David Jackson bringt bei rororo einen unheimlichen Thriller
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) - David Jackson schreibt einen der pfiffigsten Thriller der letzten Zeit, mit Einfällen, die es auf jeden Fall noch nie gab.
Was vorher war, das ist jetzt gar nicht mehr wichtig. Daß Thomas Brogan Serienkiller ist, den die Polizei sucht, das war bis Montag: 3. Juni 23: 49 Uhr wichtig. Dann wird er entdeckt, aber er ist keiner, der sich einfach fangen läßt. Er schlägt den Officer nieder und flieht. Und am Dienstag,4. Juni, knapp zwei Stunden später also um 1:46 Uhr redet er mich selbst, warum er entdeckt wurde in dem
Haus der Carters, in dem er sich versteck hatte. Und dann beim Herumstreifen und Sinnieren sieht er es, das Haus, das er jetzt braucht, das verlassene Endreihenhaus, wo Türen und Fenster vernagelt sind. Da ist er gut versteckt.
Einbruchswerkzeuge hat er immer im Rucksack, eine Taschenlampe sowieso und so macht er sich von der Hausrückseite dran und ist flugs drinnen. „Dir auch einen guten Morgen“, sagte Brogan, „Was gibt‘s zum Frühstück?“. Der redet wirklich mit sich selbst um 8: 07 Uhr immer noch am Dienstag. Das ist natürlich ein wieder pfiffiger Trick vom Autor, daß Brogan mit sich selbst redet. So spart sich der Erzähler, über ihn zu schreiben, weil er im Selbstgespräch ja beides hinbekommt: die Handlung selbst zu schildern und die Gedanken des Handelnden noch dazu.
Er hat Hunger, aber im Haus findet er nichts, das er ausgiebig inspiziert, obwohl er kaum etwas sieht. Ist ja alles zugebrettert. Aber ganz oben ist es heller und da entdeckt er oben auf dem Boden einen Pappkarton, der sich als leer herausstellt, aber als er schon wieder runtersteigen will, entdeckt er die Sensation, die nun die ganze Handlung bestimmen wird: der Dachboden ist mit dem des Nachbarhauses verbunden, offen also und was er sofort annimmt, wird dann Wirklichkeit:die ganzen Reihenhäuser sind mit offenen Böden verbunden. Er wird sich also durchfuttern und erst mal mit dem Nachbarhaus beginnen.
Doch als er die Luke zum Nachbarhaus öffnet, hört er seinen Namen. Das Radio plärrt und kündet von seiner Flucht und wie gefährlich er ist. Das macht ihn stolz. Aber dann hört er eine Stimme, daß Elsie das Radio leiser machen solle und eine ganz schwache und krächzende Antwort. Er hört zu und weiß bald, daß Elsie 89 Jahre alt ist, alleine lebt und gerade die Pflegerin Kerry bei ihr ist, die morgens und abends kommt – und mittags der Mann von Essen auf Rädern. Aber auch als die Pflegerin geht, will er abwarten, bis die Alte schläft und schleicht sich erst einmal zum nächsten Haus. Aua, das wird schwierig, die Luke kann er öffnen, aber da ist keine Leiter noch sonst was, wie er runter und auch wieder hoch kommt. Die Leute im Haus hört er von oben deutlich, obwohl sie ganz unten sind. Er lauscht der Unterhaltung, hat genug und will noch ins vierte Haus überwechseln und dann zurückgehen. Das muß er auch, denn weiter geht es nicht, obwohl noch weitere Häuser daneben stehen, aber die Wand ist bis zum Dachfirst hochgezogen.
Hier im vierten Haus, das spürt er, wird seine Zukunft liegen, aber jetzt hat er Bärenhunger und will zurück zum Elsies Haus, wo er sie schon kräftig schnarchen hört. Das steht die Mahagonikommode genau unter der Bodenluke, sehr praktisch. Er findet die Küche, in der es nicht gut riecht, aber er ißt, was er findet. Und gestärkt macht er sich sofort wieder auf zum vierten Haus. Das sind seine Leute, das hat er gespürt. Und nun sieht er sie sogar. Denn in der Decke zum Schlafzimmer zum Boden ist ein Spalt, da sollte wohl mal eine Lampe hin, auf jeden Fall schaut er zu, wie Martyn sich auf der schönen Colette abarbeitet und schaut direkt in Colettes Augen, so kommt ihm vor. Sie wird die Seine, das steht fest.
Als Leserin schluckt man immer wieder, denn das gehört ja eigentlich zu den Urängsten, daß man im privaten Umfeld beobachtet wird, wobei der Toilette und dem Beischlaf im Ehebett die größte Sorge gilt. Ich dachte gleich an Schneewittchen und die sieben Zwerge: Wer hat aus meinem Schüsselchen gegessen, wer aus meinem Becherchen getrunken und wer in meinem Bettchen gelegen. Und wenn einen erst ein Mörder beobachtet...
Was Jackson einfach gut hinbekommt, ist das Kammerspielartige, so wenig Personen auf engem Raum, dem Bodenraum, der Täter mit seinen Stimmen im Kopf, bei denen man sich zunehmen fragt, ob er nicht plemplem ist, andererseits eben bauernschlau. Dann die herrliche Idee, daß ihn dann doch die alte Elsie überrascht, ihn aber für ihren verstorbenen Sohn hält und bekocht. Der Mörder bekommt Gefühle, sie wird ihm immer sympathischer...
Hier brechen wir ab. Wie insbesondere Colette auf ihn reagiert und das noch gar nicht erwähnte Paar aus dem dritten Haus, lassen wir aus, wie den ganzen Schluß. Aber eins ist noch wichtig, daß nämlich durch die Selbstgespräche des Thomas Brogan wir nicht nur von dessen Leben erfahren, sondern auch die vorausgegangene Bluttat erklärt wird.
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Info:
David Jackson, Der Bewohner, Thriller, rororo 2021
ISBN 978 3 499 00296 0