jeden Fall gingen in den Sachsenkriege die Gefechtslagen immer hin und her. Mal siegten die Franken, dann wurde kräftig christianisiert und so mancher Sachse war im vorauseilenden Gehorsam schnell dabei, aber dann waren wieder die Sachsen in der Vorhut und zerstörten christliche Symbole. Und in einer solchen Situation, als die Franken auf dem Rückzug waren und sich vor den angreifenden Sachsen nur durch Flucht retten konnten, kamen sie von Süden her an den Main. Die Sachsen dicht auf den Fersen. Die Masse der Franken staute sich nebeneinander, denn dort fließt der Main geradezu waagrecht. Sie beteten, sie flehten. Und da geschah es: es kam eine weiße Hirschkuh und schritt vom südlichen Mainufer durch den Fluß aufs nördliche. Die Furt war gefunden und eilig folgten die Franken dem Tier, denn das Schlachtgetöse der sie verfolgenden Sachsen war schon hörbar. Als alle Franken auf der nördlichen Mainseite in Sicherheit waren, verschwand die weiße Hirschkuh und mit ihr die angezeigte Furt. Als nun die Sachsen herankamen, siegessicher, daß sich die Franken strategisch ans Messer geliefert hatten, weil sie Richtung Main gezogen waren, staunten sie nicht schlecht. War das eine behauptete Gottesfügung, weil sich die Franken immer auf ihren Gott bezogen.
So leicht gaben die Sachsen nicht auf. Sie lagerten sich, hausten dort, und warteten und warteten....aber es geschah nichts. Die Franken waren auf der anderen Mainseite froh um ihre Rettung, siedelten sich aus Dankbarkeit dort an und nannten den Ort: FRANKENFURT, woraus FRANKFURT wurde.
Die Sachsen aber hatten wohl ebenfalls genug von Kriegen und blieben, wo sie waren, woraus SACHSENHAUSEN wurde, heute ein beliebter Stadtteil von Frankfurt, der sich schon einbildet, ein bißchen anders zu sein, eben ein bißchen mediteraner. Zugegeben, die Sage stellt das viel kürzer und sachlicher vor, aber ein bißchen Lokalkolorit, mit der die Sage aufgehübscht wird, schadet ja nicht.
Aber sie stellt Fragen, diese Sage, an uns, die mit der CD nichts zu tun haben. Es gibt ja in Deutschland noch ein FRANKFURT. Das an der ODER. Wieso heißt es so? Gibt es dort entsprechende Sagen? Wir wüßten es gerne.
Und es gibt noch etwas, was, wenn man sich schon damit beschäftigt, nicht unterschlagen werden darf. Es gibt ja noch mindestens ein aus schlimmen Gründen bekanntes SACHENHAUSEN. Das KZ der Nazis am Rande von Oranienburg, nördlich von Berlin, ist benannt nach dem benachbarten Dorf. Weshalb dieses kleine Sachsenhausen so heißt, wie es heißt, wissen wir auch nicht, aber das sind so Fragen, die auftauchen, wenn man die Sagen hört. Dabei sind wir ja jetzt an einer einzigen hängen geblieben, was ungerecht den anderen 15 gegenüber ist, die uns auch gefallen haben und mit denen man sich auch gerne ausführlicher beschäftigen möchte, wenn man ihren geschichtlichen Kern erkennt. Das steht ja jedem Hörer frei - und darum, für all die Anregungen gefällt uns diese Sagenedition vom Hörverlag aus München.
Foto:
Natürlich wird bei einem Historienschinken nicht die Hirschkuh groß gezeigt, sondern der Kaiser Karl der Große auf seinem Pferd, aber die Hirschkuh sieht man vorneweg schreiten: der Franken Furt
©frankfurt-lese.de
Info:
Die große Sagenreise, von den Alpen bis zur Ostsee, 6 CD, mono,
Gesamtlaufzeit 8 h, 17 min.,Hörverlag,
ISBN 978-3-8445-4014-7
Bisher in WELTEXPRESSO veröffentlicht
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20279-klaus-stoerebeker-und-sein-kopf
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20280-was-der-rattenfaenger-von-hameln-mit-hartz-4-zu-tun-hat
Ob die Übergriffe dem Kaiser zu bunt wurden, oder ob sein christliches Herz ihm die Unterwerfung zwecks Christianisierung befahl (war wohl eher das christliche Hirn), er hatte genug und machte sich auf in den Krieg, der ja immerhin 32 Jahe währte und unter seinem Nachfolger erneut aufflammte, bis alle Sachsen unterworfen, Christen und im Fränkischen Reich eingegliedert waren. Und der Höhepunkt der Integration der Sachsen ins damals sogenannte Heilige Römische Reich war, daß mit den Ottonen aus Magdeburg von 919 bis 1024.Sachsen auf den Kaiserthron gelangten! Aber so weit sind wir noch lange nicht.
Wann genau die weiße Hirschkuh in Erscheinung trat, ist nicht bekannt, auf jeden Fall gingen in den Sachsenkriege die Gefechtslagen immer hin und her. Mal siegten die Franken, dann wurde kräftig christianisiert und so mancher Sachse war im vorauseilenden Gehorsam schnell dabei, aber dann waren wieder die Sachsen in der Vorhut und zerstörten christliche Symbole. Und in einer solchen Situation, als die Franken auf dem Rückzug waren und sich vor den angreifenden Sachsen nur durch Flucht retten konnten, kamen sie von Süden her an den Main. Die Sachsen dicht auf den Fersen. Die Masse der Franken staute sich nebeneinander, denn dort fließt der Main geradezu waagrecht. Sie beteten, sie flehten. Und da geschah es: es kam eine weiße Hirschkuh und schritt vom südlichen Mainufer durch den Fluß aufs nördliche. Die Furt war gefunden und eilig folgten die Franken dem Tier, denn das Schlachtgetöse der sie verfolgenden Sachsen war schon hörbar. Als alle Franken auf der nördlichen Mainseite in Sicherheit waren, verschwand die weiße Hirschkuh und mit ihr die angezeigte Furt. Als nun die Sachsen herankamen, siegessicher, daß sich die Franken strategisch ans Messer geliefert hatten, weil sie Richtung Main gezogen waren, staunten sie nicht schlecht. War das eine behauptete Gottesfügung, weil sich die Franken immer auf ihren Gott bezogen.
So leicht gaben die Sachsen nicht auf. Sie lagerten sich, hausten dort, und warteten und warteten....aber es geschah nichts. Die Franken waren auf der anderen Mainseite froh um ihre Rettung, siedelten sich aus Dankbarkeit dort an und nannten den Ort: FRANKENFURT, woraus FRANKFURT wurde.
Die Sachsen aber hatten wohl ebenfalls genug von Kriegen und blieben, wo sie waren, woraus SACHSENHAUSEN wurde, heute ein beliebter Stadtteil von Frankfurt, der sich schon einbildet, ein bißchen anders zu sein, eben ein bißchen mediteraner. Zugegeben, die Sage stellt das viel kürzer und sachlicher vor, aber ein bißchen Lokalkolorit, mit der die Sage aufgehübscht wird, schadet ja nicht.
Aber sie stellt Fragen, diese Sage, an uns, die mit der CD nichts zu tun haben. Es gibt ja in Deutschland noch ein FRANKFURT. Das an der ODER. Wieso heißt es so? Gibt es dort entsprechende Sagen? Wir wüßten es gerne.
Und es gibt noch etwas, was, wenn man sich schon damit beschäftigt, nicht unterschlagen werden darf. Es gibt ja noch mindestens ein aus schlimmen Gründen bekanntes SACHENHAUSEN. Das KZ der Nazis am Rande von Oranienburg, nördlich von Berlin, ist benannt nach dem benachbarten Dorf. Weshalb dieses kleine Sachsenhausen so heißt, wie es heißt, wissen wir auch nicht, aber das sind so Fragen, die auftauchen, wenn man die Sagen hört. Dabei sind wir ja jetzt an einer einzigen hängen geblieben, was ungerecht den anderen 15 gegenüber ist, die uns auch gefallen haben und mit denen man sich auch gerne ausführlicher beschäftigen möchte, wenn man ihren geschichtlichen Kern erkennt. Das steht ja jedem Hörer frei - und darum, für all die Anregungen gefällt uns diese Sagenedition vom Hörverlag aus München.
Foto:
Natürlich wird bei einem Historienschinken nicht die Hirschkuh groß gezeigt, sondern der Kaiser Karl der Große auf seinem Pferd, aber die Hirschkuh sieht man vorneweg schreiten: der Franken Furt
©frankfurt-lese.de
Info:
Die große Sagenreise, von den Alpen bis zur Ostsee, 6 CD, mono,
Gesamtlaufzeit 8 h, 17 min.,Hörverlag,
ISBN 978-3-8445-4014-7
Bisher in WELTEXPRESSO veröffentlicht
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20279-klaus-stoerebeker-und-sein-kopf
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20280-was-der-rattenfaenger-von-hameln-mit-hartz-4-zu-tun-hat