Serie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 7
Lena Lustig
Köln (Weltexpresso) – Liebe und Tod, heißt es, seien die existentiellen Dinge im Leben. Eigentlich merkwürdig, denn mit dem Tod ist nie der eigene, sondern immer die notwendige und langwährende „Verarbeitung“ gemeint, wenn ein Mensch, der einem nahe steht, oder sogar der Naheste und mitunter der einzige, der Lebensmensch stirbt. Während es bei der Liebe immer um einen selbst geht- und den Geliebten/die Geliebte .
Drei Lichtjahre von Andrea Canobbio
Zuerst dachte ich, das habe ich doch gerade als Film gesehen, als italienischen Film, diesen Vierzigjährigen mit den für ihn dominanten Frauen: seiner Mutter und seiner Ex, die beide im selben Haus mitwohnen. Aber nein, das ging im Film anders weiter, nur ist die Grundkonstellation eine, die in einem Land wie Italien, wo der Machismo schon immer vor der Haustüre abgelegt wird, die Regel ausmacht, natürlich gibt es auch dort gewalttätige, schlagende, mißbrauchende Männer. Aber um Letztere geht es hier überhaupt nicht. Das soll ja der Hinweis auf die Frauenmacht im Hause andeuten.
Claudio Viberti fühlt sich als Arzt sicher wie nur was, aber als Mann ist er extrem schüchtern, ja ängstlich und vor allem scheut er die Tat, alles, was er entscheiden muß und was als Ergebnis nicht hundertprozentig feststeht, ist ihm ein Graus. Ein Zauderer, wie er im Buche steht, nämlich in diesem. Ein kleiner Oblomov ist er auch, aber weniger russisch, stärker italienisch. Als Grundzug seines Wesens. Damit ähnelt er einem Grundtyp des italienischen Mannes in der Literatur, den übrigens im Film immer wieder auch Marcello Mastoianni verkörperte.
Cecilia nennt ihren Kollegen im Krankenhaus „den schüchternen Internisten“. Mit ihm Mittag zu essen, ist schon das höchste der Gefühle. Das sieht ihre Schwester ganz anders, die ihn wie alle Welt nur Viberti nennt. Mittendrinnen fällt einem auf, doch mal nachzuschauen, wer denn Autor Canobbio ist, denn seine vielen kleinen Anspielungen im Roman zeigen ihn auf der Höhe der Literatur, nicht nur der italienischen. Kein Wunder, er ist Lektor für internationale Literatur beim Verlag Einaudi, einem berühmten Literaturverlag.
Diese Liebesgeschichte, die dann doch zur Entlastung des Leserinherzens daraus wir, ist nicht linear erzählt, sondern wird durch drei unterschiedliche Erzähler gespiegelt, deren Identität nicht ganz klar wird. Es sei der Sohn, behaupten manche, oder die Tochter, auf jeden Fall ein Kind des Viberti. Und gehörten die drei Erzählungen überhaupt in eine Geschichte, Ja, es sei die Schwester, sagen andere, die nämlich, die der ebenfalls zögerlichen Cecilia zeigt, wo die Harke ist. Sie bändelt mit Viberti an und da er frauenlos lebt, ist das nicht so schwierig. Männer!
Aber er ist einer, der die Kurve noch kriegt, weil auch Cecilia nach den besagten drei Lichtjahren weiß, was zu tun ist.
Der Tod sitzt mit im Boot von Alan Bradley
Auch hier geht’s um zwei Schwestern, allerdings streiten die nicht um einen Mann und bewegen sich in höheren Kreisen. Die zwölfjährige Flavia und ihre Schwester sitzen im Hochsommer in einem Boot auf der Themse, auf die Idee kam Diener Dogger, denn nur auf dem Wasser gibt es erfrischende Luft, was für England ungewöhnlich ist. Diese Hitze. Eben der Klimawandel. Es ist herrlich auf dem Wasser. Flavia senkt die Hand in die Fluten, wie kühl das ist, wie angenehm. Und was hat sie da zwischen den Fingern? Eine Leiche!! Und was sich jetzt wie ein ungeheures Erlebnis anhört, ist für Flavia de Luce etwas ganz normales. Sie klärt ständig Morde auf und dieses ist ihr neunter Fall! Nur wußten wir das nicht und sind gehörig erschrocken, sowohl über den Toten, der zudem irgendwie nicht gentleman like oder gar britisch bekleidet ist: er trägt blaue Seide um sich und einen einzigen Schuh: einen roten Ballettschuh. Später erfährt man, daß es der junge Orlando Whitbread ist, Amateur-Schauspieler.
Für die nächsten Toten ist man dann schon eher gerüstet, da man um die blutjunge vitale Ermittlerin weiß, ja es ist umgekehrt, jetzt wartet man schon darauf, daß die nächste Leiche, ach was, wenn schon, denn schon, die nächsten Leichen also auftauchen. Nein, nicht aus dem Wasser, sondern jetzt in der Kirche. Also, diese Engländer sind schon etwas überspannt. Geht's denn nicht etwas normaler? Sonst liegen Leichen woanders!
Aber der Zusammenhang wird auf einmal völlig klar, die Reihenfolge auch. Orlandos Vater war der Pfarrer der Gemeinde, als vor zwei Jahren drei alte Klatschbasen gleichzeitig tot umfielen – nachdem sie mit Blausäure vergifteten Messwein tranken. Ich sag's ja: die skurrilen Engländer!
Das Mädchen hat's drauf, das darf man beim neunten Fall auch erwarten. Und wir lernen darüberhinaus eine Menge in Chemie.
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Info:
Andrea Canobbio, Drei Lichtjahre, Rowohlt 2017
ISBN 978 3 498 00943 4
Alan Bradley, Der Tod sitzt mit im Boot, Penhaligon Verlag 2018
ISBN 987 3 7645 3114 0