ellySerie: Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 28

Lena Lustig

Köln (Weltexpresso) – Da haben wir doch gleich nachgestoßen, oder heißt es: sind nachgestoßen? Aha, das ist abhängig davon, wo man lebt, im Süden oder im Norden der Republik. Egal. Es geht um zwei Frauen, die schreiben und die von zwei Frauen schreiben, in der Hauptsache, natürlich kommen auch andere Frauen vor. Ja, auch Männer.

ELLY von Maike Wetzel

Erschüttert sind nicht nur die Eltern, die Schwester, sondern alle, die davon hören und erschüttert ist auch die Leserin, als die elfjährige Elly verschwindet. Weg ist sie. Aber wohin? Freiwillig, entführt? Sie ist losgegangen zum Judotraining, das weiß man, aber auch, daß sie dort nie ankam. „Der Polizist sagt, es gibt zwei Möglichkeiten, wenn Kinder nach 24 Stunden nicht gefunden werden. Sie können Opfer eines Gewaltverbrechens geworden sein, oder sie wollen nicht gefunden werden.“ Und später, Jahre später taucht sie wieder auf. Nur: ist sie es? Da wissen wir, daß wir diese Geschichte aus einem englischen Roman kennen und aus dem Film DER BLENDER von Bart Layton.

Dort geht es darum, was eine zerstörte und verstörte Familie an Verdrängung zu Wege bringt, um jemanden, der sicher nicht der Vermißte ist, diesen doch als jenen anzusehen. Diese Geschichte läuft am Schluß sogar darauf zu, ist aber dazwischen völlig anders. Denn es ist nicht eine lineare Erzählung, sondern verwirrt uns ganz schön mit unaufhörlich neuen Erzählerstimmen. Das beginnt mit der ersten, die die Stimme der älteren Schwester Ines sein muß, der nach einigen Seiten eine zweite folgt, die man zuerst auch für die Schwester hielt, aber das kann nicht sein, denn auf einmal geht es um den Blinddarm, der doch dem Mädchen schon entfernt ist, es wird immer seltsamer, ein neues Mädchen also im Krankenhaus, das Almut heißt. Und da kommt Ines ins Spiel, die auch im Krankenhaus ist und im nächsten Kapitel nennt sich Almut Elly....

Aber dann erzählt wieder Ines, aber sie erzählt eine ganz andere Geschichte. Und was ist das, jetzt spricht die Mutter? Sie erzählt sich ihre Liebesgeschichte mit ihrem Mann Hamid, der sie übersehen hatte, weshalb sie ihm eine zweite Chance gab, was klappte. Daran denkt sie, als ihre Tochter schon vier Jahre verschwunden ist und schluckt ihre vielen Tabletten. Und dann spricht auch noch der Vater. Neues bringt er nicht und man ermüdet, weil sich alles im Kreise dreht. Das ändert sich, als auf einmal Elly wieder da ist, wobei die Autorin uns nicht im Zweifel läßt, daß es auf keinen Fall die echte Elly ist, so verändert ist sie in allem. Nicht negativ, einfach anders, zum Beispiel eine ehrgeizige Schülerin mit sehr guten Noten. Die richtige Elly war faul. Und dann kommt der Hinweis der Ärztin, die an den Ohren erkennt, daß es nicht Elly sein kann.

Und diese, kein Mädchen mehr, eine junge Frau, also auch älter als die eigentliche Elly, erzählt auf einmal ihre eigen Geschichte. Sie behauptet weiterhin, sie sei es, die Elly, wer sollte es sonst sein, der sich als Elly ausgibt, worauf ihr Ines, die angebliche Schwester noch den Rest gibt.

Einigermaßen hilflos sieht man sich dem Ganzen gegenüber, weil man den Sinn und die Sinnhaftigkeit dieser Erzählung nicht versteht. Richtig, auch ab irgendwann nicht verstehen will.

Wir waren dabei, als Maike Wetzel den Robert Gernhardt Preis des Landes Hessen/des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur erhielt und Hubert Spiegel sie in seiner Laudatio lobte: „Ein Buch über die dunklen Seiten der Sehnsucht. Diesen Roman möchte man lesen.“ Warum er das damals nicht konnte, liegt daran, daß der Preis für Romanvorhaben verliehen wird, für den Anfang von etwas, was mit dem Preis in der Tasche sich besser zu Ende schreibt, weil mit dem Preis auch eine Veröffentlich des Endstücks gewährleistet ist. Das ist die eine tolle Idee. Aber es kann auch passieren, wie hier, daß ein fulminanter Anfang ausfasert und man mit dem Durcheinander nicht gut fertig wird.

Foto:
Cover

Info:
Maike Wetzel, Elly, Schöffling & Co, 2018
ISBN 973 3 89561 286 2