Frankfurter Bücherzettel Weihnachten 2020 / 2. Teil
Moritz Bäuml (mb) / Thomas Scheben (ts
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Corona – noch eine ganze Weile. Was liegt näher, als sich über Bücher die Welt ins Haus zu holen. Mit Absicht haben die meisten Vorschläge einen Frankfurt Bezug. Aber nicht nur. Obwohl zwei Büchern in anderem Zusammenhang bekannt wurden. Deniz Ohde hatte es bis zu den letzten Sechs zum Deutschen Buchpreis geschafft und Zoë Beck steht mit ihren Kriminalromanen stets auf der Krimibestenliste.
Gier, Mord und Manipulation auf dem Börsenparkett
Wer wollte hier wem eine Warnung zukommen lassen? Was zunächst nach einem Selbstmord aussieht, weckt schon bald Zweifel, sowohl bei der Polizei als auch bei einem Frankfurter Börsenjournalisten. Denn der Aktienhändler, der da im Westend auf der Straße lag, war schon tot, als ihn jemand aus den oberen Stockwerken aus dem Fenster spediert hatte.
Zunächst noch separat kommen Presse und Polizei einem großangelegten Versuch auf die Spur, Börsenkurse zu einem bestimmten Zeitpunkt so zu manipulieren, dass mit Termingeschäften ein Vielfaches des eingesetzten Kapitals zu verdienen ist. Um diesen Fischzug vor vorzeitiger Entdeckung zu schützen, schrecken dessen Organisatoren auch vor Mord nicht zurück. Das müssen alsbald auch Journalist und Wissenschaftlerin erfahren, und so entwickelt sich ein enger Wettlauf zwischen den Ermittlern und den Börsengaunern, in den schließlich noch die Deutsche Bundesbank hineingezogen wird.
Der Autor, als stellvertretender Chefredakteur der Börsen-Zeitung mit dem Finanzgeschehen und seinen Akteuren auf Tuchfühlung, schildert mit großer Präzision die Voraussetzungen und Abläufe an den Finanzmärkten, skizziert die Typen von Akteuren, denen man im Frankfurter Westend täglich begegnen kann. Dabei sorgt der Wechsel zwischen Schilderungen von Phasen akribischer Recherchen rund um Aktien- und Terminhandel, von Finanzmedien und klassischer Polizeiarbeit mit temporeichen Actionszenen dafür, dass man das Buch kaum aus der Hand legen möchte. Wer also schon immer mal wissen wollte, wie man sich auf krummen Wegen an einer Börsenmanipulation eine goldene Nase verdienen kann, sollte hier zugreifen. (ts)
Detlef Fechtner: Tod im Bankenviertel, Societäts-Verlag 2020, 272 Seiten, Taschenbuch, 15 Euro
Von unaufhaltsamem Wandel und aussichtslosem Widerstand
Um die vierzig Jahre, mehr als das halbe Leben hat man in seiner Mietwohnung gelebt, das Stadtviertel ist zur Heimat, die Menschen in der Umgebung zum Netz von Kontakten, Beziehungen und zum Ersatz für die nie gegründete eigene Familie geworden. Und dann hat man die Einschläge immer näherkommen sehen, bis schließlich auch die eigene Bleibe in der Lersnerstraße zum Verkauf steht, in das Visier von Investoren gerät und man hilflos zusehen muß, wie das Ende nicht nur der eigenen Bleibe, sondern einer ganzen gewachsenen Stadtteilidylle im Nordend Gestalt annehmen.
Subjektiv und in Ich-Form, bisweilen fast schon hyperventilierend, schildert die Autorin, was diese Erfahrung mit ihr macht, wie sich versucht, sich zu wehren, wie langsam das gewohnte Umfeld in einen unaufhaltsamen Strudel des Wandels gerät. Ohne Kapiteleinteilung springt der Text einer Kollage gleich von einem Thema zum nächsten.
Polemisch, bisweilen fast schon hasserfüllt und gelegentlich nahe an Verschwörungsphantasien keilt sie im Hochton größter Empörung und bitteren Ressentiments gegen alle aus, die ihrer Meinung nach an dieser Entwicklung Schuld tragen: Gierige Hausbesitzer und Immobilienhaie, SUV-fahrende Käufer und Mieter luxussanierter Altbauten, eine jenseits verbaler Anteilnahme desinteressierte Stadtpolitik, „das Geld“, „die Gentrifizierung“, „der Kapitalismus“, wobei kein Schlüsselbegriff antikapitalistischer Rhetorik ausgelassen wird.
Hautnah erleben die Leser mit, mit welchen Praktiken die Neubesitzer Haus für Haus mit neuen Bewohnern füllen, und schließlich das Gesicht eines ganzen Stadtviertels so grundlegend verändern, dass es einen völlig neuen Charakter und eine völlig neue Struktur annimmt und für die verbliebenen Einwohner zu einer Fremde wird. Ungewollt liefert die Autorin auch das Psychogramm eines Teils der Frankfurter Stadtgesellschaft, der einst selbst als Gentrifizierer in die Altbauviertel zog, wo man billig wohnen konnte, als Frankfurt noch eine schrumpfende Stadt war. Als 68-er angetreten, die ganze Welt zu verändern, sehen sie sich am Ende ihres Lebens nun im längst wieder rapide wachsenden Frankfurt ihrerseits einem Wandel ausgesetzt, dessen Protagonisten ihnen ihre sicher geglaubte kulturelle und soziale Hegemonie aus der Hand nehmen. Ein facettenreiches Dokument Frankfurter Befindlichkeit und Zeitgeschichte! (ts)
Ria Endres: Nordend. Ein Stadtteil wird verkauft, Westend-Verlag 2020, 160 Seiten, Gebunden, 16 Euro
Ein todsicheres Gesundheitssystem
In diesem Buch ist ein Frankfurter Nachkriegstraum wahr geworden: Frankfurt ist in nicht allzu ferner Zukunft Hauptstadt geworden – allerdings die eines Deutschlands, in dem wohl niemand gern leben möchte. Der Klimawandel sorgt für subtropische Temperaturen, das Meer hat große Teile der heutigen Küsten verschlungen, Pandemien resistenter Keime haben fast die Hälfte der europäischen Bevölkerung vernichtet, weite Landstriche sind entvölkert.
Die Mehrzahl lebt in Mega-Cities wie dem Rhein-Main-Gebiet, wo eine funktionierende, durchgängig digitalisierte Infrastruktur mit ihren Algorithmen das tägliche Leben strukturiert. Besonders strikt ist das Gesundheitswesen elektronisch reguliert, das die Pandemien und selbst den Krebs inzwischen besiegt hat. Alles funktioniert, die Wirtschaft läuft und den Menschen geht es gut – so lange sie keine Fragen stellen oder sich dem genormten Leben entziehen wollen.
Den verstaatlichten Medien hat man diese Unsitte längst ausgetrieben, und nur wenige unabhängige Journalisten und Blogger recherchieren noch am Rande der Legalität. Genau das tut eine junge Reporterin, als sich in ihrem Umfeld einige seltsame Unfälle ereignen, die zunächst scheinbar nichts mit einander zu tun haben. Nach und nach kommt sie dahinter, dass die Gesundheitsalgorithmen Nebenwirkungen haben, die für die Betroffenen alles andere als gesundheitsfördernd sind ... Eine spannende Dystopie, die vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Corona-Pandemie den Blick in eine düstere Zukunftsvision öffnet. (ts)
Zoë Beck: Paradise City, Suhrkamp – Verlag 2020, 281 Seiten, Taschenbuch, 16 Euro
Du bist noch jung, du kannst noch alles retten
Die Welt, durch die sich das kleine Mädchen in den neunziger Jahren bewegt, ist ebenso gewöhnlich wie verstörend und verletzend. Um in ihr zu überleben, bedarf es für das Kind einer Türkin und eines reizbaren und bisweilen gewalttätigen Vaters ständiger Wachsamkeit, ob in der Familie, auf der Straßen oder auf dem Schulhof. Im Gymnasium wird sie nach der Orientierungsstufe „ausgesiebt, um sich über das Abendgymnasium noch auf die Universität zu kämpfen.“ Zum Schluß die lange vergebliche Suche nach einer Anstellung – und bei aller Anstrengung und frühen Ermüdung immer wieder Ratlosigkei, „woran es denn gelegen haben mag“, dass ihr immer wieder Hindernisse in den Weg gelegt wurden, wo ihr doch selbst, die dafür verantwortlich sind, immer von Neuem attestieren, dass sie doch „eigentlich“ alles richtig gemacht habe.
Emblematisch für den Ort der Handlung als Industrieviertel mit seiner Mischung aus bildungsfernem, absteigendem Arbeitermilieu, bereits Abgehängten und schon Aufgestiegenen ist die Umgebung des Industrieparks Höchst. Ortskundige Frankfurter werden bald Sindlingen als Bühne der Protagonisten identifizieren; es wird zwar nie genannt, aber zum Schluß gibt es noch einen direkten Hinweis darauf.
Leise, einfühlsam, niemals in anklagendem, beleidigtem oder dem Hochton moralischen Sozialpathos zieht die Autorin ihre Leser immer tiefer in die Lebenswelt ihrer Erzählerin hinein. Der gelingt es schließlich, sich – wenn auch auf Umwegen – ihren Bildungstraum zu erfüllen, aber erst als Studentin kann sie ihre eigenen Erfahrungen in den Einsichten ihres Studiums spiegeln, um sich so aus den Fesseln und Bindungen ihrer Jugend zu befreien.
Der Debutroman, eine Symbiose aus Bildungsroman, Gesellschaftsporträt und Generationenpsychologie, legt fast beiläufig frei, wie subtile Abwertung und Ausgrenzung einen jungen Menschen Schritt für Schritt immer tiefer in eine Sackgasse aus Entmutigung, Hoffnungslosigkeit und früher Resignation drängen. Der Band stand auf der Bestenliste zum Deutschen Buchpreis; einige andere Preise konnte er gewinnen – und hoffentlich viele Leser. (ts)
Deniz Ohde: Streulicht, Suhrkamp – Verlag 2020, 285 Seiten, Gebunden, 22 Euro
Wenn der Dämon nach dem Schlüssel sucht
Ein gleichermaßen mächtiger wie bösartiger Dämon, gegen den sich eine Truppe Helden zusammenrauft und ihre speziellen Fähigkeiten kombiniert, um ihn am Ende nach mancherlei Abenteuern niederzuringen: Das ist für Fantasy – Fans nicht Neues. Meist spielen solche Geschichten in fernen Zeiten, ebensolchen Welten oder gleich beidem, und lassen alte Legenden und ihre Protagonisten wiederaufleben.
Das bankenglitzernde Frankfurt unserer Tage als Ort einer Parallelwelt, in der übernatürliche Wesen aus uralten Tagen mit magischen Fähigkeiten buchstäblich unter uns leben, wird erst dieser Tage von Autoren und Lesern entdeckt. Und so tauchen neben einem Polizisten, der die allergrößten Probleme hat, seinen Vorgesetzten übernatürliche Morde als normale Kriminalfälle zu erklären, ein weiser uralter Bibliothekar, der seine magischen Manuskripte nichts desto weniger mit dem Laptop verwaltet, und Kobolde mit einem bisweilen folgenschweren Hang zum Stöffche auf.
Die schwarzen Schatten sind üble Gehilfen eines noch grausigeren Magiers, der unter dem Deckmantel eines Bauunternehmers seit Jahrhunderten hinter einigen magischen Gegenständen her ist, von denen einer 1399 in den Besitz des mittelalterlichen Dombaumeisters Madern Gerthener geraten und nun per Erbschaft an einen jungen Frankfurter gelangt ist, der sich unversehens mit der Aufgabe konfrontiert sieht, nichts weniger als die Welt zu retten. Zum Glück stehen ihm neben den trinkfreudigen Kobolden noch ein paar potentere Dämonenbekämpfer zur Seite, und auch er selbst entdeckt an sich einige magische Fähigkeiten, von denen er bislang noch keine Ahnung hatte.
Im zweiten Band geben ein paar schockgefrostete Leichen mitten im Hochsommer der Polizei Rätsel auf, und alsbald ist klar, dass es auch dabei übernatürliche Mächte im Spiel waren. Wieder rückt die magische Truppe aus, und muß sich dieses Mal mit der weiland zum Tode verurteilten Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt auseinandersetzen, die einst das historische Vorbild für das von Faust verführte Gretchen abgab. Klar, dass auch der junge Nachwuchsadvokat Goethe einen Auftritt bekommt.
Frankfurt und seine reichhaltige Vergangenheit, eine Prise düsterer Untergestalten à la H.P. Lovecraft, eine kräftige Portion skuriler Humor und Situationskomik im Stile von Terry Pratchetts Scheibenwelt und viel Geschichte des alten Frankfurt und Lokalkolorit der postmodernen Finanzmetropole sorgen für ungetrübtes Lesevergnügen – nach dem man auch nicht mehr wundern wird, wenn plötzlich eine steinerne Löwenskulptur im Park mit kratziger Stimme eine Gespräch anfängt. (ts)
Jörg Erlebach: Schwarze Schatten über Frankfurt, SadWolf – Verlag 2019, 417 Seiten, Taschenbuch, 14,99 Euro
Jörg Erlebach: Graue Nebel unter Frankfurt, SadWolf – Verlag 2019, 323 Seiten, Taschenbuch, 14,99 Euro
Nach dem Spiel ist vor dem Tod
November 2019: Gerade eben hat die Frankfurter Eintracht den FC Bayern München überraschend und ungeahnt deutlich mit 5:1 in die Knie gezwungen. Die Menschen im Stadion liegen sich in den Armen, als die Eintracht-Pressesprecherin Lydia Heller erneut Teil eines absurd anmutenden Kriminalfalls wird. Auf einer Toilette im VIP-Bereich findet sie die Mitarbeiterin eines Catering-Unternehmens, die angibt, sexuell bedrängt worden zu sein. Wenig später ist der mutmaßliche Täter tot – und Heller selbst gerät in Schwierigkeiten. Schnell wird klar, dass weitere Menschenleben in Gefahr sind.
Gemeinsam mit Sportjournalist Severin Klemm begibt sie sich auf die Spur einer unbekannten Nummer, die merkwürdige Eintracht-Rätsel per SMS verschickt: Wie viele Einsätze hatte Benjamin Köhler in seiner letzten Saison für die Eintracht und auf wie viele Spielminuten kommt der gesamte Kader der Spielzeit 2012/13? Es sind teils belanglose Fragen, die manchmal nur noch der Direktor des Eintracht-Museums beantworten kann. Doch die Antworten können Leben retten.
Mit „Nachspielzeit“ begeben sich die Autoren, Tochter und Vater, auf schwieriges Terrain: sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Auch in der Welt des Profifußballs und seiner Anhänger längst noch nicht enttabuisiert. Der Eintracht Frankfurt-Krimi ist die Fortsetzung von „Mit dem Adler auf Mörderjagd“, erschienen 2019. Krimifans, die den Vorgänger nicht kennen, kommen trotzdem auf ihre Kosten! (mb)
Ulrich und Dana Müller-Braun: Nachspielzeit. Eintracht Frankfurt-Krimi, Societäts-Verlag 2020, 361 Seiten, Taschenbuch, 15 Euro
Rätselhaftes Frankfurt
Welche Kräuter gehören in die Grüne Soße?
Wer rockt Rhein-Main? Wo spielt Frankfurt in Film und Fernsehen? Was geht ab auf der Dippemess? Mit diesen und viele andere Fragen kann man sein Frankfurt-Wissen testen und in den Auflösungen erweitern.
Klassische Kreuzwort- und Silbenrätsel, Richtig-Falsch-Bilder, Wahr-Unwahr-Behauptungen und viele weitere Rätseltypen fragen Themen rund um die Stadt, ihre Bauwerke, Sport, Kultur, Gebräuche und Persönlichkeiten und typische Dialektausdrücke ab. Und jede Wette: Wer alles weiß, der hat geschummelt... (ts)
Ursula Herrmann / Wolfgang Berke: Frankfurt. Das Rätselbuch, Wartberg – Verlag 2020, Taschenbuch, 63 Seiten, 12 Euro)
Foto:
Collage der Buchtitel (image/jpeg, 4446199)
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