Auf die Schnelle: Gute Wohlfühlliteratur, gebraucht, Teil 77
Günther Winckel
München(Weltexpresso) – Nun kommen wir zu zwei Büchern, die schon vor 20 Jahren veröffentlicht wurden, woran man ganz gut den Unterschied ausmachen kann, wie heutzutage formuliert wird, wie am ENTGIFTEN zu lesen ist. Diese beiden Bücher wollen einerseits weniger, andererseits mehr. Denn es geht in die Tiefe.
DIE INNEREN FESSELN SPRENGEN. Befreiung von falschen Sicherheiten von Phyllis Krystal
Das Vorhaben ist ganz einfach. Aber schwer durchzuführen. Man soll erst einmal die Schranken erkennen, die einem im eigenen Leben daran hindern, das zu sein, was man sein möchte, wäre schon ein zweiter Schritt. Der erste ist, so zu sein wie man ist! Kleine Brötchen also, aber perfekt durchgebacken!
Auch hier gab‘s einen Grund, was mich an der Autorin interessierte. Sie hat eine Jungsche Ausbildung durchlaufen und über sie wird gesagt, daß sie uralte esoterische Erfahrungen mit moderner Tiefenpsychologie verbinde. Sie will erreichen, daß wir mit unserem Unbewußten kommunizieren. Und dann geht es ans Eingemachte. Viele Menschen leiden an ihrer Situation, sind aber die ersten, die verhindern, daß sich etwas verändert. Veränderung macht ihnen Angst und auch wenn das Gegenwärtige schwierig, ja unglücklich ist, ist es der gewohnte Alltag, der Sicherheit suggeriert. Ändern bedeutet erst einmal Unsicherheit.
Die Autorin formuliert nicht oberflächlich, sondern geht in die Vollen, wenn sie das Problem des freien Willens zum Thema macht. Eigentlich haben wir ihn, aber wir leben ihn nicht. Also muß man erforschen, was uns hindert, welche Ängste, aber vor allem welche Bindungen dafür sorgen, daß wir nicht so leben, wie wir leben wollen. Das meint sie mit inneren Fesseln, die man sprengen muß, aber eben auch gelernt haben muß, sprengen zu können, wozu natürlich ein Buch nicht lang, aber ein Anfang ist.
Es werden im Folgenden die Fesseln benannt, die sich seit der Kindheit ansammeln. Die Autorin ist es nicht, sondern die eigenen Assoziationen, die sofort vor unsere Augen führen, zu welcher Selbstverleugnung Kinder fähig sind, wenn sie denken, damit den Elternwünschen zu entsprechen. Und wie gerade in Familien in prekären Verhältnissen, ja bei Alkoholismus oder Rauschgift, Kinder zu ihren Eltern halten und ihnen helfen. So entstehen Bindungen.
So schildert die Autorin, wie sie bei ihrer ersten Sitzung immer die Bindungen an die Eltern zum Thema macht. Interessant, hier nicht ausgeführt, ist ja, wenn ein Elternteil, meist der Vater, fehlt. Da kann der kleine Junge zukünftig ein verantwortungsvoller Mann werden, wie er sich den Vater erhoffte und wie er ihn der Mutter gegenüber schon mal simulierte, oder er wird nie zum Mann, weil er kein Vorbild hatte. Fragen Sie sich selber einmal, ob und wie es Ihnen gelungen ist, die Beziehung zu Mutter und Vater auf eine menschliche zu bringen, aus kindlicher Abhängigkeit befreit zu haben.
WAS ICH WIRKLICH BRAUCHE. Inneren und äußeren Ballast abwerfen und wieder unbeschwert leben von Hildegard Ressel
Sehr wenige dieser Psycho- und Lebensratgeber werden original auf Deutsch verfaßt. Die allermeisten sind aus dem amerikanischen Englisch übersetzt, weil wir eigentlich alle Wellen, die in den USA anfangen, hier übernehmen. Es wäre allerdings falsch, anzunehmen,d aß das immer so war. Kaum einer weiß noch, daß Deutschland um die Jahrhundertwende 1900, d.h. schon zuvor eine intensive intellektuelle und emotionale Auseinandersetzung mit indischer Philosophie betrieb,von der Lebensreformbewegung ganz abgesehen. Damals gingen die Impulse von hier in die Neue Welt.
Als ich dies Buch aufschlug und nach der Autorin suchte, fand ich die Diplom-Psychologin , die eine Psychotherapie-Praxis in München betreibt, mit einem einzigen Quellenverzeichnis: Frankl, Viktor, Der Wille zum Sinn. Nun ist Frankl, anders als Freud und auch Jung, bei uns völlig unterschätzt. Er ist ein so wichtiger Mann, den man lesen sollte. Die Quelle ist angegeben, weil auf Seite 12 ein Zitat stehen soll. Aber nur in der Originalausgabe. Hier nicht. Na, so geht das ja nicht. Das wäre ja keine Arbeit gewesen, die Seitenzahl anzupassen. Und wir haben es nicht gefunden?!
Der Anfang bringt viele richtige Analysen und Feststellungen, die ähnlich den beiden oberen Büchern sind, nämlich Abhängigkeit einerseits zu registrieren und dagegen eine Befreiungsbewegung in Gang zu setzen. Und zwar selbst. Nicht das, was andere machen, als Ausgangspunkt, sondern mich. Dem ist nichts hinzuzufügen, wenn die Autorin aufzählt:
Gesundheit beginnt zu Hause
Menschlichkeit beginnt zu Hause
Friedfertigkeit beginnt zu Hause
Kommunikation beginnt zu Hause
Umweltschutz beginnt zu Hause
Ein erfülltes Leben beginnt zu Hause
Veränderung beginnt
...bei uns
Dann geht es um die Vereinfachung unseres Lebensstils, die aus vielen Gründen ansteht und die übrigens ein Teil der jungen Generation längst lebt. Die Autorin bringt als gute Erzählerin zu den Sachverhalten dann immer Fallgeschichten, die kursiv gesetzt sind. Ein Vorschlag, der nicht neu, aber gut ist, ist der Verschriftlichung der eigenen Wünsche. Einmal aufschreiben, was man gerne wäre, wie man gerne leben möchte, mit wem und wie sowie die kleinen Dinge des Lebens, bin ich gerne in der Sonne oder dem Schatten, gehen Sie durch ihre Wohnung und schauen sich alles genau an. Wollen Sie das so? Kleine Räume, große Räume.
Doch, es wir Rat und Tat versprochen. Aber bei Aussagen wie dieser: „Ihre Arbeit dient in erster Linie dazu, Geld zu verdienen, und nicht dazu, Ihr Selbstwertgefühl zu bestätigen oder ausschließlich Ihr Leben auszufüllen.“ (61) Richtig, ‚ausschließlich‘ das Leben ausfüllend, soll der Beruf nicht sein. Aber bei den Glücklichen unter uns und Journalisten gehören im weitem Sinn dazu, hat die Zufriedenheit mit den Arbeitsergebnissen natürlich mit dem Selbstwertgefühl zu tun.
Aber im Verlauf verstehe ich das Anliegen der Autorin, sie möchte verhindern, daß Menschen ihre Berufstätigkeit als einzige Quelle ihres Seins empfinden und überhöhen, weil ansonsten Leere ist.
Die Schlußkapitel sind den Familien gewidmet. Das gibt es naturgemäß viel zu tun.
Fotos:
©Cover
Info:
Phyllis Krystal, Die inneren Fesseln sprengen. Befreiung von falschen Sicherheiten, Lotos, Econ & List Taschenbuch, 1999
ISBN 3 612 18003 7
Hildegard Ressel,Was ich wirklich brauche. Innern und äußeren Ballast abwerfen und wieder unbeschwert leben, Scherz Verlag 1999
ohne ISBN