K.J.Schmidt Wie ich lernte 72Klaus Jürgen Schmidts Rückblick auf seine bewegten Jahre im Hörfunk

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Radio Bremen ist der kleinste ARD-Sender. Aber ein durchaus typischer. Zumindest dann, wenn man ihn an den üblich gewordenen Vorgängen, speziell den Intrigen in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt misst.

Intrigen meint das Gemenge aus fachlicher Inkompetenz, arbeitsorganisatorischer Unfähigkeit und politischer Günstlingswirtschaft. In den unteren bis mittleren Hierarchieebenen werden diese Untugenden von einer wachsenden Schere im eigenen Kopf begleitet. Letzteres Instrument ist das unsichtbare Wahrzeichen der Angepassten. Aber aufmerksame Hörer merken sehr schnell, ob Redakteure ihnen etwas zumuten oder vorenthalten wollen. Zu dieser Art von Journalisten gehört Klaus Jürgen Schmidt nicht. Über seine Erfahrungen und den daraus hervorgegangenen Erkenntnissen hat er unlängst ein sehr lesenswertes Buch veröffentlicht.

Fast 50 Jahre hat er in diesem System gearbeitet und dabei eine Ochsentour durchlaufen. Zunächst als Tontechniker beim Fernsehen, dann als Volontär und bald darauf Redakteur beim Hörfunk, gefolgt von Jahren als Auslandsreporter und schließlich als kulturvermittelnder Radiomacher in Afrika. Angeeckt ist er häufig, vor allem bei denen, die das Publikum angeblich verschonen wollten vor Verunsicherung. Und dem schlechtem publizistischen Geschmack von nicht pluralistisch gesinnten Schreiberlingen. Tatsächlich aber war es die Absicht dieser Bevormunder, das vermeintlich Unsägliche dem Schweigen zu überantworteten, um sich dadurch selbst jeglicher Verantwortung zu entziehen. Dabei muss die Aufklärung, auch die über unbequeme Wahrheiten, oberstes Gebot eines Senders sein, welcher sich im Eigentum der Gemeinschaft aller Hörer und Zuschauer befindet, nämlich öffentlich-rechtlich organisiert ist.

Beim ersten Überlesen des mit ca. 360 Seiten sehr umfangreichen Buchs fielen mir die Namen von Persönlichkeiten auf, die ich zu den Lichtgestalten des deutschen Rundfunk-Journalismus zähle und die Radio Bremen eine Zeitlang ihren Stempel aufdrückten. So Gert von Paczensky oder Kurt Nelhiebel. Sie haben die persönliche Pressefreiheit seriöser Journalisten ernst genommen und ihnen die notwendigen Freiräume verschafft. Und wenn es zum Schwur kam, haben sie sich hinter ihre Leute gestellt. Klaus Jürgen Schmidt hat solche Menschen, die Haltung bewiesen haben, immer wieder erleben dürfen, mehrfach haben sie ihm das berufliche Überleben gesichert. Daneben auch Kollegen wie den umtriebigen Michael Geyer und den exzellenten Nahost-Korrespondenten Ulrich Kienzle, die offen waren und denen jeglicher Dogmatismus, auch der von ARD-Anstalten, fremd war.

Klaus Jürgen Schmidt ist ein talentierter Erzähler und folglich erzählt er detailreich über die einzelnen Stationen seines nicht immer gradlinig verlaufenen Wegs. Er berichtet über die Routine in einem Sender, dessen finanzielle Ausstattung begrenzter war als die der größeren ARD-Funkhäuser, was sich nicht zuletzt an der verfügbaren technischen Ausstattung bemerkbar machte. Und wo mit den grünen Honorarzetteln (für die Kür neben der Pflicht) besonders sparsam umgegangen wurde. Einem Selfmade-Redakteur blieb zwangsläufig nur die Verwegenheit übrig, sich für außergewöhnliche Aufgaben selbst zu empfehlen und diese dann mit Bravour zu lösen. Beispielsweise 1973 durch eine Reportage in Vietnam, einem Land, in dem immer noch der Krieg tobte. Oder durch einen ausführlichen Bericht über die Situation in Mexiko, dessen Revolution von 1910 faktisch eingefroren ist und wo autoritär regierende Präsidenten und Kriminelle das Volk ausbeuten. 1975 und 1976 reiste Schmidt durch Südostasien und den pazifischen Raum. Das Projekt wurde unterstützt durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. 1979 war er erneut in Vietnam unterwegs, das seit dem Kriegsende von 1979 von neuen Problemen geprägt war, die sich aus der Vereinigung der beiden Landesteile ergaben.

Diese spezielle Form der Auslandsberichterstattung, bis dahin eher untypisch für Radio Bremen, fand viel Anerkennung, sowohl bei der Hörerschaft als auch in der Fachwelt. Allerdings wäre sie ohne den Rückhalt, den Gert von Paczensky gewährte, vermutlich nicht möglich gewesen. Denn auf der Intendantenebene, nicht nur in Bremen, wimmelte es von Parteisoldaten, die entweder den Untergang der CDU oder den des rechten Flügels der SPD befürchteten, wenn die offiziell postulierte freie Berichterstattung tatsächlich umgesetzt würde. Klaus Jürgen Schmidt, vielfach unterstützt von seinem Kollegen und Freund Michael Geyer, gelang es dennoch, sich einen Namen zu machen. Denn er verlieh jenen eine Stimme, die ihre eigene selten bis gar nicht erheben konnten und die folglich nicht wahrgenommen wurden und werden, nämlich den Menschen in der so genannten Dritten Welt.

Dennoch war Schmidts „politische“ Berichterstattung nach Gert von Paczenskys Rückzug als Chefredakteur des RB-Hörfunks nicht mehr gefragt. Man riet ihm, Unterhaltung zu liefern. So kam er zu einem Büro im Bremer Übersee-Museum, wo er eine neue Sendereihe ins Leben rief, die „Matinee in Übersee - Ein unterhaltsamer Nord-Süd-Dialog“. Auch hier ging es um einen möglichst informativen Blick nach draußen und um einen von dort zurück. Schmidt musste diese besondere Art von Reportage jedoch als freigestellter Redakteur auf eigene Rechnung produzieren. Das konnte nicht lange gut gehen, denn die Honorare, die der Sender als Auftraggeber zahlte, waren von vornherein zu knapp bemessen, die finanziellen Möglichkeiten des Museums waren sogar noch beschränkter. Selbst das Lob des renommierten Fachinformationsdienstes „epd Kirche und Rundfunk“ (heute: „epd medien“) vom 24. September 1981 vermochte daran nichts zu ändern: Mit dem Ende der Matinee drohe „derzeit eines der interessantesten Hörfunkprojekte in der ansonsten drögen Programmlandschaft des Sonntagvormittags sang- und klanglos“ abzusaufen.

Danach widmete Schmidt sich zusammen mit Michael Geyer dem Projekt „Ein Floß für Europa“, einer mehrteiligen Reportagereise ins vom Krieg zerrüttete Kambodscha.

1983 entschloss er sich, nach Afrika zu gehen. Ein neu gegründetes Kultur-Radio, „Radio 4“, in Simbabwe brauchte die Unterstützung durch einen Fachmann mit internationaler Erfahrung. Die Friedrich-Ebert-Gesellschaft wollte das Projekt finanziell unterstützen.
Nachdem dieses Vorhaben endgültig ausgelaufen war, stand ein neues auf Klaus Jürgen Schmidts Agenda. Ab 1993 beteiligte er sich federführend an einer Trainings- und Produktionsofferte für afrikanische Journalisten in Harare (Simbabwe). Sie sollten befähigt werden, Radiogeschichten aus ihrem eigenen Erleben für Hörer außerhalb ihres eigenen Kulturkreises zu erzählen und zu verbreiten. Der Namen war Programm: „Radio Bridge Overseas (RBO)“. Und es wurde ein Erfolg. Die einzelnen Schilderungen über Höhen und Tiefen dieser Entwicklungsgeschichte nehmen einen großen Teil des Buches ein. Und sie vermitteln besonders dem, der sich in und mit Afrika nicht auskennt, viele wichtige Informationen über den Kontinent und seine Menschen; die politischen Ränkespiele der heute Mächtigen eingeschlossen.

Wegen der politisch instabilen Situation in Simbabwe kehrte Schmidt 2001 nach Bremen zurück. Dort initiierte er einen Nord-Süd-Dialog von Sendern in Europa und Afrika und rechnete fest mit der Unterstützung durch den RB-Intendanten. Zunächst kam es zu positiven Verlautbarungen, doch dann erfolgt ein Rückzug ohne viele Worte. Mutmaßlich war die finanzielle Misere von Radio Bremen der Hauptgrund. Allem Anschein nach hatten die Bremer zu viel Vertrauen in Medienmanager und zu wenig in Redaktionen und deren Know-how investiert. Die angestrebte Rentabilität fraß die Qualität auf. Darunter litten auch die Beziehungen zum NDR, der u.a. über Ressourcen für einen professionellen Informationsaustausch mit afrikanischen Ländern verfügte.

Klaus Jürgen Schmidt, der kurz nach Harare zurückgekehrt war, versuchte, sich in den geplanten Bremer Bürgerfunk einzubringen, der die Arbeit von „Radio Weser TV“ fortsetzen sollte, das bild- und wortlos geworden war. Aber sämtliche Versuche einer Reanimierung schlugen fehl.

So bleibt am Schluss des Buches die bittere Erkenntnis, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender zwar gern und massiv in kommerzielle Medien wie Facebook, Instagram und YouTube einbringen, bei denen demokratische Kontrolle faktisch unerwünscht ist und wo die Nutzer sehr schnell in die Nachbarschaft von Angeboten der Porno-Industrie und der von Rechtsextremisten geraten können. Hingegen versagen sie sich neuen, vor allem basisdemokratischen Formen in der neuen Medienwelt. Mutmaßlich liegt das nicht nur am zu investierenden Geld. Es dürfte vor allem daran liegen, dass es an Medienkompetenz in ihren unterschiedlichen Ausprägungen mangelt. Und letztlich auch an demokratischem Bewusstsein.

Stattdessen wird auf eine obskure Gender-Mode aufgesprungen, welche unter dem Deckmantel der Geschlechtergerechtigkeit die Präzision der deutschen Sprache zwangsläufig reduzieren wird, und der es lediglich um eine einseitige Deutungshoheit geht. Möglicherweise sogar um neue Herrschaftsformen. Wohlgemerkt: zur Erlangung von Herrschaft, aber nicht zur Erlangung von Teilhabe aller.

Foto:
Cover des besprochenen Buchs
© Kellner Verlag, Bremen 2020

Info:
Bibliografische Daten
Klaus Jürgen Schmidt
Wie ich lernte, die Welt im Radio zu erklären
Medienerfahrungen von und mit Klaus Jürgen Schmidt
359 Seiten, kartoniert
Ladenpreis 12,90 Euro
Kellner Verlag, Bremen
ISBN 9783956512650