Serie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 27
Konrad Daniel
Leipzig (Weltexpresso) – Zwei Romane von Männern, zwei Romane über Männer, zwei Romane für Männer! So könnte man beide zusammenfassen, die gleichwohl in völlig unterschiedlichen Welten spielen, zeitlich und vom Milieu her.
AUS DER DECKUNG von David Lopez
Dies ist ein Roman von heute und nicht nur das, auch noch einer, in der die Jugend eine Rolle spielt. Junge Männer, ihrer selber noch ungewiß, sprechen aber so, als ob sie die Welt genau kennten, die ihnen zu Füßen liegt. Schlicht, weil das Gegenteil richtig ist. Es ist Jonas, mit dem wir nun die Welt dieser Halbstarken kennenlernen, obwohl er schon 20 Jahre ist und gerne boxt, ja Boxer werden will, aber keinen Ehrgeiz aufweist, aus seinem Talent auch wirklich etwas zu machen. Damit ist er nicht alleine, sie alle, seine Freunde und die Mitmacher hängen rum mit all dem Geschwafel und dem Zeugs, das sie inhalieren und schnupfen, auf daß die Welt zusammenschnurrt und alles nur sehr undeutlich zu sehen ist. „Ich drehe mir in der Zwischenzeit einen Joint auf dem kleinen Hocker. Farid hat mir neulich ein Tütchen Marihuana abgepackt, ich habe noch gut eine Spitze. Mädchen ziehen Gras vor. Es ist schicker. Zigaretten sind die Droge der Armen, Gras ist die Zigarette der Reichen. So einfach ist das. Und um ehrlich zu sein, Shit ist was für Loser."So ist das in der Provinz. Ist das so? Und was überhaupt heißt das hier: Provinz?
"Wir leben in einer Kleinstadt, Typ fünfzehntausend Einwohner, irgendwo zwischen Speckgürtel und Acker. Wir sind keine echten Landeier, dafür gibt es bei uns zu viel Asphalt, aber auch keine Vorstadtprolls, dazu ist es bei uns zu grün. Um uns Dörfer, Weiler, Marktflecken, dazwischen Felder und Wälder. Für die umliegenden Dörfer sind wir hier Städter, von der Großstadt aus betrachtet, die keine hundert Kilometer entfernt liegt, sind wir Hinterwäldler. Ich persönlich verstehe nichts von Landwirtschaft.", heißt es, ein Teil ist aus dem Umschlagstext übernommen. Der Autor verweist darauf, daß auch er aus so einer Zwittergegend stamme, was ein Ort sei, der gleichzeitig überall sein könnte.
Ach, es geht um alles und nichts, ziemlich ermüdend, die ganze Sippschaft kennenzulernen und dem Hin und Her zu folgen. Dennoch bleiben wir an Jonas und folgen seinem zwiespältigem Verhalten, das zwischen dem Boxen und dem Nicht-Boxen hin und her geht. Aber, was er über die Frauen schreibt, daß nämlich seine kurzseitige Flamme, die er meist aus besseren Kreisen ‚bezieht‘, nach dem Orgasmus einschläft, ist mir neu. So was wird doch sonst den Männern vorgeworfen, das kenne ich besser.
DER SCHNELLFÜßIGE ACHILLES von Stefano Benni
Da ist man froh, so etwas im wahrsten Sinne Leichtfüssiges, Humoristisches, ja Lustiges zu lesen. Vom Thema, vom Stil her. Ein Mann, der bei Regen zur Bushaltestelle geht und als Wichtigstes seine Bücher in eine Plastiktüte steckt, um sie vor Regen zu schützen, ist doch jedem Leser sympathisch, erst recht, wenn er Ulysses heißt. Verspielt, verpeilt sichten wir den ankommenden Bus als dreimäuligen Lindwurm: „Mit zweien verschluckte er die Opfer, aus dem dritten spie er das offensichtlich Durchgekaute und Verdaute wieder aus.“ Drinnen im sicheren Bus ist ein Gewusel und Stimmengewirr, an denen uns Benni teilnehmen läßt. Ist er verschlafen, noch alkoholisiert, übersinnlich oder nur schlicht phantasievoll, was da aus seinen Taschen und Aufschlägen herausklettert? Es sind die Figuren aus den Manuskripten aus der Tüte, die ja erst Bücher werden wolle, die ihn nun attackieren wie auch das Mädchen, das ihn zum Sitzen zwingen will, Tohuwabohu....Und er wacht aus seinem Traum auf, denn so ein rechter Alptraum war das ja nicht. Aber komisch.
Er ist wirklich im Bus eingeschlafen, denn er leidet an einer speziellen Schlafkrankheit – oder etwa nicht, denn inzwischen sind wir dem Autor gegenüber schon etwas vorsichtig geworden, ob er uns auf den Arm nimmt, oder es ernst meint. Ernst meint er es nie, aber ob es stimmt. Stimmen tut es auch nicht, aber irgendwann kommt es vielleicht dazu, daß man durchblickt, denn die kleinen Figuren aus den Manuskripten haben erneut die Herrschaft übernommen und verwickeln den armen Lektor in Verwirrgespräche. Na gut, dann müssen wir auch zugeben, daß der Lektor auch ein spezielles, ja liebevolles Verhältnis zu seinen ‚Skriptmanusen‘ hat, die ihm wohl übel nehmen, daß er sie noch nicht gelesen hat, was ja die Voraussetzung ist, daß er sie zum Verlegen vorschlagen wird. Denn sie wollen Bücher werden und das einzige Buch unter ihnen stammt von Kafka, der ihn schilt.
Skurrile Situationen, skurrile Personen, skurrile Geschichten, von denen man nur amüsiert Kenntnis geben kann, wobei Achilles eine besondere Rolle spielt. Der will erst ein Buch schreiben und braucht die Hilfe von Ulysses, der nämlich selber ein Buch geschrieben hat, in dem seine Freundin als Mädchen vom Meer eine Rolle spielt. Und nun will Achilles von Ulysses wissen, wie sie aussieht, diese Schönheit, die Pilar María Penelope heißt, deren Vater ein kommunistischer Lehrer und die Mutter Kolumbianerin ist.
Wer nun denkt, aha, Chile, 70er Jahre, der irrt, denn wir sind irgendwann zwischen 1922 und 1943, als Benito Mussolini Italien mit seinem speziellen Faschismus beherrschte. Und immer mehr verstehen wir, daß es hier um eine Auseinandersetzung zwischen dem behinderten Achilles ist, der einfach den Lektor zum Schreiben braucht, nicht nur zum Ausdenken, nein seine Hände und Finger zum Niederschreiben seiner Geschichte.
Wie der obige französische Roman ist mir das ein Roman für Männer. Derb genug ist es auch. Aber wie versprochen, auch komisch.
Fotos:
Cover
Info:
David Lopez, Aus der Deckung, Übersetzung Holger Fock und Sabine Müller, Hoffmann und Campe 2020
ISBN 978 3 455 00824 1
Stefano Benni, Der schnellfüßige Achilles, Übersetzung: Moshe Kahn Verlag Klaus Wagenbach 2006, 266 Seiten
ISBN 3-8031-3200-2