Bildschirmfoto 2020 12 11 um 01.28.14Serie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 2

Katharina Klein

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Da sollen wir also alle etwas dazu beitragen, daß die eigenen Bücher und die in der Redaktion, die zum Besprechen vorgesehen waren, auch endlich gewürdigt werden, was nur zum Teil richtig ist, diesen 'endlich', denn die meisten sind schon besprochen worden, sollen aber noch mal den Blick darauf richten, daß es nicht nur die neuen und neuesten Bücher sind, die sich zu lesen lohnen. Dieses ganz gewiß!


Wild Game. Meine Mutter, ihr Liebhaber und ich von Adrienne Brodeur

Wen jemandem da gleich ein Name, eine französische Schriftstellerin, eine gewisse Sagan einfällt, ja richtig Françoise Sagan, die 'Bonjour tristesse' im Verlaufe ihre Studiums mit 18 Jahren in Paris schrieb, 1954 veröffentlicht. Wo die Machenschaften einer frühreifen Siebzehnjährigen so freizügig geschildert werden, daß das bürgerliche Frankreich – und dort wird mehr gelesen also sonst wo – seinen Skandal hatte. Und die Sagan hatte flugs weltweit in fünf Jahren vier Millionen Exemplare in 22 Sprachen verkauft! Und auch eine andere Französin, beide schon tot, fällt einem ein: Marguerite Duras und ihr Roman 'Der Liebhaber', den sie erst 1991 mit 77 Jahren schrieb, in dem es aber um sie als blutjunges Mädchen mit einem reichen Geliebten geht. Auch die Duras hatte hohe Auflagen und bekam vielen Preisen.

So wird es Adrienne Brodeur nicht gehen, obwohl sich ihr Roman nicht hinter den beiden verstecken muß. Aber die Zeiten, in denen blutjunge Frauen andere ausbooten, selbst zu Liebhaberinnen werden, was einmal skandalös war, sind nich tmehr so. Da muß schon einiges zusammenkommen, daß ein Sturm der Entrüstung wie damals bei LOLITA losfegt. Wobei Letzteres interessant wird. Die Zeiten, wo Pädophilie mit Recht Alltag geworden ist, will sagen, die Abscheu und die Aufdeckung derer, die Kinder und Jugendliche mißbrauchen, haben auch interessanten Romanen wie LOLITA oder Gemälden von Balthus ein Geschmäckle verliehen, der  zumindest mir schon damals suspekt war und den ich nicht mochte. Lolita dagegen fand icht toll, aber die Kindfrauen von Balthus schon immer scheußlich. Vom Sujet her, aber der dazu passenden Malweise auch.

Also Adrienne Brodeur wird nicht solche hohen und weltweiten Auflagen erreichen, aber sie schreibt nicht weniger gut. Das soll ausdrücklich gesagt werden. Sie kommt aus dem US-literarischen Gewerbe, war Lektorin, fördert den literarischen Nachwuchs und das alles in New York. Wo sonst?

Und im Ernst haben unsere weiblichen Vorbilder zwar Anknüpfungspunkte, aber da die Zeiten heute braver sind und da die Eltern heute ihren Kindern weniger verbieten, sondern etwas  anderes Schlimmes, vielleicht Schlimmeres machen, ist dies wirklich ein Buch unserer Zeit. Was das Schlimmere ist, das letzten Endes sogar gemeiner ist, als ihnen alles zu verbieten? Wenn man die eigenen Kinder zu seinen Vertrauten macht, ja sogar zu den engsten Vertrauten, ja, zum Henker, sogar zur engsten Vertrauten, wenn man sich in den besten Freund des Ehemanns verliebt und die Tochter allein zur Mitwisserin auserwählt. Diese jungen Mädchen oder Knaben müssen dann als Erwachsene lernen, den seelischen Mißbrauch, denn ein solcher ist es, auszubügeln, sich wieder zu heilen. In WELTEXPRESSO war jüngst eine Würdigung eines solchen Buches aus Deutschland zu lesen, ich suche es heraus, denn dieser Roman erinnerte mich an den damaligen Vorgang, auch wenn es um etwas ganz anderes ging, keinen Liebhaber, sondern den verstorbenen Vater anging. Aber eigene Kinder zu Vertrauten gegen jemanden zu machen, den diese lieben, ist fatal, falsch sowieso.

Auf jeden Fall ist diese Adrienne eine, die im Erwachsenenalter erst aufarbeiten kann, was ihre Mutter mit ihr, der Vierzehnjährigen, machte, als sie ihr die Liebesbeziehung zum Freund des Vaters gestand und sie ab da zum besseren Geheimhalten benutzt. Es ist so einsichtig, daß damit dem jungen Mädchen kein Raum für eigene kleine Erfahrungen, die zu größeren werden können, erlaubt waren, sondern sich alles nur noch um die Erfüllung der mütterlichen Wünsche drehte, zumal Mutter Malabar in jeder Gesellschaft strahlender Mittelpunkt war, zu der die Tochter schon zuvor aufgeschaut hatte, aber wenig Gegenliebe fand. Das ändert sich jetzt...

Erstaunlich, wenn man liest, daß die Autorin in einem Vorwort sich als diese Adrienne outet und alle diejenigen, die die Geschichte anders wahrgenommen haben, gewissermaßen um Verzeihung bittet und darauf verweist, daß es ihre Erinnerungen, ihre Bilder, ihre Tagebuchnotizen sind, die hier die Struktur des Romans ausmachen.


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Info:
Adrienne Brodeur, Wild Game. Meine Mutter, ihr Liebhaber und ich, Droemer Verlag 2019
ISBN 978 3 426 27817 8