Serie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 16
Siegrid Püschel
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – So ganz passend ist unser Serientitel ja nicht immer. Denn die drei Romane von heute sind nicht ‚gute Unterhaltungsliteratur‘, sondern einfach Literatur. Alle drei Frauen sind zudem keine ‚Eintagsfliegen‘, sondern haben sich im Literaturbetrieb durchgesetzt und bereichern ihn.
DIE ANNÄHERUNG von Anna Mitgutsch
Die 1948 geborene Österreicherin Anna Mitgutsch ist mit dem zehnten Roman eine routiernierte Romanschreiberin, ohne in Routine zu verfallen. Es sind existentielle Situationen, aus denen heraus sie eine Handlung wie von alleine weiterlaufen läßt. Hier ist es Theo, ein alter Mann, der eines Schwächeanfalls wegen im Krankenhaus liegt, wo ihm auf einmal klar wird, das es das war, das Leben; was nun kommt ist Verfall, ja Siechtum und er fühlt sich hilflos und hat Angst vor dem, was kommt und war er nicht einschätzen kann. Und gleichzeitig, zieht sein ganzes Leben an ihm vorbei, so als ob er jetzt sein eigener Richter sei. Wie hat er sich verhalten, was war mit seiner ersten Frau, die so früh starb. Wieso ist ihm jetzt erst ihr Sterben als Sterben so vor Augen.
Im gewissen Sinn versucht Theo sein eigenes Leben im Nachhinein zu verstehen und auch, warum seine Beziehungen mit Frauen diese Hochs und Tiefs hatten und haben. Eine mißglückte Liebesbeziehung ist auf jeden Fall die zu seiner Tochter, doch,woran dies wirklich liegt, ist schwer auszumachen. Und dann verliebt er sich,krank wie er ist, in seine Pflegerin, keine Neuheit. Sie ist ihm näher als die Tochter, oder doch die eigentliche Tochter. Ludmila muß zurück in die Ukraine. Ihm ist bewußt, sie ist die letzte Liebe seines Lebens und er will sie wieder um sich haben. Da überwindet seine Tochter ihre Vorbehalten gegenüber dieser Frau und will sie holen. Endlich kann sie nachlesen in seinem Kriegstagebuch wie das war damals. War er ein Nazi, warum hat er nie offen darüber geredet. Gefragt hatte sie doch. Es ist nicht neu, was Anna Mitgutsch schreibt, aber es gelingt ihr, diese Annäherung zwischen Tochter und Vater zu seinem Lebensende uns nachfühlen zu lassen.
NEUJAHR von Juli Zeh
Auch hier zieht einer Bilanz, die Bilanz seines Lebens, nur sind die Umstände völlig andere. Henning sitzt am Neujahrsmorgen auf seinem Fahrrad und strampelt sich einen ab. Er will da hoch, steil wie nur was und es läuft nicht. Weder ist sein Rad geeignet, noch hat er was zu essen mit. Alles doof. Und das paßt doch gar nicht zu seinem angenehmen Leben. Jeder sieht das so. Und trotzdem ist er nicht glücklich, noch nicht einmal zufrieden. Seine Frau Theresa und er haben sich dieSorge für und das Leben mit den Kindern Bibbi und Jonas, zwei und vier Jahre alt, geteilt und wieso packt sie, die Mutter das, was er nicht packt. Dabei ist sie sogar beruflich erfolgreicher als er. Und darum übernimmt er mehr Hausarbeit und verbringt mehr Zeit mit den Kindern als sie. Und trotzdem ist ihnne die Mutter wichtiger. Zu ihr laufen sie, wenn etwas ist.
Ganz interessant einen Roman über einen Menschen zu lesen, einen Mann, der schon so ist, wie sich die meisten Frauen ihre Männer wünschen. Als Partner. Aber der hat Angst. Seit der der Geburt seiner Tochter hat ihn sogar die nackte Angst gepackt. Lebensangst. Und Panikattacken, bei denen er zu sterben glaubt. Und noch nicht mal locker Radfahren kann er. Ein Versager, der seinen eigenen Ansprüchen nicht genügen kann.
Doch ist das alles nur der Hintergrund für den Schlag, den er erhält, als er Meter für Meter den Paß hochgeradelt, oben angekommen ist. Hier war er doch schon mal? Und wie Juli Zeh hier das Faß aufmacht, macht die Geschichte vom überforderten Vater, der in allem nur Streß sieht, interessant.
AM ANFANG WAR DIE NACHTMUSIK von Alissa Walser
Das ist wirklich der erste Roman der 1961 geborenen Alissa Walser und ich hätte ihr auch zehn zugetraut, denn sie ist durch viele Theaterstücke und Geschichtenerzählen bekannt geworden. Bei diesemRoman bin ich nicht objektiv. Ich dachte, wie was, jetzt nach dem Film LICHT auch noch ein Roman über die blinde Sängerin und Pianistin, der der skandalumwitterte Franz Anton Mesmer 1777 wenigstens für eine bestimmt eZeit das Augenlicht wiedergab. Dabei ist es umgekehrt. Erst schrieb Alissa Walser diesen beeindruckenden Roman und dann wurde daraus ein kongenialer Film Der Film, dessen Regisseurin Barbara Albert ist, bedeutet mir sogar noch mehr, weil das Spiel der Maria Dragus als Resi, wie Maria Theresia genannt wurde, absolut hinreißend ist. Ach so, natürlich müßte doch noch etwas zu Mesmer gesagt werden, der Arzt in Wien war und mit seiner Heilmethode des Magnetismus eine zwischen Esoterik und Wissenschaft angesiedelte Heilung zustande brachte, die aber nicht immer anhielt. Daß Alissa Walser diesen Fall erst öffentlich wahrnehmbar machte, ist wirklich ein Verdienst.
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Info:
Anna Mitgutsch, Die Annäherung, Luchterhand Verlag 2016
ISBN 978 3 630 87470 8
Juli Zeh, Neujahr, Luchterhand Verlag 2018
ISBN 978 3 630 87572 9
Alissa Walser, Am Anfang war die Nacht Musik, Piper Verlag 2010
ISBN 978 3 492 27202 5