Serie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 27
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Da war man dann richtig froh, anschließend von Erwachsene zu lesen, noch dazu von Menschen, bei denen Moral und Handeln ständigen Austausch erfordern. Reinhard Kuhnert hat einen so farbigen DDR-BRD Roman geschrieben, daß man ihn tatsächlich wie einen Film verfolgt.
IN FREMDER NÄHE Reinhard Kuhnert
Die Geschichte von Elias Effert, Stückeschreiber, Regisseur und Liedermacher in der DDR, der zumindest immer wieder in West-Berlin auf Gleichgesinnte trifft, aber eigentlich in der DDR bleiben möchte, zumal er sich in seinem Haus an der polnischen Grenze auch wegen der Leute so wohl fühlt. Aber als seine Arbeit – lange ist er ein anerkannter Bühnenmann mit mehr Freiheiten als andere – mehr und mehr blockiert wird, stellt er einen Ausreiseantrag.
Schon die Prozeduren, die auf Ausreisewilligen (manche wurden gleich eingesperrt) zukamen, sind nichts anderes als Schikanen, für die man dann auch noch bezahlen muß. Aber mit Hilfe aus dem Westen, vom Großkopferten zum Apparatschik, erhält er die Ausreise und kommt mit zwei großen Koffern gefüllt mit seinen angefangenen, halbfertigen oder schon veröffentlichten Stücken und Geschichten nach West-Berlin, zum besten Freund, den er dort hat, einem Theaterintendanten, der ihn mit den wichtigsten Kulturträgern der Stadt bekannt macht.
Das liest sich sehr interessant, auch wegen der Rollen von Frauen in dieser Kunst-Theater- TV-Männergesellschaft. Je länger er da ist – nach drei Monaten bei den Freunden Joachim und Anita bezieht er eine eigene Wohnung - , desto mehr wundert ihn der West-Berliner Kulturbetrieb und wieso ihm der plötzlich schwerst erkrankte Joachim vorhält, er stünde sich selber im Wege. Aha, wenn man an etwas zweifelt, darf man das nicht aussprechen, weil sonst andere an einem zweifeln? Sehr zweifelhaft, aber geben wir es zu, wenn man den Betrieb kennt, ist es genau so. Der Zweifel darf nur drinnen stattfinden, aber keiner darf ihn draußen merken!
So gibt es Amüsantes, Richtiges, Falsches, was sich so wegliest, weil der Autor interessantes literarisches Personal aufbietet, wo es sicher nicht falsch ist, daß man immer wieder glaubt, diesen oder jenen selbst zu kennen. So ist er, der Kulturbetrieb im Westen. Aber es gibt auch die private Seite. Sein Jugendfreund Dietrich, der schon früh in den Westen abgehauen ist, kommt nach Berlin, tut sich gleich mit der Frau zusammen, mit der Elias eine jahrelange Affäre hatte und etwas Abstand brauchte und sagt zu Elias: „Meine Frau probiert den Aufstand.“ Nimmt uns da der ansonsten so sprachsichere Autor auf den Arm. Oder will er herausfinden, ob wir es merken, wenn aus dem ‚proben‘ ein ‚probieren‘ wird. Oder ist das auch dem Lektor nicht aufgefallen?
Während wir Elias in seinem neuen Leben begleiten, kommt er uns vor wie ein ‚Mann ohne Eigenschaften‘, weil er einfach pflegeleicht seine Arbeit macht, immer nett ist, nirgends aneckt und – geben wir es zu – auf wirklich interessante und menschlich saubere Menschen trifft, die ihm beim Start ins kulturelle Leben im Westen einfach helfen; so rundherum nur Gutgesinnte kannten wir nie. Und als er schon den ersten Liederabend erfolgreich hinter sich hat, wird die Grenze geöffnet. Aha, wir sind auf einmal am 9. November 1989.
Dann geht es schnell. Ein Jahr später wird er aus einem ehemaligen DDR-Theater angerufen, sie wollen ein Stück von ihm aufführen. Und dann geht es zur Sache, als er seine Stasiunterlagen einsieht. Tatsächlich ist er überwacht worden. Im Radio war eine Wanze. In Berlin und auch in seinem trauten Heim an der polnischen Grenze gab es Zuträger. Er findet unzählige Briefe von und an Katarina, seine Liebe im Westen, die durch die Grenze und den lächerlichen Vorwurf der Spionage kaputtging. Nachdem seine Stücke wieder aufgeführt werden, auch Dietrich seine Frau und seine Stellung in Köln losgeworden ist und in Berlin neu und gleich großartig anfängt, wird Elias in Irland Katarina besuchen...
Da Elias Effert als alter ego Einhard Kuhnerts erscheint, wird er dort wohl – wie der Autor von 1994 bis 2007 – geblieben sein. Erst jetzt lesen wir, daß dieser Band einen Vorläufer hatte, von den Jahren Elias‘ in der DDR. Also gibt‘s vielleicht den Folgeband von Irland?
Doch, es liest sich angenehm, dieser Roman, aber eigentlich fehlt ihm eine gewisse Würze. Eine Ansammlung von netten Leuten, die Kultur hochhalten und nicht auf die Schnauze dabei fallen. Es geht alles so gut aus, bis auf den Freund, der stirbt, löst sich alles in Wohlgefallen auf.
Dennoch, über die Zeit in der DDR zu schreiben und auch den offiziellen Weggang, - es war ja eben keine Flucht, aber ein Umzug auch nicht, er mußte außer dem Schriftwerk alles dort lassen, auch sein Auto – und das Ankommen in West-Berlin durch Literatur zu dokumentieren, bleibt eine wichtige Aufgabe derer, die das lebten.
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Info:
Reinhard Kuhnert, In fremder Nähe, Mirabilis Verlag 2019
ISBN 978 3 9818484-9-6