Auf die Schnelle: Gute Unterhaltungsliteratur, gebraucht, Teil 70
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nein, heute geht es nicht um Filme, auch wenn beider Romane, eigentlich fiktive Geschichten und trotzdem verdammt nahe an der Wirklichkeit, auch sofort im Kopf als Film ablaufen, wenn man sie liest. Und es geht schon wieder, noch immer, um Männer, die entweder mit den Frauen nicht zurechtkommen oder ihnen hinterhersehnen.
HERR DER HÖRNER von Matthias Politycki
Wer auch nur ein bißchen Interesse für Kuba hat, sollte diesen Roman unbedingt lesen, denn ich tat mir zunehmend die 736 Seiten nur deshalb an, weil einen das normale Leben auf Kuba derart treffend, nämlich sinnlich aus den Seiten anspringt, daß es nur eine Lust ist, und über das anormale Leben erfahren wir Dinge, die man nicht mal in Haiti so erwartet. Bißchen sehr abgedreht, afrokubanische Kultorgien mit viel Blut, was dann nicht für die Touristen inszeniert, sondern als heimliche kubanische Folklore erscheint. Aber toll erzählt, ja mitreißend und die beste Kubawerbung sowieso. Nein, das sagen wir nicht hämisch, sondern mit voller unterstützender Wucht, weil immer noch zu wenig die Lebenskraft, die die Menschen aus dieser gebeutelten Insel gegen Tod und Teufel aufbringen, bekannt ist.
Hier auf jeden Fall wirken sie, die Zauberkräfte. Denn die Hauptperson, der leider bis zum Schluß doch arg blaße Held Broder Broschkus – zumindest der Name allerdings eine auffällige Alliteration - zu Hause in Hamburg, ein Banker, gut angezogen, erfolgreiche Ausbildung, kein fieser Kerl, aber keiner, der irgendwo im Leben oder Beruf eine Rolle spielen würde, daran ändern auch die 13jährige Ehe nichts, was man bei seiner Frau Kristina dann schon wieder verstehen kann, lebt eine bequeme Nullnummer. Und das ändert sich in Kuba, ja geradezu auf einen Streich, als er in einem Nachtclub auf Kuba eine junge Tänzerin sieht – und verloren ist, bzw. sich gefunden hat. Diese Frau oder keine. Auf jeden Fall sucht er sie und hat ein Hilfsmittel, denn sie hat ihm eine Nummer auf einen Geldschein geschrieben, nur geht der beim Bezahlen verloren und eins kommt zum anderen.
Aber wer suchet, der findet, und beim Lesen stellt man vergnügt fest, wie unterschiedlich Erweckungsromane sein können. Waren einst in der Grand Tour die erotischen Erweckungserlebnisse der jungen Herren einbeschlossen und Italien das Land der Sehnsucht, so müssen heute fade Deutsche nach Kuba fliegen, um zu sich selbst und einem erfüllteren Leben zu finden. Aber schreiben kann er gut, der Herr Autor.
FREI von Roswitha Quadflieg und Burkhart Veigel
Ein vieldeutiger Romantitel. Auf jeden Fall einer mit Anspruch, denn man fragt sofort, frei von was, oder geht es um frei von wem oder gar frei für was? Und wenn man zuerst, was man immer tun sollte, die Umschlagklappen durchliest, stutzt man bei der Lebensbeschreibung: „in den Jahren 1961 bis 1970 war er einer der erfolgreichsten Fluchthelfer in Berlin.“ Inzwischen hat sich Burkhart Veigel schon oft erklärt, ca. 650 Menschen hat er die Flucht ermöglicht. Das wirkt nach. Und so ist in der Tat dies Buch keine Lobpreisung der eigenen Taten, sondern eine Verarbeitung, die für andere nützlich ist.
Allerdings ist das alles doch komplizierter. Wenn zwei schreiben, sowieso. Wir haben uns den Lesefluß nicht verderben wollen und uns die jeweilige Autorenschaft nicht weiter entschlüsselt, einfach angenommen, daß er die Fluchtteile und sie die Liebesgeschichte geschrieben hat. Denn darum geht es auch. Der Roman beginnt an dem Tag, als man nur noch mittels Flucht die DDR verlassen kann, denn bis zum Mauerbau am 13.August 1961 konnte man mit der S-Bahn über Bahnhof Friedrichstraße relativ problemlos die DDR verlassen. Aber der Roman endet nicht am 9. November 1989, als die Grenze aufging und der gesamte Ostblock hinter dem zuvor Eisernen Vorhang zerbröselte, senden am 10. September 2016 und nicht in Berlin, sondern in seinem Haus in der Schweiz auf der Sonnalp, wo er sich wohlfühlt.
Hintergrund sind die Fluchtgeschichten des Medizinstudenten Janus Emmeran in Berlin, der als Arzt in Westdeutschland, in Tübingen, reüssierte und sich im Alter wieder in Berlin niederläßt, sich dort in die 30 Jahre jüngere Colette, aufregend und als Lyrik-Verlegerin auf eine besondere Weise interessant, verliebt. Sie kam aus Ost-Berlin und viel paßt, aber anderes eben nicht. Das ist schwer in Worte zu fassen, aber die Gefühle sagen einem, wie lange etwas gut läuft und ab wann einem etwas fehlt.
Und als das Ende zwischen beiden da ist, ist ein neuer Anfang. Der hat wieder mit Flucht zu tun, zeitgemäß mit syrischen Flüchtlingen, das heißt mit Anisa, einer Kurdin, die er in seinem Haus in der Schweiz unterkommen läßt und ihre auch eine Stelle besorgt, während er in die USA düst, wo eine dritte Fluchtgeschichte aus der deutschen Geschichte ihren Abschluß findet. Vielleicht einen Tick zu viel Flucht.
Fotos:
Cover
Info:
Matthias Politycki, Herr der Hörner, Hoffmann und Campe, 2005
ISBN (13) 978 – 3-455 05892 – 5
Roswitha Quadflieg, Burkhart Veigel, Frei, Europa Verlag 2018
ISBN 978 3 95890 186 5