Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Schaut man sich die schon erwähnte Deutschlandkarte an, auf der in nummerierten Kreisen die entsprechenden Sagen verzeichnet sind, so gibt es drei deutliche Löcher, die man nicht erwartet hat. Die Nordseeküste, das nördliche und westliche Nordrhein-Westfalen und Bayern! Echt. Massiert finden sich dagegen die Kreise in Baden-Württemberg, entlang der französischen Grenze, was auch für Rheinland-Pfalz gilt. HALT. Wichtig, die Sagen sind natürlich viel, viel älter als diese Länder der Bundesrepublik Deutschland, die erst nach 1945 entstanden - und erst bei Darübernachdenken fällt einem auf, daß alle drei Bundesländer welche mit Bindestrich sind -, während es die Bayern und die Sachsen als Beispiel, seit jeher in der deutschen Geschichte gab.
Wir sagten ja schon, daß auf der Rückseite des zusammengefalteten Plakats viele Aussagen zu Sagen sind. Dazu später mehr. Jetzt brennt es auf den Nägeln, gleich mit dem Einstieg zu DER SÜDEN zu beginnen: DEM KÄTHCHEN VON HEILBRONN. Nein, vergessen Sie gleich das Ritterschauspiel in fünf Akten von Heinrich von Kleist, das am 17. März 1810 in Wien im Theater an der Wien uraufgeführt wurde und wo es heißt: "Die Handlung spielt in Württemberg." Das Käthchen bleibt das Käthchen, nur hat es bei Kleist ein Fortleben, in der Sage aber ist sie am Schluß leider mausetot und das aus eigener Dummheit. Nur das Mittelalter hätte gesagt: "Recht so, so geht Minne." Also hören, bzw. lesen Sie, ach nein, da muß man doch erst noch einmal recherchieren. Und danach sieht es düster aus. Nicht Kleist hat eine Sage als Motiv für sein Stück genommen, sondern die Literaturwissenschaft ist sich einig, daß er die Geschichte selbst erfunden hat und daß nachher erst im 19. Jahrhundert die passende Sage die Folge war.
Dazu mußte die Wissenschaft nicht lange forschen, denn das hat Kleist in einem Brief ein Jahr später, 1811, genauso berichtet. Und ehrlich gesagt ist die Geschichte um das nicht existente Käthchen viel interessanter als die nachgemachte Sage. Denn nach dem Erfolg des Kleistschen Stückes sah sich die Stadt Heilbronn nun in der Pflicht, den heranströmenden Touristen ein Käthchen zu bieten. Die war zwar lange tot, aber sie mußte ja wohl irgendwo gewohnt haben. So wie Romeo & Julia in Verona. Also mußte ein 'Käthchenhaus' her. Das mußte natürlich alt sein und damit die Touristen auch vielfach hineinpaßten, mußte es groß sein.Ein imposantes Fachwerkhaus war gefunden. Was man denen, die erst mit dem Massenurlaub das Phänomen des Reisens erleben - und junge Leute kennen das nicht anders - extra erzählen muß, das ist, daß es schon im 19. Jahrhundert eine veritable Reiselust gab. Insbesondere die Flußtäler waren beliebt, neben dem Rhein waren die romantischen Reisen am Neckar beliebt, weshalb schon ein 1859 erschienener Reiseführer anmerkte,daß das Käthchen von Heilbronn "keinen historischen Grund und Boden" habe und "lediglich ein Gebilde der Phantasie des Dichters" sei.
Aber die Sage erzählen wir trotzdem nach. Sie ist sehr kurz und das Gegenteil sonstiger Gepflogenheiten: Ein namenloser Ritter sucht in der Stadt Heilbronn schnurstracks den Schmied auf und bittet ihn, die Hufe seines Pferdes zu beschlagen und seine Ritterutensilien aufzuhübschen. In der Stube trinkt er derweil ein Glas, das ihm die Tochter des Schmieds serviert, die ob seiner holden Gestalt in Liebe entbrennt, die er erwidern wollte, wenn er könnte. Denn er muß sofort weiter und als sie ihn bittet, doch wiederzukommen, erwidert er, er dürfe nicht wiederkommen, was sie erbleichen und von der Zinnen fallen läßt. Naja, etwas dürftig, ist aber auch keine echte Sage.
Stärker beeindrucken DIE WEIBER VON WEINSBERG. Wir sind aber kleinlaut geworden, denn auch hier haben zwei Dichter ihre Griffel angesetzt. Dichter sagte man früher, heute schnöde Schriftsteller oder Autor, und gerade diese beiden haben gerne Vorgefundenes verarbeitet: Justinus Kerner und Gottfried August Bürger und die Sinnhaftigkeit der WEIBER VON WEINSBERG liegt darin, daß Männer zwar mit Waffen siegen, die Waffen der klugen und treuen Frauen aber bei Niederlagen die besseren Waffen sind.
Wir sind im Mittelalter - das ist das Tolle an echten Sagen, daß sie immer sehr genau den Ort, die Zeit, die Personen angeben - im Mittelalter im Jahr 1140, wo der Stauferkönig Konrad III, genannt der Waiblinger, gegen den Bayerischen Herzog Welf zu Felde zog. Gerade hatte Kaiser und König in seiner Heimat Waiblingen den Herzog geschlagen und zog mit dem Feldgeschrei "Waiblinger" gen Weinsberg, wo sich die hohen Herrn und die Herzogin auf die Burg, die später Weibertreu genannt wurde, zurückgezogen hatten, weshalb Konrad die Burg mit seinen Leuten belagerte und androhte, alle Männer, die lautstark "Welfen" zurückbrüllten, zu töten, die Frauen aber dürften abziehen und alles, was sie tragen können, von Ihrem Liebsten mit sich nehmen. Gesagt, getan. Am nächsten Morgen kam eine Frau nach der anderen durchs Burgtor und jede trug ihren Mann auf dem Rücken, auch die Herzogin den Welf ...
Da lachte der König und gab sich ob der Weiberlist geschlagen und ließ sich auch durch seinen Bruder Friedrich nicht davon abbringen und beschied ihm: „Regium verbum....Lasst sie in Frieden ziehen. Am Wort des Königs soll man nicht drehen und deuteln!”
Geschichtlich war mir das alles präsent, aber ich bin immer wieder glücklich, wenn man in ganz anderem Zusammenhang dazulernt. Die stetigen Auseinandersetzungen zwischen den Staufern, den Waiblingern, und der Gegenseite, den Welfen, den Herzögen von Bayern und Sachsen um den deutschen Königstitel und den Kaiserthron des Heiligen Römischen Reiches, haben in einem Teil des Reiches, in Oberitalien, eine namentliche Fortsetzung gefunden. Nach ihnen, den Waiblingern, wurden in der Zeit von Stauferkönig Friedrich II. die Kaisertreuen Ghibellinenund genannt und ihre Gegner nach den Welfen die Guelfen. Im Detail war es dann differenzierter, aber der Vergleich kommt hin. Die Welfen übrigens, die immer den Staufern hinterherhechelten, haben als Geschlecht seit dem 8. Jahrhundert bis ins Heute viele Throne besetzt. Zu ihnen gehören die Kurfürsten und Könige von Hannover, damit die Könige von Großbritannien und Irland.
Foto:
©Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Info:
Die große Sagenreise, von den Alpen bis zur Ostsee, 6 CD, mono,
Gesamtlaufzeit 8 h, 17 min.,Hörverlag,
ISBN 978-3-8445-4014-7
Bisher in WELTEXPRESSO veröffentlicht
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20279-klaus-stoerebeker-und-sein-kopf
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20280-was-der-rattenfaenger-von-hameln-mit-hartz-4-zu-tun-hat
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20597-die-weisse-hirschkuh-bringt-s
Dazu mußte die Wissenschaft nicht lange forschen, denn das hat Kleist in einem Brief ein Jahr später, 1811, genauso berichtet. Und ehrlich gesagt ist die Geschichte um das nicht existente Käthchen viel interessanter als die nachgemachte Sage. Denn nach dem Erfolg des Kleistschen Stückes sah sich die Stadt Heilbronn nun in der Pflicht, den heranströmenden Touristen ein Käthchen zu bieten. Die war zwar lange tot, aber sie mußte ja wohl irgendwo gewohnt haben. So wie Romeo & Julia in Verona. Also mußte ein 'Käthchenhaus' her. Das mußte natürlich alt sein und damit die Touristen auch vielfach hineinpaßten, mußte es groß sein.Ein imposantes Fachwerkhaus war gefunden. Was man denen, die erst mit dem Massenurlaub das Phänomen des Reisens erleben - und junge Leute kennen das nicht anders - extra erzählen muß, das ist, daß es schon im 19. Jahrhundert eine veritable Reiselust gab. Insbesondere die Flußtäler waren beliebt, neben dem Rhein waren die romantischen Reisen am Neckar beliebt, weshalb schon ein 1859 erschienener Reiseführer anmerkte,daß das Käthchen von Heilbronn "keinen historischen Grund und Boden" habe und "lediglich ein Gebilde der Phantasie des Dichters" sei.
Aber die Sage erzählen wir trotzdem nach. Sie ist sehr kurz und das Gegenteil sonstiger Gepflogenheiten: Ein namenloser Ritter sucht in der Stadt Heilbronn schnurstracks den Schmied auf und bittet ihn, die Hufe seines Pferdes zu beschlagen und seine Ritterutensilien aufzuhübschen. In der Stube trinkt er derweil ein Glas, das ihm die Tochter des Schmieds serviert, die ob seiner holden Gestalt in Liebe entbrennt, die er erwidern wollte, wenn er könnte. Denn er muß sofort weiter und als sie ihn bittet, doch wiederzukommen, erwidert er, er dürfe nicht wiederkommen, was sie erbleichen und von der Zinnen fallen läßt. Naja, etwas dürftig, ist aber auch keine echte Sage.
Stärker beeindrucken DIE WEIBER VON WEINSBERG. Wir sind aber kleinlaut geworden, denn auch hier haben zwei Dichter ihre Griffel angesetzt. Dichter sagte man früher, heute schnöde Schriftsteller oder Autor, und gerade diese beiden haben gerne Vorgefundenes verarbeitet: Justinus Kerner und Gottfried August Bürger und die Sinnhaftigkeit der WEIBER VON WEINSBERG liegt darin, daß Männer zwar mit Waffen siegen, die Waffen der klugen und treuen Frauen aber bei Niederlagen die besseren Waffen sind.
Wir sind im Mittelalter - das ist das Tolle an echten Sagen, daß sie immer sehr genau den Ort, die Zeit, die Personen angeben - im Mittelalter im Jahr 1140, wo der Stauferkönig Konrad III, genannt der Waiblinger, gegen den Bayerischen Herzog Welf zu Felde zog. Gerade hatte Kaiser und König in seiner Heimat Waiblingen den Herzog geschlagen und zog mit dem Feldgeschrei "Waiblinger" gen Weinsberg, wo sich die hohen Herrn und die Herzogin auf die Burg, die später Weibertreu genannt wurde, zurückgezogen hatten, weshalb Konrad die Burg mit seinen Leuten belagerte und androhte, alle Männer, die lautstark "Welfen" zurückbrüllten, zu töten, die Frauen aber dürften abziehen und alles, was sie tragen können, von Ihrem Liebsten mit sich nehmen. Gesagt, getan. Am nächsten Morgen kam eine Frau nach der anderen durchs Burgtor und jede trug ihren Mann auf dem Rücken, auch die Herzogin den Welf ...
Da lachte der König und gab sich ob der Weiberlist geschlagen und ließ sich auch durch seinen Bruder Friedrich nicht davon abbringen und beschied ihm: „Regium verbum....Lasst sie in Frieden ziehen. Am Wort des Königs soll man nicht drehen und deuteln!”
Geschichtlich war mir das alles präsent, aber ich bin immer wieder glücklich, wenn man in ganz anderem Zusammenhang dazulernt. Die stetigen Auseinandersetzungen zwischen den Staufern, den Waiblingern, und der Gegenseite, den Welfen, den Herzögen von Bayern und Sachsen um den deutschen Königstitel und den Kaiserthron des Heiligen Römischen Reiches, haben in einem Teil des Reiches, in Oberitalien, eine namentliche Fortsetzung gefunden. Nach ihnen, den Waiblingern, wurden in der Zeit von Stauferkönig Friedrich II. die Kaisertreuen Ghibellinenund genannt und ihre Gegner nach den Welfen die Guelfen. Im Detail war es dann differenzierter, aber der Vergleich kommt hin. Die Welfen übrigens, die immer den Staufern hinterherhechelten, haben als Geschlecht seit dem 8. Jahrhundert bis ins Heute viele Throne besetzt. Zu ihnen gehören die Kurfürsten und Könige von Hannover, damit die Könige von Großbritannien und Irland.
Foto:
©Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Info:
Die große Sagenreise, von den Alpen bis zur Ostsee, 6 CD, mono,
Gesamtlaufzeit 8 h, 17 min.,Hörverlag,
ISBN 978-3-8445-4014-7
Bisher in WELTEXPRESSO veröffentlicht
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https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20597-die-weisse-hirschkuh-bringt-s
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