Serie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 8
Roswitha Cousin
München (Weltexpresso) – Diese beiden nächsten Bücher haben überhaupt nichts miteinander zu tun. Darum habe ich sie ausgewählt. Das eine hätte besser in den Zusammenhang geschichtlicher Aufarbeitung gehört, wie es die Teile 5, 6 und 7 vormachten. Dabei fällt auf, daß wir in Zeiten leben, wo die Geschichte, der Rückblick, durchaus eine wichtige Rolle spielt. Was ich nicht falsch finde. Beileibe nicht. Und auch nicht, daß uns heute die Nachkriegszeit besonders interessiert. Wurde auch Zeit,denn damals entschied sich, wie es mit der Deutschen Bundesrepublik und der DDR weiterging. Leider gibt es heute zu wenige Romane über das Leben von Mann und Frau in den ersten Jahrzehnten der DDR!
Neuleben von Katharina Fuchs
Es ist ein guter Zug, ein richtiger Zug, wenn heute immer öfter junge Frauen erkennen, auf welchem Fundament von geschaffener Frauenpower sie persönlich aufbauen. Wenn es dann noch Frauen sind, die solche Vorbilder in der eigenen Familie haben, liegt es nahe, diese als Hauptfiguren in einem Roman zum Leben zu bringen, wobei der Unterschied zwischen Biographie und Roman fließend wäre, hier aber der Tatbestand klar ist. Denn die Mutter und die Tante, deren aufregendes und aufreibendes Leben Katharina Fuchs in NEULEBEN beschreibt, sind als Personen zeitgeschichtlich nicht bekannt genug, daß eine Biographie möglich gewesen wäre; außerdem dienen die beiden der Autorin zusätzlich auch als ideale Begleiterinnen durch die Nachkriegszeit, die wie im Gemälde den Hintergrund darstellt. Die beiden Frauen stehen für einen bestimmten Typus von Frau, ohne den die Bundesrepublik ökonomisch nicht derart erfolgreich geworden wäre, wie sie es wurde. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich hätte meine Schwiegermutter gleich als Dritte im Bunde hinzufügen können. Das soll nur sagen, daß der Roman auch etwas über viele Familien der Nachkriegszeit und der folgenden Jahrzehnte aussagt, Familien, die durch den wirtschaftlichen Aufbau zerstreut wurden, wo dann vor allem die Teilung in zwei Deutschlands den zusätzlich Riß bedeutete.
Schlägt man den dicken Band auf, kommt einem der Stammbaum von zwei Familien entgegen. Wilhelmine Feltin (1855 – 1942) und Eleonore Tannenberg (1848-1924),wobei sich beide Familien in der vierten Generation kreuzen, soll sagen, ein Felix Trotha aus der Feltinfamilie, geb. 1925, heiratet eine Gisela Liedke, geb.1929 aus der Tannenbergfamilie, sie leben noch heute und haben zwei Kinder. Wie und was?! Auf der hinteren Umschlagseite geht es mit den Stammbäumen weiter! Doch schnell sieht man, es sind dieselben. Mehr Familie hätte ich mir auch nicht zugetraut.
Dabei ist die Autorin didaktisch einfühlsam vorgegangen, denn im Stammbaum beider Familien sind gewissen Personen deutlich markiert. Wir vermuten, es sind diejenigen, die auch in diesem Roman eine Rolle spielen: das wären in der Feltinfamilie: Charlotte Feltin (1899-1982), Theresa Trotha (1927-2010) und Felix Trotha, der, der dann Gisela Liedke heiratet aus der Tannenbergfamilie, aus der nur deren Mutter Anna Tannenberg eine Rolle spielen wird. Denn noch haben wir den Roman ja nicht gelesen, wissen aber, daß es dieselbe Katharina sein muß,geb. 1963, die diesen Familienroman schreibt. Und es ist nicht ihre erster Familienroman.
Ja, wir erinnern uns, über ZWEI HANDVOLL LEBEN gelesen zu haben. Da hat Katharina Fuchs sozusagen den Vorgängerband zu diesem geschrieben, wo ihre beiden Großmütter, Charlotte Feltin und Anna Tannenberg lebendig werden. Aber, so heißt es, das zweite Buch ist keine inhaltliche Fortsetzung. Steht auch für sich auf soliden Füßen.
Man kann auch einfach anfangen zu lesen, aber wir haben das ganz gerne, das vorsichtige Herantasten an Zeit, Personen, Inhalt. Es beginnt mit THERESE und es folgt als nächstes Kapitel GISELA, das ist die Schwägerin, die in die sich edler fühlende und kapitalkräftigere Familie Trotha eingeheiratet hat, ohne die aber Therese vielleicht nicht die Kraft gefunden hätte, ihren Weg zu gehen. Die Autorin verehrt die Tante, die eine der ersten Vorsitzenden Richterinnen der Bundesrepublik wurde (nicht Deutschlands! Das verwechseln die Leute schnell. Deutschland ohne die Bezeichnung Bundesrepublik oder DDR gibt es erst wieder seit 1990!). Aber die Leserin hat auch viel übrig für die rührige Gisela, die sich der Mode verschreibt und es schwerer hatte, sich hochzuarbeiten. So ist dieses Buch auch eine Liebeserklärung an die Modestadt Berlin, die sich wirklich lange darüber definierte und die erst im letzten Jahr den Löffel abgab, zugunsten der Messe Frankfurt, wenn es der gelingt, die Fashion Week erfolgreicher zu gestalten. Aber im Berlin der Nachkriegszeit waren solche Frauen wie Gisela absolut die richtigen - und die erfolgreichen auch. Gisela geht ihres Mannes wegen, eigenes Thema, nach Wiesbaden.
Was uns den stärksten Eindruck machte, ist noch einmal etwas ganz anderes, nämlich die familiären Querverbindungen zur DDR, woher die Familie erst mal stammt. Therese hätte wegen der bourgeoisen Familienverhältnisse nicht studieren dürfen, geht nach West-Berlin. Und man hört den fiesen männlichen Ton im eigenen Ohr, wenn die Rede davon ist, wie die Jurastudentin Therese von ihren Professoren gehänselt wird, ob sie nicht eher als Rechtsanwaltsgehilfin arbeiten wolle. So war es. Genau so. Aber, damit sich etwas an den juristischen Fakultäten und in den Gerichten änderte, waren solche Frauen wie Therese wichtig. Und dann noch etwas. Die Autorin schreibt legitim über Berlin – und nicht über Frankfurt, in dessen Nähe sie heute lebt. Und das ist kein Nachhilfeunterricht, sondern die politische Aussage, daß es in Hessen anderes war. HESSEN VORN galt unter dem SPD- Landesvater Georg August Zinn auch für die Universitäten, wo seit den 60er Jahren Ilse Staff lehrte, die als erste Frau am Fachbereich Jura habilitiert wurde und lange die einzige Hochschulfrau im Bereich Öffentliches Recht war, nach der es heute einen Ilse-Staff-Preis gibt und die sich vor allem mit der Justiz im Dritten Reich beschäftigte. Bei ihrem Namen muß gleich der Hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer benannt sein, ohne den dies nicht möglich geworden wäre. Da sind wir jetzt aber weit in der Juristerei abgeschweift. Das soll nur heißen, daß die Verhältnisse an der Berliner Freien Universität besonders verkrustet waren.
Aber nein, wir haben noch etwas Hessisches und Bundesrepublikanisches nachtzutragen: Nicht zu vergessen, Elisabeth Selbert, die als Juristin aus Kassel als eine (SPD) von vier Frauen das Grundgesetz mitverfaßte. Zusammen mit Frieda Nadig, ebenfalls SPD, formulierte sie und setzte durch, daß Artikel 3 Abs. 2 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ in das GG aufgenommen wurde!! Wir finden wichtig, daß Katharina Fuchs noch einmal all den Unsinn aufschreibt, den Männer zur Verhinderung von Frauen an Universitäten und an höheren Aufgabe in der Gesellschaft von sich gegeben haben!
Aber vergessen wir Gisela nicht, eine typische Aufbaufrau, ohne deren Tatkraft Westberlin nicht zum Aushängeschild für den Kapitalismus geworden wäre. Sie heiratet in Westberlin den Stiefbruder von Therese, den glücklichen Felix. Zur Hochzeit kommen aus den USA seine Mutter Charlotte und deren jüdische Cousine Edith Liebermann, die sich rechtzeitig in die USA hatte retten können.
Locker und leicht liest sich, was schwer zu leben war und was aber auf jeden Fall wert war, aufgeschrieben zu werden. Was das Buch darüber hinaus kulturgeschichtlich wertvoll macht, sind die geschilderten Lebensverhältnisse einschließlich der Markennamen, und auch der Musik und der Tanzstile. Ach so, natürlich sind auch die Automarken wichtig!
Foto:
Cover
Info:
Katharina Fuchs, Neuleben, Droemer Verlag 2020
ISBN: 978-3-426-28211-3