Serie: Deutscher Buchpreis 2013, Teil 14

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Einen schöne Roman hat Mirko Bonné geschrieben, an dem uns auch gefällt, daß der Verlag Schöffling & Co damit unter die letzten Sechs gekommen ist und das biblische Wort, daß die letzten die ersten sind, sich wieder einmal bewahrheitete. Wir hätten dem literarischen Gespür des Verlegers mehr trauen sollen und schon früher dessen Bücher lesen sollen, denn diese Verlustgeschichte macht Lust auf mehr.

 

Der Roman nimmt uns erst einmal auf eine Reise mit, die – so erzählte der Autor – er den Autoauftritten und Autogesprächen seines Sohnes nachgeschrieben hat, wo man sich überall hinwünscht, nur nicht in diesem alten schönen Mercedes zu sitzen, der des Zeichners Markus Lee ganzer Stolz ist und mit dem er mit dem Neffen in die Normandie aufgebrochen ist, aus zweierlei Gründen. Er selbst soll und will dort Brücken zeichnen, die im 2. Weltkrieg beim D-Day der Alliierten am 6. Juni 1944 eine Rolle spielten – Auftrag des Herausgebers einer kleinen und exklusiven Zeitschrift – und er soll und will seinen Neffen in das Haus bringen, wo die Eltern des Freundes vom 15jährigen Jesse – pubertierend, mehr muß man zu diesen Anstrengungen als Erklärung nicht sagen - an der Altantiküste ein leer stehendes Hotel bewachen.

 

Worüber beide erst mal schweigen, ist der Selbstmord der Schwester Ira, Mutter des Jungen, weshalb alle, einschließlich des Onkels, dem Jungen mehr Freiraum geben, den Jesse auch zu manchen Eskapaden nutzt. Man spürt aber von Anfang an, daß der so leichthin als Fahrt nach Frankreich erzählten Geschichte ein über den Selbstmord hinausgehendes Geheimnis zugrundeliegt, etwas, was so gravierend ist, daß es nicht gesagt werden kann, wenigstens nicht sich selbst gegenüber, den der Autor läßt den Leser über den stattgefundenen Inzest nicht im Unklaren. Tatsächlich kann Markus Lee auch erst nach vielen Monaten, in denen er sein Hab und Gut überall liegen ließ, abmagerte und sich kräftig mit der Geschichte der Invasion durch die Alliierten, durch die auch Franzosen ums Leben kamen, auseinandergesetzt hat – ein US-Soldat namens Lee hatte seine Erlebnisse niedergeschrieben, was angesichts der Namensgleichheit dem Markus Lee besonders unter die Haut geht - , sich an den Abgrund in sich selbst wagen und den Tod der Schwester und seine Unfähigkeit, mit diesem Verlust weiterleben zu können, aufarbeiten.

 

Das sind so dahingeschriebene Sätze, mit wie viel Einfällen aber Mirko Bonné diese Geschichte um so viele durchaus skurrile Personen und Situationen verdichtet und wie er leichthin das Schwere in Leichtes verpackt und umgekehrt, auch etwas dick aufgetragene Zufälle nicht scheut, in dem eine Französin seiner Schwester wie aus dem Gesicht geschnitten auftaucht und ihm zur Heilung verhilft, nachdem eine andere Französin diese vorbereitet hatte, das ist ein Geflecht von Leben, das man gerne liest und durchdringt. Wie gesagt, dieser Roman macht Lust, mehr von Mirko Bonné zu lesen. Und er steht gleichstark da als potentieller Buchpreisträger wie seine Mitstreiter, nur glauben wir nicht dran, daß er drankommt.

 

 

Über ihn sagt die Jury

 

Biografie:

Mirko Bonné, geboren 1965 in Tegernsee, lebt in Hamburg. Neben zahlreichen Übersetzungen aus dem Englischen veröffentlichte er bislang vier Romane und fünf Gedichtbände sowie Aufsätze und Reisejournale. Für sein Werk wurde Mirko Bonné

vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Prix Relay du Roman d’Evasion (2008) und dem Marie Luise Kaschnitz-Preis (2010).

 

Kommentar der Jury:

 

Diesen Roman von Mirko Bonné umgibt eine fast schon entrückte Atmosphäre, er mäandert zwischen der Welt der Lebenden und der Toten, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen privater Trauer und der Frage, wie der Tod von tausenden

alliierten Soldaten in der Normandie in ein fassbares Bild gefügt werden kann. Im Mittelpunkt des Romans steht der Zeichner Markus Lee, er hat seine Schwester durch Selbstmord verloren. Mit ihrem 15jährigen Sohn Jesse macht er sich auf in die Normandie, der Teenager will dort mit einer befreundeten Familie in den Herbstferien ein leer stehendes Hotel hüten; Markus Lee hat den Auftrag, jene Brücken zu zeichnen, die für

das Vorrücken der Alliierten wichtig waren. Mit poetischer Kraft, aber ohne erzählerisch aufzutrumpfen, verwebt Bonné eine realistisch gezeichnete Welt mit todessehnsüchtiger Verträumtheit. „Nie mehr Nacht“ ist der Glücksfall eines schwebend leichten Romans von großer Tiefe.

 

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